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Im großen Tagungsraum des Obdachlosenzentrums Zoo können auch Gottesdienste abgehalten werden.

© DAVIDS/Sven Darmer

Skat spielen mit den Obdachlosen: Neues Zentrum am Berliner Zoo soll Begegnungsstätte für alle Schichten sein

Das neue Obdachlosen-Zentrum am Zoo soll Menschen aus verschiedenen Welten zusammenführen und gegenseitiges Verständnis fördern. Unter anderem mit Spielen.

Die Gattin des Bundespräsidenten ist auch im Raum. Elke Büdenbender, die Frau von Frank-Walter Steinmeier, hält ein Pappschild vor ihren Körper, in Druckbuchstaben ist die Botschaft „Deine Armut geht mich an“ draufgeschrieben. 

Der Satz war mal der Titel einer Kampagne der Stadtmission, es ging um die Aufmerksamkeit für Obdachlose. Viele Personen, darunter auch Prominente, haben sich für die Kampagne fotografieren lassen.

Das Bild von Elke Büdenbender hängt an der Wand, direkt über dem Platz, an dem Viola Lange sitzt. Hier finden aufbauende Gespräche statt, hier wird die Psychologin Lange Obdachlosen helfen, die mit ihren Problemen kommen. 

„Vor allem aber“, sagt Viola Langer, „können die Menschen hier in Ruhe reden, hier kann ich das Rollo runterlassen, und die Menschen können ungehemmt weinen.“

Das Zentrum ist ein "neuer Hoffnungsort"

Der Raum ist ein wichtiger Teil des „Zentrum am Zoo“. Die Stadtmission betreibt dieses Zentrum und nennt es einen „neuen Hoffnungsort“. An diesem Mittwoch ist es offiziell und virtuell eröffnet worden. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte: "Die Stadtmission arbeitet mit dem Zentrum sehr daran, dass Berlin auch in Zeiten der Pandemie eine menschliche Stadt bleibt. Sie gibt Zuwendung und Aufmerksamkeit." Er empfinde es als besonders wichtig, "dass die Öffentlichkeitsarbeit ausgebaut wird und damit Menschen für die Situation der Obdachlosen sensibilisiert werden".

Elke Büdenbender erklärte in ihrem Grußwort, dass "Menschen verstanden werden wollen, und aus dem Verstehen entsteht Verständnis". Jeder und jede habe das Recht gesehen zu werden und alle verdienten Interesse an ihrem Schicksal. Durch die Informationen über Obdachlosigkeit, die man im Zentrum erhalte, "wächst das Bewusstsein, dass das Leben nicht so planbar ist, wie wir uns das vorstellen".

Richard Lutz, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, sagte: "Das Projekt hatte Schutzengel und Unterstützer." Es ermögliche einen Perspektivwechsel, sowohl bei Obdachlosen als auch bei Menschen, die ein Dach über dem Kopf haben. "Und die Arbeit der Stadtmission muss gewürdigt werden, deshalb ist es wichtig, dass das Zentrum im Herzen der Stadt ist."

Das Zentrum ist eine Anlaufstelle für Obdachlose, eine Anlaufstelle aber auch für Menschen, die neugierig genug sind, in die Welt dieser Bedürftigen einzutauchen. Hier sollen die Welten aufeinandertreffen, hier sollen Berührungsängste abgebaut werden. „Wir wollen ein gegenseitiges Verständnis“, sagt Wolfgang Nebel. Der Schwabe leitet das neue Zentrum.

Ein paar Schritte weiter gibt die Bahnhofsmission warmes Essen und warme Kleidung aus. Aber es ist Coronazeit, die Menschen stehen friedend in der bitteren Kälte vor den Fenstern. Hier erhalten sie ihre Mahlzeiten, ins Innere dürfen sie nicht. Sie sind die Hauptzielgruppe der Stadtmission.

Hier finden auch Lesungen und Konzerte statt

Doch das Zentrum soll nicht bloß Hilfsstelle für Menschen sein, die auf der Straße leben. Hier werden auch Lesungen, Konzerte, Spiele-Nachmittage, Gottesdienste und Tagungen stattfinden. Und am besten vermischen sich dabei Obdachlose und Menschen, die deren Not in ihrem eigenen Alltag nicht kennen. Das ist das strategische Ziel.

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„Wir möchten, dass Obdachlose und Besucher, die eine Wohnung haben, sich kennen lernen, vielleicht mal zusammen Karten spielen oder sich bei einem Konzert treffen“, sagt Nebel. 

Die Lesungen, die Musik, die Spiele, sie dienen als emotionaler und künstlerischer Köder, um Menschen ins Zentrum zu locken. Dort werden sie auf die Obdachlosen treffen, die ein paar Meter weiter unter der Brücke leben.

Deshalb sind die früheren Lagerräume des Bahnhofs Zoo in 18 Monaten umgebaut worden, für insgesamt 2,5 Millionen Euro, finanziert mit Bundesmitteln, Lottogeldern und Spenden. Auf 500 Quadratmetern verteilt sind Büroräume, ein Seminarraum mit Videoleinwand, einen Tagungsraum für 70 Personen, das Zimmer für die psychologische Beratung der Obdachlosen, ein Raum mit drei Stühlen und eine Kerze auf einem hüfthöhen Ständer für jene, die im stillen Gebet versinken wollen. 

