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Wolfgang Priewe

© privat

Nachruf auf Wolfgang Priewe: ’ne ganz verrückte Idee

Nach Auffassung seines Vaters war er ein Hallodri. Tatsächlich war seine Laufbahn wechselhaft. Aber auch außerordentlich produktiv

Eigentlich war er andauernd in Bewegung. Nicht unbedingt körperlich, in Sachen Sport zeigte er sich eher muffelig. Jeder Spaziervorschlag ermüdete ihn schon, erinnerte ihn zu sehr an die monotonen Sonntagsrunden der Kindheit. Aber geistig war Wolfgang ausnehmend wendig. Kam der Satz: „Ich hab da ‘ne ganz verrückte Idee“, wussten alle, jetzt geht es los. Zum Beispiel die Nähmaschinenaktion. 2004 hatte er gehört, dass in Sierra Leone Strom und Kleidung fehlen. Mit einem Berufsschullehrer gründete er das Projekt „Jung und Alt für eine Welt“, in dem Senioren und Berufsschüler begannen, für das Land mechanische Nähmaschinen zu sammeln.

Schnell kamen 150 dieser Geräte mit dem Fußpedal zusammen. Doch wie sollten die nach Sierra Leone kommen? Zufällig hörte Wolfgang, dass Horst Köhler, der Bundespräsident, demnächst in das westafrikanische Land reisen wollte. Er erzählte seiner zweiten Frau - insgesamt war er drei Mal verheiratet - davon, und sie meinte: Schreib dem doch mal! Er schrieb, Köhler antwortete und 50 erste Nähmaschinen flogen mit dem Präsidialstab Richtung Süden. 450 weitere, die Sammelaktion war inzwischen fortgeschritten, folgten. Und zwar im Zusammenhang mit einem anderen Projekt. Er hatte da schon 1987 „’ne ganz verrückte Idee“ gehabt: das „Werkhaus Anti-Rost“, in dem Leute über 50, meist aus dem Arbeitsleben ausgeschieden, Handwerkerdienste für sozial Schwächere anboten. Wolfgang selbst besaß im Übrigen zwei linke Hände.

Mit dem Werkhaus also und KfZ-Berufsschülern baute er eine mobile Schlosserwerkstatt, die zusammen mit den Nähmaschinen verschifft wurde, um Ausbildungs- und Arbeitsplätze in Sierra Leone zu schaffen. Und für all das gab’s, verliehen von Herrn Köhler, das Bundesverdienstkreuz.

Es wird schon alles gut gehen!

Von seinem Vater hatte Wolfgang das Bewegliche mutmaßlich nicht. Dem fehlte nach dem Krieg jeglicher Antrieb. Außer fürs Meckern und Abwerten. Der Sohn fragte etwas, irgendwas Harmloses, der Vater blaffte ihn an: Dumme Frage! Letztlich verachtete Wolfgang ihn. Er hatte vor dem Krieg beim Rundfunk gearbeitet und war in die NSDAP eingetreten. Ab 1945 bekam er beruflich nichts mehr auf die Reihe, bis auf ein Büchlein mit Naziliedern. Selbst zum Hamstern in der Hungerzeit schickte er Frau und Sohn und hing selbst schlaff zu Hause auf dem Sofa. Sein Sohn schien ihm mehr und mehr missraten, zwei Mal von der Schule geflogen, zwei Ausbildungen abgebrochen, und als der dann auch noch verkündete, Schauspieler werden zu wollen, bestand für ihn überhaupt kein Zweifel mehr daran, dass die neue Zeit ein einziger großer Schlendrian sei.

Aber es gab die Mutter, die ihren Sohn in allem bestärkte. Mach, mein Junge, es wird schon alles gut gehen! Und es ging auch gut. Wolfgang schloss sein Schauspielstudium ab und nahm für ein Jahr ein Engagement in Buenos Aires an, am dortigen deutschen Theater, gegründet von jüdischen Emigranten, wo er zum ersten Mal begriff, was sein Land angerichtet hatte. Nie wieder würde er sein politisches Bewusstsein verlieren; er protestierte gegen die alte und die neue Rechte. Der „Alternativen Liste“ schloss er sich an an, seine drei Kinder schleppte er mit zum 1. Mai, überall in der Wohnung pappten Aufkleber der Grünen.

Aus Argentinien zurück, 1961, spielte er im Reichskabarett, heute Gripstheater, im Hansa-Theater, an der Schaubühne, oft gesellschaftlich relevante Stücke, gab Büchners Danton, dessen Zeile: „Ihr durstet, und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken“, er mit großem Schwung auch außerhalb der Bühne aufsagte. Er hatte ein paar Fernsehauftritte, er synchronisierte. Allerdings mit etwas weniger Talent. Als er seine Stimme einem Cowboy zu geben hatte, wies ihn jemand im Studio darauf hin, dass Wildwestmänner eher nicht berlinern.

Wieder und wieder die eine oder andere ganz verrückte Idee

Das Schauspielerleben war, finanziell gesehen, ziemlich instabil. Man kann sich die höhnischen Bemerkungen des Vaters vorstellen. Nachdem Wolfgang 1967 seine erste Frau kennengelernt hatte, platzte der Vater in die Buchhandlung, in der sie eine Ausbildung machte, um auf sie einzureden, ja die Finger von diesem Hallodri zu lassen. Das Paar ignorierte die Unverschämtheit. Noch vor der Hochzeit starb der Vater.

Wolfgang studierte jetzt Sozialarbeit, hatte danach seinen ersten Job im „Haus der Mitte“ in Gropiusstadt, wo die Kinder vom Bahnhof Zoo ein und aus gingen. Aber letztlich war das doch nicht so sein Ding, er wechselte in die Erwachsenenbildung und lehrte an der Pädagogischen Hochschule.

1989 trennte sich seine Frau von ihm, und Wolfgang trauerte sehr. Heiratete ein zweites Mal. Sie bekam Krebs, überlebte die Krankheit nicht. Und Wolfgang trauerte, sehr. Verlor trotzdem nie diese vergnügte Beweglichkeit. Er traf seine dritte Frau, heiratete erneut.

Und hatte in solidem Rhythmus wieder die eine oder andere ganz verrückte Idee. Das Neueste war das Schreiben. Richtige Bücher. Oft mit Kapitalismuskritik. Eine Erzählung aus dem Leben eines Kohlenträgers. Oder Neuköllner Kneipengeschichten. Berührungsängste kannte er nicht, setzte sich an den Tresen, quatschte die Leute an, hörte zu, schrieb auf. 2021 besuchte er eine Lesung. Im Anschluss trat er auf den Verleger der „Dahlemer Verlagsanstalt“ zu: Er habe sich mal das Programm angeguckt und sei sich sicher, er passe da hervorragend hinein. Und noch während er sprach, überreichte Wolfgang dem Verleger sein Manuskript, „Jesus von Neukölln“, über einen langzeitarbeitslosen Schauspieler, der unter Obdachlosen in der Jesusrolle aufgeht. Das Buch erschien tatsächlich.

Doch das war’s noch nicht, das war nicht das Ende der Ideen. Am 31. Januar ist Wolfgang gestorben, am 28. Februar kam „Die Kohle muss weg“ heraus, sein neuestes Werk.

„Mach, mein Junge, es wird schon alles gut gehen!“

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