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Einige schossen die Böller nicht in die Höhe, sondern in den Bahnhof.

© Pascal Bartosz

Eindrücke vom Jahreswechsel in Berlin: Pöbeln, Palästina, Polizei – so lief die Silvesternacht

Aus ganz Deutschland richtete sich der Blick nach Berlin. Behält der CDU-geführte Senat die Kontrolle, lassen sich Ausschreitungen und Angriffe verhindern? Szenen aus Neukölln.

| Update:

Viel ist über diese Silvesternacht debattiert worden – ihr Verlauf gilt als politische Bewährungsprobe für Berlins neuen Senat, einige meinen, es gehe um das Image der Hauptstadt insgesamt. Vor einem Jahr erschütterten Angriffe auf Sanitäter, Polizisten, Feuerwehrleute die Öffentlichkeit, rasant verbreiteten sich Bilder eines ausgebrannten Busses in Neukölln. Und diesmal? Ein unvollständiges Protokoll rund um Mitternacht.

23.17 Uhr, Hermannplatz. Zwei Cliquen junger Männer schreien sich auf Arabisch an, ein paar Böller fliegen. Die Männer ziehen bald davon, so weit, so harmlos. Behelmte Beamte, die dazu eigens für diesen Einsatz gewählte Schutzbrillen tragen, bleiben gelassen.

23.30 Uhr, Neuköllner Gropiusstadt. Polizisten finden elf Molotow-Cocktails, neun Verdächtige werden festgenommen. Zuvor verhinderten Beamte den Bau einer Barrikade auf der Sanderstraße im Neuköllner Norden. 

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Nach den Ausschreitungen 2022/23 galt Berlin einmal mehr als verlotterte Stadt, die rot-grün-rote Regierungskoalition verlor wohl auch deshalb in der Wiederholungswahl erheblich an Stimmen. Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) setzte nun auf massive Polizeipräsenz, insbesondere in den als problematisch identifizierten Vierteln Neuköllns.

23.35 Uhr, Sonnenallee. Die Böllerverbotszone beginnt vor der Ecke Friedelstraße. Absperrgitter blockieren die Fahrbahn, in der Mitte steht ein Polizeibus mit einem Kran für Flutlicht. Wer passieren will, wird gefragt: „Feuerwerkskörper dabei?“ Drei Heranwachsende werden abgetastet, eine Frau mit blütenweißen Stiefeln muss die Tasche öffnen.

23.46 Uhr, Karl-Marx-Straße. Selber Kiez, eine Parallelstraße. „Free Palestine“ – Freiheit für Palästina – schreit eine Studentin, die sich als Spanierin zu erkennen gibt. Eine Gruppe junger Männer schreit: „Allahu akbar“ – Gott ist groß.

TV-Teams sind vor Ort, wieder mal Neukölln: Nach den Ausschreitungen im Oktober, als Unterstützer des islamistischen Hamas-Massakers an 1200 israelischen Juden auf die Sonnenallee stürmten, fürchteten Politik und Polizei, dass erneut ein antisemitischer Mob zündelnd durch den Bezirk ziehen würde.

23.47 Uhr, noch dort. Ein Auto fährt vor, drei Männer steigen aus, laden Kartons aus, die ein Vermummter auf dem Mittelstreifen platziert – und entzündet. Salven dröhnender Raketen schießen aus der Box. Es knallt so heftig, dass Zuschauer von den Gehwegen in nahe Hauseingänge flüchten. Der Vermummte schießt dann mit einer Pistole kleinere Raketen über die Straße, ein Kumpel holt weitere Pakete aus dem Auto.

23.51 Uhr. Vor Ort sammeln sich Heranwachsende, die eher müde „Palästina!“-Geschrei anstimmen, einer fragt im üblichen Soziolekt: „Was ist mit die Bullen?“ Tatsächlich rollen vier, fünf vor den Neukölln-Arcaden geparkte Einsatzwagen äußerst langsam und noch dazu rückwärts auf die Szenerie zu. Eine verkannte Machtdemonstration?

