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Andreas Geisel (SPD), damaliger  Senator für Inneres und Sport in Berlin und heutiger Abgeordneter, steht in seinem beschädigten Bürgerbüro.

© dpa/Fabian Sommer

Politisch motivierte Gewalt in Berlin: Angriffe auf Politiker und Parteibüros nehmen zu

Attacken auf Parteien und ihre Repräsentanten kommen in Berlin oft vor, wie eine neue Statistik zeigt. Politiker reagieren alarmiert.

Etwa jeden zweiten Tag wird in Berlin eine Attacke auf Politiker oder auf Parteibüros verübt. Das geht aus einer aktuellen Statistik der Polizei hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Demnach zählte die Polizei im ersten Halbjahr 38 Angriffe auf Parteieinrichtungen. Das waren 20 mehr als im Vorjahreszeitraum (Gesamtjahr 2022: 61). In fast allen Fällen ging es um den Verdacht der Sachbeschädigung, am meisten betroffen waren Büros der Grünen (18) und SPD (9).

Angriffe auf Politiker – nahezu ausschließlich verbaler Natur – zählte die Berliner Polizei im ersten Halbjahr 66. Das waren deutlich weniger als im Vorjahreszeitraum, als in 148 solcher Fälle ermittelt wurde (Gesamtjahr 2022: 283).

Bei den meisten Fällen 2023 handelte es sich laut Statistik um Beleidigung/üble Nachrede/Verleumdung. Vereinzelt ging es auch um andere Straftaten wie Volksverhetzung oder Bedrohung. Besonders betroffen waren Politiker der FDP (20) und der Grünen (19).

Laut Polizei handelt es sich bei der Halbjahresstatistik 2023 um vorläufige Zahlen, in die noch nicht alle bekannt gewordenen Fälle eingeflossen sind. Die Statistik umfasst Attacken auf die Landes- und Bundesparteien und ihre Vertreter in Berlin.

Politiker sehen ein ernstes gesellschaftliches Problem. „Angriffe auf Parteien und politische Organisationen untergraben die Grundwerte unserer Gesellschaft, indem versucht wird, demokratische Prozesse auszuhöhlen und Angst unter politisch engagierten Menschen zu schüren“, sagte die Grünen-Landesvorsitzende Susanne Mertens der dpa.

„Seit 2021 haben die Übergriffe und Vandalismus spürbar zugenommen“, schilderte sie ihre Wahrnehmung. „Desinformation, Populismus und teilweise hetzerische Rhetorik vergiften die politische Debatte und befeuern so die gesellschaftliche Spaltung.“ Die aufgeheizte Stimmung sei besorgniserregend.

Verkohlt und zerstört ist die Scheibe am Berliner Wahlkreisbüro von Bundesministerin  Lisa Paus (Bündnis90/die Grünen).
Verkohlt und zerstört ist die Scheibe am Berliner Wahlkreisbüro von Bundesministerin Lisa Paus (Bündnis90/die Grünen).

© dpa/Paul Zinken

Im ersten Halbjahr zählten Berlins Grüne selbst mehr als 20 Vorfälle, darunter Vandalismus und Schmierereien im Zusammenhang mit Partei- oder Abgeordnetenbüros und Drohungen gegen Politiker. Anfeindungen im Netz seien nicht mitgezählt. „Besonders während des Wahlkampfs im Januar und Februar haben sich Vorfälle gehäuft, und mindestens 15 Prozent der Wahlplakate wurden beschmiert, beschädigt oder abgerissen“, sagte Mertens. „Einmal kam es in diesem Jahr auf einer Parteiveranstaltung zu einem gewalttätigen Übergriff, bei dem der Täter festgenommen werden konnte.“

Auch die Linke nannte einige Beispiele. In Spandau werde regelmäßig die Scheibe der Geschäftsstelle bespuckt, in Neukölln gebe es auf einem Schaukasten öfter Aufkleber zum Teil mit rechten oder coronaleugnenden Inhalten. In Charlottenburg-Wilmersdorf habe jemand im März 2023 einen Stein auf die Schaufensterscheibe eines Parteibüros geschleudert, während dahinter der Bezirksvorstand tagte. Im April griff ein Unbekannter nach damaligen Angaben der Polizei einen Mitarbeiter des Linke-Abgeordneten Niklas Schrader an dessen Wahlkreisbüro in Neukölln an, bedrohte, beleidigte und schlug ihn.

„Wir beobachten mit Sorge, dass der Ton rauer wird – ob im Netz oder am Infostand“, sagte der stellvertretende Linke-Landesvorsitzende Bjoern Tielebein der dpa. „Die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung ist eine gefährliche Entwicklung und bedroht die Demokratie. Hier sind alle demokratischen Parteien gefragt.“ Auf Hetze und Hassrede im Internet folgten irgendwann auch Taten.

Auch bei der SPD gehören beispielsweise Farbanschläge oder zerbrochene Fenster nach den Worten von Landesgeschäftsführer Sven Heinemann fast schon zum Alltag. „Trotzdem ist jeder einzelne Vorfall zu verurteilen, weil er ein Angriff auf unsere Demokratie ist.“ Im Juni habe die Gewalt eine neue Dimension erreicht, so Heinemann. Damals wurde die Scheibe des Abgeordnetenbüros von Melanie Kühnemann-Grunow in Lichtenrade beschädigt. Die SPD vermutet, dass nachts jemand mit einem Druckluftgewehr auf das Büro gefeuert hat, in dem sich zu diesem Zeitpunkt niemand befand.

Bundesweit registrierten Ermittler im ersten Halbjahr laut Innenministerium 739 Angriffe auf Repräsentanten der im Bundestag vertretenen Parteien. Hinzu kommen 281 Angriffe auf Parteibüros. (dpa)

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