Natürlich ist auch eine Küche vorhanden. Sogar eine ehemalige Gefängnis-Zelle ist noch funktionsfähig. Ganz früher, zu Zeiten von Christiane F. und den drogenabhängigen "Kindern vom Bahnhof Zoo", war hier eine Polizeiwache.

Zum Team gehören auch zwei Psychologinnen

Zum Team gehören zwei Psychologinnen und eine Sozialarbeiterin, ein Pädagoge, ein Hausmeister, eine Verwaltungskraft, eine Diakonisse und ein Mitarbeiter der mobilen Einzelfallhilfe, der viel auf der Straße arbeitet. Die Personalkosten teilen sich die Senatsverwaltungen für Soziales und Gesundheit, die Deutsche Bahn stellt die Räume 25 Jahre lang mietfrei zur Verfügung.

Dieses Zentrum verändert vielfältig die Arbeit der Stadtmission. Dass die sich am Zoo um Obdachlose kümmert, ist ja nicht neu. Aber am Beispiel von Viola Lange kann man gut zeigen, wie sich die Arbeit jetzt ändert. 

Bisher war die Psychologin vor allem auf der Straße und hat dort Obdachlose betreut. Der denkbar ungeeignetste Ort für Gespräche über sensible, persönliche Themen. Zu viele hören mit, zu viele quatschen unvermittelt dazwischen.

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Jetzt kann sie sich in der Beratungszimmer mit Elke Büdenbender zurückziehen, jetzt können sich die Betroffenen bedenkenlos öffnen, Rückzug in einen seelischen Schutzraum. „Wir können hier zwar keine Psychotherapie anbieten“, sagt die Psychologin. „Aber ich kann beraten und gut zuhören und psychologisch helfen.“ 

In ihrem Büro, in dem auch ihre Kollegin sitzt, steht auf dem Fensterbrett eine Vase mit einer Rose. Das Fenster liegt gleich neben dem Eingang. Zu den Obdachlose sagt sie liebevoll: „Da, wo die Blume steht, ist der Weg zu uns.“ Zur psychologischen Hilfe.

Eine Sozialarbeiterin hilft bei Behördengängen

Die Sozialarbeiterin kann einen Betroffenen an weitere Hilfssysteme vermitteln, sie kann bei Behördengängen helfen und Papierkram erledigen, alles in ruhiger, entspannter Atmosphäre. Die Arbeit von Viola Lange und ihrer Kollegin Dagmar Lutoslawska fällt unter eines der drei „B“s. „B“ wie „Beratung“. Wolfgang Nebel sagt: „Wir haben hier drei Bs.“

Das zweite B steht für Bildung, das dritte für Begegnung. Für die Bildung ist Torsten Schröder zuständig, ein hochgewachsener Pädagoge. Er organisiert zum Beispiel den Besuch von Schulklassen. 

Es kommen immer wieder Schüler und Schülerinnen, um sich über obdachlose Menschen und deren Schicksale zu informieren. Bisher quetschten sich diese Besucher in die engen Räume der Bahnhofsmission. Eine Atmosphäre für tiefergehende Gespräche ist das nur bedingt. 

Jetzt gibt es genügend Platz, entweder im Seminar- oder im Tagungsraum. Die Schirmherrschaft für den Bereich Bildung hat Elke Büdenbender übernommen. Es kommen aber auch noch ganz andere Besucher, Polizisten oder BVG-Mitarbeiter zum Beispiel. Sie lernen hier, wie man angemessen und respektvoll mit Obdachlosen umgeht. 

Jeden Mittwochnachmittag können aber auch Spontanbesucher auftauchen, Menschen, die seelische Probleme haben und Expertenrat suchen. Jeden Mittwoch bieten die beiden Psychologinnen eine offene Sprechstunde an. Jeder kann kommen, der ein Problem hat, egal, wer es ist. An der Eingangstür gibt es einen Hinweis dazu.

Die Schauspielerin Andrea Sawatzki wird im Zentrum eine Lesung abhalten

Bildung geht dann nahtlos in die Begegnung über. Wolfgang Nebel schwebt als ideales Bild eine Gruppe von Menschen vor, Besucher und Obdachlose, die gemeinsam Karten spielen. 

„Da interessiert dann nur, ob der andere die richtigen Karten spielt, nicht ob er obdachlos ist“, sagt Nebel. Oder sie bilden irgendwann einen Chor und singen Lieder. Andrea Sawatzki, die Schauspielerin, hat schon zugesagt, dass sie im Zentrum eine Lesung abhalten will. Sie wird einer dieser künstlerischen Anziehungspunkte sein.

Wer aber erstmal auf andere Weise Zugang zum Thema haben möchte, der kann sich die eindrucksvollen Bilder der Fotografin Deborah Ruppert ansehen, die im Zentrum ausgestellt werden. Portraits von Obdachlosen, die Gesichter würdevoll eingefangen, aber immer auch Dokumente eines harten Lebens. 

Im Sommer folgt die Ausstellung „Obdachlosigkeit in der NS-Zeit“. Wer ein anderes historisches Thema sucht, der muss bloß den Kopf heben. An der Decke hängen noch die Zellentüren der alten Polizeiwache. 

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