Senatschef Wegner kündigte Stunden zuvor bei einem Besuch auf dem Polizeirevier in der Sonnenallee ein hartes Vorgehen an: „Heute ist die Nacht, wenn’s denn notwendig ist, die Nacht der Repression, wo der Rechtsstaat sich versuchen wird durchzusetzen.“ Vor der Wache waren dabei – trotz Verbots – Raketen und Knaller zu hören.

0.12 Uhr, Hermannplatz. Zwei schwer geschminkte Mädchen mit werfen Böller in den Bahnhofseingang zur U7, filmen sich dabei mit ihren Handys. Auf dem Bahnsteig zur U8 rangeln drei, vier Männer. Fluchen, Spucken, aber keine weitere Eskalation. In der Bahn geht’s zu wie an den meisten Tagen zu dieser Uhrzeit: Deutsch, Arabisch, Türkisch, Englisch, kreisende Flaschen, Musik aus Mobiltelefonen, allerlei Geschnatter – nur dass heute offenbar jemand im Waggon kifft.

0.27 Uhr, Kottbusser Tor. Die Jungs, die zur Oranienstraße ziehen, haben erstaunlich große Pistolen in den Händen, auf deren Läufen noch Trommeln montiert sind, in denen Raketen stecken. Der Kräftigste gibt das Kommando: „Komm! Alle zusammen... eins! Zwei! Drei!“ Betäubender Lärm.

1.05 Uhr, Alexanderplatz. Beamte melden, dass sich die Lage am Alexanderplatz beruhigt. Hunderte verlassen demnach den Platz. Vor Mitternacht hatte ein Mob dort erst einen anderen Mob, dann Polizisten mit Böllern beschossen. Über der Innenstadt kreist immer noch ein Polizei-Hubschrauber.

Nicht nur an der Sonnenallee, auch am Alexanderplatz in Mitte und der Pallasstraße in Schöneberg wurde ein Böllerverbot verhangen. Circa 3500 Beamte waren auf Berlins Straßen im Einsatz, dazu 1000 Polizisten in Streifenwagen und auf Wachen sowie 500 Bundespolizisten auf den Bahnhöfen.

1.10 Uhr, Tempelhof. Im Polizeipräsidium werden die Informationen von den Einsatzeinheiten ausgewertet. Bislang mehr als 200 Festnahmen. Wie viele Angriffe auf Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrleute es gab, ist noch nicht bekannt.

1.19 Uhr, ganz Berlin. Meldungen aus Friedrichshain (Frau von einem Böller am Auge verletzt) und Hellersdorf (Männer schießen mit Pyro-Munition auf Kinder) und Reinickendorf (offenbar Rettungskräfte mit Schreckschusswaffen angegriffen) treffen ein.

Wie die Bilanz tatsächlich ausfällt, zeigen die kommenden Stunden. Mittags will die Innenverwaltung erste Zahlen nennen. So heftig, dies nur als erster Eindruck, wie ein Jahr zuvor ist es wohl nicht. Dennoch: Allein zwischen Mitternacht und 1.30 Uhr registrierte Berlins Feuerwehr fast 500 Einsätze, viele davon unter Polizeischutz.

2 Uhr, Lichtenrade. Aus Hochhäusern wurden vorläufigen Erkenntnissen der Polizei zufolge Raketen auf Passanten und Beamte geschossen. Polizisten finden auch Kugelbomben, die eigentlich nur von lizenzierten Profis bei einem Großfeuerwerk eingesetzt werden dürfen.

2.16 Uhr, doch noch mal die Sonnenallee in Neukölln. Beamte melden, dass an der Ecke Fuldastraße eine Kugelbombe auf Kollegen geworfen worden sei, die jedoch nicht explodierte.

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