zum Hauptinhalt
Mein Haus, mein Garten, mein Stuhl. Wolfgang Wölfer kämpft für den Erhalt der Kleingartenanlage „Alte Baumschule“ am Volkspark Schönholzer Heide.

© Kitty Kleist-Heinrich

Stadtentwicklung: Immer mehr Kleingärten sollen Bauprojekten weichen

Immer mehr Kleingärten sollen Bauprojekten weichen, immer mehr Widerstand regt sich dagegen. Auch in der ältesten Anlage Pankows geht die Angst vor Veränderung um. Ein Wochenendbesuch.

So viel Idylle ist fast unverschämt. Weiße Wolkentupfer zieren den blauen Himmel, in der Luft liegt Fliederduft und Vogelgezwitscher. So kann sich Glück in der Großstadt anfühlen. Genauer, am Rande der Großstadt: im beschaulichen Pankower Ortsteil Niederschönhausen, in der Kleingartenanlage „Alte Baumschule“ direkt am Volkspark Schönholzer Heide.

Wolfgang Wölfers Teil vom Glück befindet sich in Parzelle 164, wenige Meter vom Zingergraben entfernt, in dem das Wasser zwei Hand tief vor sich hinplätschert. Wölfer – 75, groß, knorrig, Aktentasche unterm Arm – schließt das Tor zu seinem Garten auf: Rechter Hand blühen Tulpen, linker Hand steht ein alter Apfelbaum, wilder Wein rankt am Vorbau seiner Laube. Die sei noch im Originalzustand, erzählt Wölfer, nur die Außenhülle habe er erneuern müssen. „Aber hier, die Fenster“, sagt er und fährt mit dem Zeigefinger über das Glas, „noch von früher.“

Von früher: Das ist bald ein Jahrhundert her. Der Pachtvertrag für Parzelle 164 ist datiert vom 27. Dezember 1913: „50 Quadratruten Laubenland zum Preis von 50 Pfennig pro Quadratrute“. Mit ihrer Unterschrift verpflichteten sich Wölfers Urgroßeltern gegenüber dem damaligen Generalpächter zur „Aufrechterhaltung der Sittlichkeit“, „Hühner, Hunde, oder sonst ihm gehörende Tiere nicht frei herumlaufen zu lassen“ und „von Schusswaffen auf dem Acker keinen Gebrauch zu machen“. Auflagen aus einer anderen Zeit, von Generationen übernommen.

Die „Alte Baumschule“ ist die älteste Kleingartenanlage im Altbezirk Pankow, länger existieren im neuen Großbezirk nur zwei Schrebergartenkomplexe: „Am Steinberg“ in Weißensee seit 1899 sowie „Bornholm I und II“ in Prenzlauer Berg seit 1896. Doch kurz vor dem 100-jährigen Jubiläum kommt nun die Nachricht, dass ein Großteil des Areals verkauft werden soll: 95 Prozent der Anlage sind in Privatbesitz und gehören einer Erbengemeinschaft, die aus 98 Teileigentümern besteht. Die leben laut Auskunft des Bezirks in der ganzen Welt verteilt, von Israel bis Australien. Weil ihnen das Baurecht verwehrt worden ist, haben sie sich entschlossen, 200 der 300 Parzellen am 13. Juni versteigern zu lassen. Das Mindestgebot für die 115 000 Quadratmeter wird im Katalog der Deutschen Grundstücksauktionen AG mit 1,2 Millionen Euro angegeben.

„Die können mit der Kleingartenanlage nichts anfangen und wollen das einfach loswerden“, glaubt Jens-Holger Kirchner, Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung. Loswerden, Verkauf, Eigentümerwechsel – bedeutet das wieder Veränderung, Verlust, Verdrängung? Beispiele dafür gibt es. In der wenige Kilometer entfernten Brehmestraße etwa, wo trotz zahlreicher Protestaktionen 18 Kleingärten dem Wohnprojekt „Himmel und Erde“ weichen mussten, weil das Areal zu Bauland erklärt worden war. Oder in Neukölln und Treptow, wo 300 Parzellen zugunsten der A 100 planiert wurden (siehe Kasten).

Wolfgang Wölfer, zugleich Vorsitzender der Gartenfreunde Pankow, hat sich mit dem Auktionshaus in Verbindung gesetzt und darauf hingewiesen, dass ein unbefristeter Generalpachtvertrag für das Areal gelte. „Am Bestand der Parzellen und an bestehenden Verträgen kann nicht gerüttelt werden.“ Es gebe keinen Grund zur Sorge. Das sagt auch Kirchner. Der Grünen-Politiker betont, dass der Bezirk seine 73 Kleingartenanlagen schützen wolle. Die „Alte Baumschule“ sei im Flächennutzungsplan als Grünfläche ausgewiesen und daher planungsrechtlich nicht bebaubar. Aber natürlich könne das Land Berlin auf dieser Fläche zum Beispiel Wohnraum schaffen. Dafür müsse ein Bebauungsplan aufgestellt werden. „Das ist völlig theoretisch.“

Kirchner glaubt ohnehin, dass die größte Gefahr nicht von einem neuen Eigentümer, dem Bezirk oder Land ausgehe, sondern von Kleingärtnern selbst. „Wer denkt, dass er ein Einfamilienhaus hat oder ein Wochenendgrundstück, der irrt.“ Denn im Bundeskleingartengesetz steht: Lauben dürfen nicht mehr als 24, Parzellen nicht mehr als 400 Quadratmeter groß sein; zudem müssen 30 Prozent der Fläche durch Gemüse- und Obstanbau bewirtschaftet werden. Die Einhaltung dieser Auflagen überprüft der Bezirk.

Wolfgang Wölfers Parzelle in der „Alten Baumschule“ war einst doppelt so groß. Wegen des alten Pachtvertrags. Vor einiger Zeit hat er die Hälfte der Fläche abgegeben. Weil er und seine Frau mit der Bewirtschaftung nicht mehr hinterherkamen. Und weil sie einer jungen Familie auch ein Stückchen Kleingartenglück ermöglichen wollten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false