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Jedes zweite Berliner Kind spricht zu Hause kein Deutsch. Ohne Kitabesuch oder eine andere Frühförderung ist der Schulerfolg von Anfang an erschwert.

© Getty Images/Sean Gallup

Update

Förderpflicht für Berliner Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen: Jetzt soll das „Kita-Chancenjahr“ den Durchbruch bringen

Seit 17 Jahren will Berlin erreichen, dass keine Kinder ohne Deutschkenntnisse eingeschult werden. Nun legte Jugendsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) ein neues Konzept vor.

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Die für den Schulerfolg unerlässliche Sprachförderung im Kitaalter soll künftig alle Berliner Kinder erreichen – auch jene, die keine Kita besuchen. Dafür soll das verpflichtende „Kita-Chancenjahr“ sorgen, bei dem 35 Stunden Förderung pro Woche absolviert werden sollen. Am Donnerstag erläuterten Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch und Staatssekretär Falko Liecke (beide CDU), wie sie das Ziel erreichen wollen.

Demnach sollen ab dem Kita-Jahr 2025/2026 alle Kinder im Alter von drei Jahren automatisch einen Kita-Gutschein zugesandt bekommen. Für Kinder, die daraufhin nicht in eine Kita gehen und später bei der Sprachstandfeststellung Defizite aufweisen, greift dann das „Kita-Chancenjahr“.

Wir wollen, dass die schulgesetzlich verpflichtende Förderung für Kinder mit Sprachförderbedarf endlich zielgerichtet und konsequent umgesetzt wird.

Bldungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU)

Nach Angaben der beiden Politiker stehen bei dem neuen Vorgehen nach jetzigem Stand jährlich rund 2000 Kinder im Fokus, die keine Kitas besuchen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit Sprachtests bei sogenannten Nichtkitakinder haben bis zu 80 Prozent davon große Defizite im Deutschen.

Pflicht gilt seit 17 Jahren – wird aber nicht umgesetzt

Die Umsetzung des Vorhabens beinhaltet unter anderem Gesetzesnovellen und zahlreiche andere Änderungen auch in Abstimmung mit den Bezirken, was in der Summe längere Zeit in Anspruch nehme, gab Liecke zu bedenken. Als ehemaliger Jugendstadtrat von Neukölln weiß der jetzige Staatssekretär besonders gut, wo die Probleme liegen. Denn die Pflicht zur Sprachförderung gilt in Berlin bereits seit 17 Jahren, wird aber nicht umgesetzt, obwohl es diverse Versuche der SPD-geführten Bildungsverwaltung gab.

So wurde bereits 2006 im Berliner Schulgesetz verankert, dass Kinder von der zuständigen Schulbehörde im letzten Jahr vor der Einschulung „zur Teilnahme an einer vorschulischen Sprachförderung verpflichtet“ werden. Aus dem zunächst dreistündiger Pflichtkurs für ein Jahr wurde 2008 eine 1,5-jährige Pflicht für täglich fünf Stunden. Auch das wurde nicht umgesetzt. Stets hieß es, dass es nicht genug Kitaplätze gebe.

Jugendstaatssekretär Falko Liecke und die Senatorin für Jugend und Bildung, Katharina Günther-Wünsch (beide CDU), stellten ihr Konzept zum Kita-Chancenjahr gemeinsam mit dem zuständigen Abteilungsleiter Holger Schulze vor.
Jugendstaatssekretär Falko Liecke und die Senatorin für Jugend und Bildung, Katharina Günther-Wünsch (beide CDU), stellten ihr Konzept zum Kita-Chancenjahr gemeinsam mit dem zuständigen Abteilungsleiter Holger Schulze vor.

© dpa/Christoph Soeder

Dennoch glaubt die CDU-Spitze der Jugendverwaltung jetzt an einen möglichen Durchbruch. Die Hoffnung speist sich aus einer besseren Versorgung mit Kitaplätzen. Die neue Bevölkerungsprognose hat demnach ergeben, dass Berlin bis 2026 nur noch ein Defizit von 3000 Plätzen hat, denn 11.000 Plätze seien bereits konkret in Planung oder sogar schon im Bau, jedenfalls finanziert.

Die Angebotssituation im Berliner Kitasystem hat sich verbessert, wie diese Grafik der Jugendverwaltung zeigt.
Die Angebotssituation im Berliner Kitasystem hat sich verbessert, wie diese Grafik der Jugendverwaltung zeigt.

© Kita-Chancenjahr SenBJF I Stand: Oktober 2023 I Tsp/Rita Böttcher

Aktuell gibt es laut Günther-Wünsch sogar einen Überhang. Diese freien Plätze seien zwar nicht immer dort, wo sie gebraucht würden. Aber es sei durchaus möglich, die Nichtkitakinder zu versorgen. Denn den rund 2000 Kindern, die unversorgt seien, stünden etwa 2900 Kitas gegenüber. Man werde Kooperationsverträge machen, damit die Kitaträger die Kinder auch aufnehmen, die zu ihnen geschickt würden.

