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Franziska Bartels (an der Tafel) und die pädagogische Stützkraft Denise Bawey betreuen inklusive Klassen.

© Evangelische Schule Berlin Mitte

Inklusion trotz Geldnot: Wie eine Berliner Schule im Alltag improvisieren muss

Um Kinder mit erhöhtem Förderbedarf betreuen zu können, ist die Schulleiterin einer Schule in Mitte auf kreative Lösungen angewiesen. Legal sei das eigentlich nicht, heißt es.

Von Louise Otterbein

Marie sucht einen Locher. Als sie ihn gefunden hat, stellt sie ihn konzentriert ein und versichert sich noch einmal: „DIN A4?“ Denise Bawey nickt. „Genau, DIN A4 brauchen wir“, sagt sie und hilft der Zweitklässlerin beim Einheften. Die Siebenjährige hat Trisomie 21 und besucht eine der inklusiven Klassen an der Evangelischen Schule Berlin-Mitte.

Denise Bawey ist pädagogische Stützkraft an der freien Grundschule und steht Marie jeden Tag helfend zur Seite. Dass Marie diese Unterstützung bekommt, ist allerdings nicht selbstverständlich. Denn als freier Schule stehen der Einrichtung nicht die gleichen Mittel zur Verfügung wie den staatlichen Schulen. Das Land übernimmt nur 93 Prozent der allgemeinen Personalkosten, der Rest muss über Elterngelder finanziert werden. Die Geldnot ist besonders beim Thema Inklusion zu spüren.

Inklusion betrifft nicht nur Kinder mit geistiger Behinderung

„Zur Beschulung von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf haben wir derzeit nur halb so viele Lehrstunden zur Verfügung wie staatliche Schulen“, sagt Schulleiterin Kerstin Hagedorn. Das seien vier Stunden pro Kind, das reiche natürlich nicht.

Dies betrifft allerdings nur Kinder mit einem sogenannten GE-Status, also einem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“. An der Evangelischen Grundschule in Mitte sind es derzeit sieben Kinder. „Inklusion wird immer an GE-Kindern festgemacht, aber das sind ja längst nicht alle“, sagt Hagedorn. Insgesamt seien es in diesem Schuljahr 29 Kinder mit erhöhtem sonderpädagogischen Förderungsbedarf. „Diese Kinder sind verhaltensauffällig, zum Beispiel aufgrund von Traumata, und haben meist den Status ,Emotionale und Soziale Entwicklung’, kurz EmSoz.“

Inklusion hat viele Facetten.

© dpa/Jonas Güttler

Diese Kinder sind normal in die Regelklassen und den Unterricht eingebunden und brauchen keine ständige Unterstützung, haben aber Anspruch auf zweieinhalb Stunden sonderpädagogische Förderung. Da dies aber nicht vom Land refinanziert wird, halbiere der Träger der Schule, die Evangelische Schulstiftung, diese Stunden. „Wir haben nur eine Sonderpädagogin, das ist schon für die Unterstützung der anderen Kinder sehr wenig“, sagt Hagedorn. An die sonderpädagogische Begleitung der Kinder mit GE-Status sei da gar nicht zu denken – diese Aufgaben übernehmen deshalb alle Pädagoginnen mit.

Um Inklusion trotzdem zu ermöglichen, hat sich die Schule ein Konzept überlegt. An der Schule gibt es für die sieben Kinder mit Trisomie 21 vier pädagogische Stützkräfte. Insgesamt sind es vier inklusive Klassen – pro Klasse zwei beziehungsweise ein Kind, die auf die ständige Unterstützung angewiesen sind.

Diese Kinder brauchen mehr Aufmerksamkeit.

Denise Bawey, pädagogische Stützkraft

„Wir haben es über Umwege geschafft, die vier Stützkräfte mit einzubringen. Das sind nämlich eigentlich Erzieherstellen“, sagt Hagedorn. Da die Grundschule ganztägig Kinder betreut, werden Mittel aus dem Hort genommen, um die Betreuung zu gewährleisten. „Das, was wir machen, ist eigentlich nicht legal: Wir nehmen Mittel aus dem Nachmittag mit in den Vormittag.“ Daher sei es auch so wichtig, dass immer zwei Kinder mit Trisomie 21 in einer Klasse sind, um auch noch Mittel für den Nachmittag zu haben.

Da es an der Evangelischen Grundschule Berlin-Mitte jahrgangsübergreifende Klassen gibt, ist auch die Erstklässlerin Vida in Maries Klasse. Sie ist das zweite Kind mit erhöhtem Förderungsbedarf in der Gruppe. „In bestimmten Fächern haben wir separate Gruppen für die Kinder mit Trisomie 21, zum Beispiel in Mathe“, sagt Bawey, die die beiden betreut.

Dort werden andere Methoden zum Erlernen angewandt, die auf die Fähigkeiten der Kinder angepasst sind. In vielen Fächern können sie aber mit den anderen Schüler:innen zusammen unterrichtet werden. „Grundsätzlich brauchen diese Kinder aber natürlich mehr Aufmerksamkeit als die anderen.“

Die Politik soll freie Schulen als echten Partner ansehen

Hagedorn freut sich, dass sie Inklusion an ihrer Schule ermöglichen kann. Das sei auch dank des Fördervereins möglich, durch den regelmäßige Spenden generiert werden. Trotzdem wünscht sie sich Veränderung, nicht nur auf politischer Ebene. „Uns gegenüber gibt es viele Vorurteile: hier würden nur die Reichen unterrichtet, Inklusion würde nicht ausreichend gefördert und so weiter. Aber so ist das nicht“, sagt sie. Das Schulgeld sei an das Einkommen der Eltern angepasst, doch es gebe auch die Möglichkeit, einen Antrag auf Befreiung zu stellen. Das werde auch immer wieder in Anspruch genommen.

Die Schulleiterin wünscht sich, dass die Politik die freien Schulen als echten Partner ansehe und dementsprechend Mittel zur Verfügung stelle. „Wir wollen inklusiv sein und die Gesellschaft so abbilden, wie sie ist“, sagt sie. Doch ohne die entsprechenden Mittel vom Land sei das eben schwierig.

Natürlich sei die Idealvorstellung, so viele Kräfte bezahlen zu können, dass für alle mit erhöhtem Förderbedarf gesorgt sei und es nicht auf das einzelne Kind ankäme – doch das liege in weiter Ferne. „Erstmal hoffen wir, so viel Geld zu bekommen, wie es die Zumessung des Senats besagt“ – also in Bezug auf Inklusion mit staatlichen Schulen gleichgestellt zu werden. Das würde für die Schule, die Eltern und Kinder eine große Erleichterung bedeuten.

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