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Sängerin AnniKa von Trier vor der Berliner Volksbühne.

© Georg Moritz

Kleinkunst an der Volksbühne: Gesellschaftskritik mit dem Akkordeon

Sängerin Annika von Trier sieht sich in der Rolle des Hofnarren: Mit schrägem Blickwinkel auf die Gesellschaft schreibt sie amüsante Lieder.

Ein Café am Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte. Die Gäste suchen unter wenigen Schirmen Zuflucht vor der Vormittagssonne. Auch Sängerin Annika Krump sitzt hier, bei Orangensaft erzählt sie von den 90er Jahren im Osten Berlins. Spärlich beleuchtete Straßen, unsanierte Altbauten, günstige Mieten. Mittendrin die Volksbühne. Kurz nach der Wende bekommt das geschichtsträchtige Theater einen neuen Intendanten. Frank Castorf ist bekannt für seine Unberechenbarkeit, die damals 21-Jährige tief beeindruckt von seinen wilden Inszenierungen. Ein Studienprojekt bringt sie zur Volksbühne. „Erst war ich schockiert, dann begeistert. Bei der Antrittsrede vor versammelter Mannschaft zu sagen: ‚Also, ick weeß ja och nich', das fand ich authentisch.“

Diese Vagheit ist ungewohnt für die junge Kulturmanagementstudentin aus Trier. Doch Krump fühlt sich gleichzeitig zu Kreativität und Experimentierfreudigkeit hingezogen. Sie wird Hospitantin, später Regieassistentin. Der Geist dieser Tage erinnert sie an die Berliner Tingeltangel-Kultur der 20er und 30er Jahre, die sie schon lange fasziniert hat. Schon bald fängt sie an, eigene Bühnenprogramme zu kreieren. Ein Vorbild ist Claire Waldoff, mit der sie neben dem Vorsatz, unbedingt „vom Leben“ singen zu wollen, die Eigenheit verbindet, als Westdeutsche manchmal zu berlinern. „Wenn Leute mich damals für eine Ostberlinerin hielten, war ich stolz drauf“, sagt sie und lacht.

In Berlin steht die Welt Kopf

Die Liebe zu ehrlicher und direkter Unterhaltung zieht sich wie ein roter Faden durch Krumps Leben. In der Kleinkunstszene ist sie gut vernetzt. Bis heute veranstaltet sie regelmäßig Salons, zu denen sie befreundete Künstler einlädt, Lyrik vertont und seit Neuestem auch eigene Lieder vorträgt. Mittlerweile sei sie an einem Punkt angekommen, an dem sie sich nicht mehr hinter ihren Kunstfiguren verstecken will. Diese Offenheit spiegelt sich auch in ihrem neuen Bühnennamen: AnniKa von Trier.

Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Nach dem Abitur ging es 1989 zunächst für ein Malereistudium nach Clermont-Ferrand in Frankreich. Dort angekommen, stellte sie fest, dass in Berlin die Mauer gefallen war. „Ich dachte, ich kann doch nicht hier in der Provinz rumsitzen und malen, wenn dort die Welt auf dem Kopf steht.“ Also zog sie nach Berlin, doch ihre Liebe zur französischen Kultur, insbesondere zum Chanson merkt man ihrer Musik bis heute an. In der Großstadt angekommen, streifte sie unter dem Namen Palma Kunkel, die singende Tellermine, benannt nach einem Gedicht von Christian Morgenstern, durch die Kellerkneipen. Frühe Programme wie „Schlageranfall“ waren Ausflüge in die Geschichte des Berliner Kabaretts, von dadaistisch bis rotzfrech-ordinär. Gleichzeitig arbeitete Krump eng mit der Volksbühne zusammen und kooperierte unter anderem mit Carl Hegemann und Christoph Schlingensief. Später kamen Varieté-Programme im Chamäleon, weitere Kunstfiguren und zuletzt ein neuer Salon: der Geheimclub im Untergrundmuseum.