„Wir wollen, dass die schulgesetzlich verpflichtende Förderung für Kinder mit Sprachförderbedarf endlich zielgerichtet und konsequent umgesetzt wird“, sagte Günther-Wünsch mit Nachdruck. Allerdings sei ein Bußgeld für Eltern, die sich konsequent entziehen wollen, nur die letzte Option.

Familien von Dreijährigen sollen Kitagutscheine zugeschickt werden

Liecke setzt vor allem auf den Effekt der frühzeitig zugeschickten Kitagutscheine. Dadurch kämen die Familien deutlich früher als bisher in Berührung mit dem kostenfreien Angebot für frühkindliche Bildung.

Parallel will die Jugendverwaltung die „Angebotstransparenz“ erhöhen, indem der Prozess zur Meldung verfügbarer Kitaplätze optimiert wird. Künftig sollen Kitas gezielt freie Plätze für diese Zielgruppe an die Jugendämter melden, um Eltern bei der Suche nach einem Kitaplatz zu unterstützen. „Die Jugendämter wirken als Wegweiser, um Eltern vor Ort bei der Kitaplatzsuche zu helfen“, lautet das Vorhaben.

Auch die Leopoldina mahnte die Sprachförderung an

Die frühe Sprachförderung wird sein Langem auch von der Forschung angemahnt. Die deutsche Nationalakademie Leopoldina hatte 2014 in einer eigenen Expertise zur Frühförderung festgestellt, dass Deutsch „so früh wie möglich, also spätestens im Kindergarten“ verfügbar gemacht werden müsse. Andernfalls sei davon auszugehen, „dass keine vollständige Kompetenz in der deutschen Sprache erreicht wird.“

Viel zu lange sind Kinder ohne Kitaplatz, bei denen Sprachförderbedarfe festgestellt wurden, einfach zurückgelassen worden.

Stefan Spieker, Fröbel e.V.

„Endlich erfolgt in Berlin die nötige Kraftanstrengung mit Blick auf frühe Sprachbildung und die Koordinierung bezirklicher Prozesse“, sagte am Donnerstag Stefan Spieker, der Vorstandsvorsitzende des großen Kitaträgers Fröbel. Viel zu lange seien Kinder ohne Kitaplatz, bei denen Sprachförderbedarfe festgestellt wurden, „einfach zurückgelassen worden“. Wenn das neue Konzept aufgehe, werde es „sofort auch Auswirkungen auf den Bildungserfolg in unseren Schulen haben“.

Die IHK begrüßt den neuen Anlauf zur Förderung der Nichtkitakinder

Gerade in jenen Bezirken, in denen der Anteil an Familien mit Migrationshintergrund hoch, die Teilhabequote an Angeboten der Kindertagesbetreuung aber gering ist, könnten die Platzkapazitäten knapp werden, befürchtet Spieker, der auch Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer ist.

Hier müsse sichergestellt werden, dass vor allem Kinder mit Sprachförderbedarf einen Kita-Platz erhielten. Denkbar sei ein Pakt mit Trägern, die sich vorrangig um die Aufnahme dieser Kinder kümmern wollen. Auch eine finanzielle Anreizstruktur könne dazu beitragen, „dass die betreffenden Familien nicht erneut durchs Raster fallen.

Staatssekretär Liecke sagte, jeder Bezirk müsse den für ihn passenden Weg finden, alle Kinder zu erreichen. Auch Stadtteilmütter könnten einen wichtigen Beitrag leisten.

Der Verband der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger (VKMK) begrüßte die Pläne ebenfalls. „Es ist ein wichtiger Schritt, frühzeitig Sprachdefizite bei Kindern zu erkennen, zu adressieren und jene hier gezielt zu stützen und zu fördern, um ihre schulische Vorbereitung zu verbessern“, erklärte Geschäftsführer Lars Békési am Donnerstag.

CDU und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass Kinder mit Sprachdefiziten und solche ohne Sprachstandsfeststellung im letzten Jahr vor der Schule verpflichtend eine Kita oder ein alternatives Bildungsangebot besuchen müssen.

Kita-Verband fordert, auch externe Sprachförderer stärker einzubeziehen

Nach den Worten Békésis legt der VKMK besonderen Wert darauf, die Beschäftigten ergänzender Sprachfördergruppen, die es derzeit außerhalb der Kitas gebe, mit in das neue System einzubeziehen. Ohne diese Fachleute gäbe es noch mehr Kinder ohne erfolgversprechende Bildungsperspektiven in den Schulen, erklärte er.

Wichtig sei nun, Fort- und Weiterbildungsangebote für diese Personen zu schaffen und ihnen eine Übernahme in die multiprofessionellen Kita-Teams zu ermöglichen. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Kita-Chancenjahr nicht den notwendigen Erfolg erzielen kann, da schlichtweg das benötigte pädagogische Fachpersonal fehlt“, mahnte Békési am Donnerstag.

Hier die PowerPoint Präsentation für das Kita-Chancenjahr der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie

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