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Michael Müller, voraussichtlich nächster Regierender Bürgermeister Berlins: Er ist jetzt der Boss.

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Fragen an den künftigen Bürgermeister von Berlin: Michael Müller - Sieger des leblosen Trios

Hatice Akyün hat an die Berliner SPD ein paar unbequeme Fragen - und an Michael Müller persönlich. Zum Beispiel: Kann er Dienstpläne schreiben und Vorgaben machen?

Politik ist, wenn die, die wollen, nicht können; die, die dürfen, nicht wollen; und die, die können, nicht dürfen. Nun komme ich ja aus einer der Herzkammern der Sozialdemokratie im Ruhrgebiet, habe mich aber trotzdem nie in dieser Partei engagiert. Zu filzig, zu verschworen, zu wenig Bewegung und zu vieles, was in Hinterzimmern beschlossen wird.

Es drängt sich mir der Eindruck auf, dass der Berliner SPD nun vollends die Luft ausgeht. Nachdem der Sieger des leblosen Trios gekürt ist, frage ich mich, ob wir es mit denen zu tun haben, die zwar wollen, aber nicht können. Was auch erklären würde, warum Zöllner und Nußbaum Importe waren. Oder eher mit denen, die können oder zumindest konnten, aber jetzt nicht mehr wollen, wie Wowereit? Und gibt es da draußen womöglich noch welche, die schlichtweg nicht dürfen, weil sie es versäumt haben, sich als vorzeigbare Sowohl-als-auch-Genossen im vorauseilenden Gehorsam zu positionieren?

Wo sind die Eigengewächse?

Gut, Berlin ist offen, aber warum schafft es diese Partei nicht, Schlüsselposten in der Stadt mit Eigengewächsen zu besetzen? Gibt es sie nicht oder wurden sie vorher weggebissen, weil der Gang durch die Ebenen nur die Konsensgenossen hochkommen lässt?

Irgendwie war ja klar, dass Müller es werden würde. Steckt doch in seinem Noch-Posten das Wort Stadt und Entwicklung. Er kennt die Partei, die ihn abgeschossen hat, und die Fraktion, die ihn loswerden wollte. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, heißt es bei Hermann Hesse. Müller kommt von der Realschule, machte eine kaufmännische Lehre und wurde Drucker. Wer von unten kommt, macht keine dicken Backen, aus Angst, sein Pullover, seine Socken, oder seine Essgewohnheiten könnten ihn verraten. Er ist ein Handwerker, bislang nach Vorgaben von oben.

Früher trug man Politiker mit der Trage hinaus

Als Politiker war Müller so Gürtel und Hosenträger zugleich, dass sie ihn deshalb locker vom Landesvorsitz wegputschen konnten. Aber vielleicht ist genau das jetzt seine Geheimwaffe. Ihm wurde so oft ein Bein gestellt, dass, wenn er nicht verbittert ist, er oben und unten gut kennt. Bisher musste er es allen recht machen, damit sie den Underdog mitspielen lassen. Nun ist er der Boss. Hat er diese Herausforderung vom Erfüller zum Verlanger schon mal im Kopf durchgespielt, sich emanzipiert von der nur dienenden Rolle? Kann er Dienstpläne schreiben und anderen Vorgaben machen?

Und was bitte ist davon zu halten, dass ein Finanzsenator mit Verweis auf sein Alter hinschmeißt, zehn Jahre vor der Altersgrenze von Arbeitnehmern, 20 jünger, bevor Adenauer Kanzler wurde? Früher trug man Politiker auf der Trage hinaus, zwar auch nicht im Sinne des Erfinders, aber sie haben es zumindest durchgezogen. Wenn man aber Politik, die Macht auf Zeit, wie eine distanzierte, leidenschaftslose Nützlichkeit betreibt, etwa wie ein geleastes Firmenfahrzeug, dann fehlt die letzte Konsequenz, der letzte Ruck. „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, fasste es Max Weber treffend zusammen.

Politik ist auch, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, und die anderen auch nicht, um sie dann in wichtigen Dingen merken zu lassen, dass man doch eine Nasenlänge voraus ist. Ich aale mich nicht in Larmoyanz, also geben wir Michael Müller eine Chance. Oder wie mein Vater sagen würde: „Köprüyü gecene kadar ayiya dayi derler.“ Bis man über die Brücke ist, muss man zum Bären Onkel sagen.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Immer montags schreibt sie für den Tagesspiegel über ihre Heimat.

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