Über den Wahnsinn der Digitalen Bohème

Ihre Rolle sieht sie dabei bis heute als die eines Hofnarren: „Es geht darum mit einem schrägen Blickwinkel auf die Gesellschaft zu schauen und aus einer anderen Perspektive heraus eine Wahrnehmung zu spiegeln.“ Wenn man dies auf eine unterhaltsame Weise tue, könne man die Menschen vielleicht zum Nachdenken anregen. Auf diese Weise näherte sich Krump schließlich auch dem Schreiben eigener Lieder. Die Texte auf ihrem neuen Album „Gerade Jetzt – Urbane Lieder“ verhandeln die Stadt der Gegenwart und ihre Bewohner, zwischen der geheimnisvollen Genugtuung beim „Windowshopping“ und dem 24/7-Erreichbarkeits-Wahnsinns einer Digitalen Bohème“.

Begleitet werden die Stücke stets von Krumps Stamminstrument, einem Akkordeon. Es komme vor, dass Menschen sich nach Konzerten erleichtert darüber äußerten, dass ihre Musik so überhaupt nicht in die Sparte der Heimatmusik falle. Was sie in ihrem Gesang nicht ausdrücken könne, sagt sie, mache sie mit dem Akkordeon. So entstehe ein Dialog, ein Hin und Her zweier atmender Stimmen, der ihren Liedern eine besondere Qualität verleiht. Auf das am Straßenrand deponierte Instrument stieß sie zufällig in den frühen 90er Jahren. Unheimlich viele Leute im Osten haben sich neue Möbel besorgt und Altes weggeworfen, weil es plötzlich alles Mögliche zu kaufen gab“, berichtet Krump. „Eine Zeit lang konnte man sich so die komplette Wohnung einrichten.“

„Damals war es die fête de la vie"

Überhaupt, der Wandel. In Berlin Mitte ist vieles nicht mehr so wie früher. „Damals war es die fête de la vie, heute ist es die fête de la boutique“, kommentiert sie. Die Volksbühne, das Mutterhaus, bekommt nach 25 Jahren einen neuen, umstrittenen Intendanten. Die wilden Jahre scheinen damit auch am Rosa-Luxemburg-Platz endgültig vorbei zu sein. Das findet Krump auf der einen Seite schade, sie sehnt sich nach dieser Zeit aber nicht zurück. „Vielleicht war die kreative Szene damals freier, dafür fühle ich mich heute freier denn je.“ Über den Streit um den im Herbst antretenden Museumskurator Chris Dercon sagt sie, man solle ihn an seinen Taten messen. Bedenken hat sie trotzdem. Dass Bert Neumanns ikonisches Räuberrad der Volksbühne Berlin, wie sie von nun an heißt, erhalten bleibt, kommt für sie nicht infrage. Es transportiere als Logo eine Lebenshaltung und Inhalte, die an die Castorf'sche Ära gebunden seien. Die Volksbühne sei aber auch zur Projektionsfläche und zum Sinnbild für die Veränderungen in der Stadt geworden. Deshalb, glaubt Krump, sei die Debatte so emotional geführt worden.

Vor dem Theater hat sich mittlerweile eine Menschentraube gebildet. Der Vorverkauf für Castorfs letzte Inszenierung beginnt in Kürze. „Ich geh noch mal rüber“, sagt sie und läuft quer über den grün bewachsenen Platz, der nach der Wende einmal in Bülowplatz umbenannt werden sollte – seinen Namen aus Weimarer Zeit. Deshalb wollte die Volksbühne zumindest durch ihren Namen an die ermordete Kommunistin erinnern. Auftreten wird sie hier auch noch einmal. Zur Albumveröffentlichung am 30. Mai, zusammen mit dem Schlagzeuger Kalle Mews.

Der Tagesspiegel verlost zwei Mal zwei Karten für das Konzert. Bitte schicken Sie bis zum heutigen Montag um 15 Uhr eine Mail mit dem Betreff „Urbane Lieder“ an verlosung@tagesspiegel.de. Name und Telefonnummer nicht vergessen!

Frederic Jage-Bowler

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