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Hans-Joachim Stanitzki

© privat

Nachruf auf Hans-Joachim Stanitzki: Es konnte ja immer was passieren

Das Sich-Kümmern, das Beschützen war ein Leitmotiv seines Lebens

Ein Mädchen aus Ost-Berlin macht einen Besuch. Es kauft Blumen und klingelt neugierig an der Tür einer Kollegin, um sich deren frisch geborenes Kind anzuschauen. Die Kollegin öffnet die Tür, Sylke tritt in die Wohnung und bemerkt sofort, dass noch ein anderer Gast da ist. Wie sich herausstellt, ein Freund des Mannes der Kollegin, der extra aus West-Berlin herüber gekommen ist, er möchte ebenso das Kind sehen. Hans erblickt Sylke, und die Sache ist auf der Stelle klar für ihn.

Also ruft er kurz darauf bei ihr an: „Hallo, hier ist Hans.“ Ihre ein wenig brüsk-berliner Antwort: „Kenn’ ich nicht.“ Doch dann fällt es ihr natürlich unverzüglich wieder ein. Die Dinge nehmen ihren Lauf.

Er kommt ab und an zu ihr, doch plötzlich ist es schon zehn nach elf, spätestens um zwölf hat er ja wieder drüben zu sein, sonst gibt’s die größten Nervereien. Dabei wollen sie doch nur zusammen sein, auf jeden Fall etwas länger, auf jeden Fall etwas enger, da muss doch auf die Dauer was zu machen sein.

Sie machen etwas, auf dem offiziellen Weg. Sylke stellt einen Ausreiseantrag. Doch die Genossen bleiben stur. Sylke ist kurz davor aufzugeben. Aufgeben?, echauffiert sich Hans. So weit kommt’s noch, dass diese unsäglichen politischen Verhältnisse die große Liebe verhindern. Er kümmert sich.

Eine Nacht- und Nebelaktion

Was folgt, ist eine äußerst gefährliche Nacht-und-Nebel-Aktion, die ihn 30.000 Mark kostet. Es ist das Jahr 1977, Sylke muss erst nach Karl-Marx-Stadt, dann dort in der Dunkelheit durch einen Wald zu einem Autobahnparkplatz wo ein Wagen mit einem Fluchthelfer auf sie wartet. Sie quetscht sich in den Kofferraum des Diplomatenfahrzeugs, ihr Herz hämmert, der Wagen fährt los, jedes Schlagloch ein Stoß in ihren zusammengekrümmten Körper. Sie weiß nicht, wie lange sie schon unterwegs ist, als das Auto endlich anhält. Die Kofferraumklappe geht auf, ihr Herz trommelt. Sind sie noch vor der Grenze, an der Grenze, oder schon dahinter? Sie haben die Grenze am Übergang „Drei Linden“ überquert, sie befinden sich in West-Berlin. Hans schließt Sylke in die Arme.

Das Sich-Kümmern, das Beschützen war ein Leitmotiv seines Lebens, von Anbeginn an. Er kam zur Welt, und eine kleine Weile darauf folgte Ursula, seine Zwillingsschwester. Wehe dem, der es wagte, sie auch nur schief anzusehen.

Die Zeiten damals verlangten auch nach Schutz. Bomben und Flucht, raue Verhältnisse zwischen den Ruinen. Das erste zugewiesene Zimmer für die Familie in Berlin, bei Frau Saupe, einer schrecklichen Person, die den Kindern wie eine Hexe erschien. Dann endlich eine eigene Wohnung, im Ostteil der Stadt. Die Kinder spielten auf der Straße. Hans, der Tausendsassa, der eine Bande anführte, ein kleiner Berliner Boss.

Zur Schule gingen beide in West-Berlin, mit dem ganzen Trara an der Grenze, Schultaschen zur Kontrolle auf, damit ja nichts vom sündhaften Westen in den sittlichen Osten gelangte. Ein paar Tarzan-Heftchen übersahen die Beamten.

Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 beschloss ihr Vater, mit der Familie in den Westen zu ziehen, 1956 wurde dem Ausreiseantrag stattgegeben.

Nach der Mittleren Reife absolvierte Hans eine Ausbildung zum Fernmeldemechaniker, musste Telefonkabel verlegen, auch in den Grunewaldvillen bei gelangweilten Damen, die immerhin nicht mit dem Trinkgeld geizten. Eine abgeschlossene Ausbildung war die Voraussetzung, um das zu machen, was ihm eigentlich vorschwebte: Feuerwehrmann. Jemand, der sich kümmert, jemand, der beschützt. Mehr als 40 Jahre lang. In der „Feuerwache Urban“ in Kreuzberg.

Als Feuerwehrmann macht man alles: Von der ängstlichen Katze, die in einem Anfall von Mut auf einen Baum geklettert ist, sich aber nicht mehr heruntertraut, bis zu den verheerendsten Bränden mit den schlimmsten Folgen. Meist kann man helfen, manchmal auch nicht. Hans hat Sachen gesehen, die andere sich nicht einmal vorstellen können.

Mit den Bildern, die sich tief in den Kopf gruben, musste er allein zurechtkommen. Supervision, damals ein Fremdwort. Hans sprach kaum über das Grauen. Umso wichtiger die entspannende Routine, wenn er nach einer 24-Stunden-Schicht zur Tür hereinkam, sich einen Kaffee kochte, ein Frühstück bereitete, sich setzte und den unberührten Tagesspiegel Seite für Seite umblätterte.

Wegen des Schichtdienstes hatte Hans oft tagsüber Zeit, anders als andere Väter, und kümmerte sich um Mareen, die Tochter, die zwei Jahre nach der Flucht zur Welt gekommen war. An einem 13. August, als hätten Hans und Sylke der DDR ein zweites Schnippchen schlagen wollen.

Zu Weihnachten durften die Kinder mit auf die Feuerwache, durften probeweise mit dem Schlauch spritzen und die Stange herunterrutschen. Nur Mareen nicht, nein, das sah er nicht gern, da machte er sich zu viele Sorgen, es konnte ja immer etwas passieren, er musste doch seine kleine Tochter beschützen. Die kleine Tochter hingegen ging zum Fasching als Feuerwehrmann, in Hans’ originalem Feuerwehrhemd.

1989 unternahmen Hans und Sylke eine Reise, tausende Kilometer von Berlin weg, nach Australien. Es war November, sie saßen in einer schicken Hotelsuite, der Fernseher lief. Sie guckten flüchtig auf den Bildschirm, sahen glücklich weinende Menschen zwischen DDR-Grenzbeamten, schüttelten ein bisschen die Köpfe über die Fantasie der australischen Filmemacher, guckten noch einmal hin, genauer jetzt. Das konnte doch nicht sein. Nein, keine Fiktion, die unfassbare Realität...

Mit Ende 50 hörte Hans auf zu arbeiten, das Feuerwehrmanndasein zerrte zu sehr an seinem Körper, am Rücken. Er fuhr Rad und Ski, er kaufte ein für die Damen eines Nachbarschaftsheims, die ihn allesamt anhimmelten, er mähte den Rasen der Wohnanlage, begann, mehr zu sitzen als zu gehen, die Schmerzen ließen einfach nicht nach. Und doch sah er so jung aus, bis zum Ende, kein Mensch kam auf die Idee, dass er schon über 80 war.

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