zum Hauptinhalt
Die Lanke fließt heute nur noch unterirdisch durch eine Röhre.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Lankwitz: Wo ein Bach begraben liegt

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 47: Lankwitz.

In Lankwitz residierten einmal das Berliner Tierheim, das Publizistik-Institut der FU und die älteste Frau Deutschlands. Das Tierheim liegt seit 2001 in Falkenberg, die Publizisten zogen 2007 nach Dahlem um, im selben Jahr verschied die 112-jährige Greisin. Seitdem ist es etwas still geworden um Lankwitz.

Bei meinem Besuch spiegelten sich im Teltowkanal Einfamilienhäuser. Ein Habicht kreiste über Kleingärten an der Eislaufbahn. Auf dem Hundetrainingsplatz nebenan standen ein paar Herrchen, Frauchen und Hündchen im Kreis. „Ganz richtig gemacht“, hörte ich die Ausbilderin rufen. „Der Hund bleibt sitzen, der Mensch geht immer zuerst durch die Tür.“

Im Gemeindepark joggte mir ein Mann über den Weg, der außer Shorts, Turnschuhen und einer Sonnenbrille nichts am Leib trug. Sein Pferdeschwanz klatschte ihm rhythmisch auf den nackten Rücken, vor seinem Mund bildeten sich Atemwölkchen – es war ein beißend kalter Januarmorgen. „Das macht der jeden Tag“, sagte ein Passant, der meine erstaunten Blicke bemerkte. „Härtet sich ab. Russe wahrscheinlich. Oder bei ’ner Eliteeinheit, wer weiß.“

Keine Lanke, kein Witz

Ich hatte den Park auf der Suche nach einem Witz betreten – einem Lankwitz, Sie verstehen? Doch alle Spaziergänger, die ich ansprach, erwiderten schüchtern, sie seien schlechte Witzeerzähler. Ich bin gespannt, ob ich in Schmöckwitz (Folge 76 der Kolumne) mehr Glück haben werde. Ähnlich wie mit den Witzen verlief meine Suche nach der Lanke. Niemand konnte mir sagen, wo der Bach, dem Lankwitz seinen Namen verdankt, zu finden ist. Erst nach langem Irren entdeckte ich am Westende der Charlottenstraße einen Markierungsstein mit der Inschrift „Lanke-Quelle“. Doch weit und breit war kein Wasser zu sehen – der Stein wirkte wie ein Grabstein. Genau das war er auch, wie eine Netzrecherche ergab: Man hatte die Lanke vor Jahrzehnten begraben. Sie fließt heute nur noch unterirdisch durch eine Röhre, die das Quellwasser in den Teltowkanal leitet.

Lankwitz: der Ortsteil, in dem man keine Witze und keine Lanke findet.

Früher befand sich in Lankwitz das Berliner Tierheim.
Früher befand sich in Lankwitz das Berliner Tierheim.

© Jens Mühling

Während ich weiterging, fragte ich mich, wo der Bach wohl einst verlaufen war. Und entdeckte, als ich genau hinsah, einen schmalen, mit Laub gefüllten Graben. Konnte es das alte Bachbett sein? Neugierig folgte ich ihm. Nach hundert Metern endete es vor einer Neubauzeile. Ich umrundete sie – dahinter setzte sich der Graben fort. Er kurvte zwischen den Häusern hindurch, verschwand abrupt, tauchte wieder auf, verschwand erneut. Oft dauerte es lange, bis ich erriet, in welchem Straßenzug ich ihn wiederfinden würde, aber als ich an einer Stelle eine steingefasste alte Waschstelle entdeckte, hatte ich keine Zweifel mehr: Vor mir lag die verschwundene Lanke. Und während ich ihrem mäandernden Lauf folgte, tauchten vor meinem inneren Auge plötzlich die Umrisse des Dorfs Lankwitz auf, das einst an den Ufern dieses Bachs gestanden haben musste, bevor die Großstadt beides unter sich begrub.

Man müsste eine Geschichte der verschwundenen Berliner Wasserläufe schreiben, dachte ich, während ich mich fragte, wer in der Lanke wohl einst Wäsche gewaschen hatte, welche Kinder ihr Schiffchen treiben ließen, wie viele Liebespaare hier umschlungen im Schilf lagen.

Fläche: 6,99 km² (Platz 52 von 96)

Einwohner: 42 353 (Platz 28 von 96)

Durchschnittsalter: 46,8 (ganz Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Arvo Pärt (Komponist),

Marianne Rosenberg (Sängerin)

Gefühlte Mitte: Dreifaltigkeitskirche

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false