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Kanadische Pioniere. Dort, wo Botschafterin Marie Gervais-Vidiricaire heute über einen belebten Leipziger Platz schauen kann, war bis zur Jahrtausendwende Brachland – und vorher Todesstreifen.

© Kai-Uwe Heinrich

Leipziger Platz: Ein Ahorn in der Wüste - zehn Jahre Kanada-Haus

Vor zehn Jahren wurde am Leipziger Platz die Botschaft Kanadas eröffnet. Damals war es eines der ersten neuen Gebäude im einstigen Niemandsland. Jetzt wird Jubiläum gefeiert.

Außenminister Joschka Fischer war gekommen, die kanadische Generalgouverneurin sowie etliche Diplomaten, Politiker, Unternehmer und Künstler wie der Regisseur Wim Wenders. Und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit geriet ins Schwärmen: „Dieses Gebäude gibt dem Leipziger Platz, der vor der Wende lange Jahre wie eine Wüste aussah, einen besonderen Glanz.“

Zehn Jahre ist es am 29. April her, dass auf dem einstigen Todesstreifen zwischen Ost- und West-Berlin die neue Botschaft Kanadas eröffnet wurde. „In wenigen Jahren werden hier die Wunden des Kriegs nicht mehr sichtbar sein“, hatte Wowereit während der Bauzeit des Kanada-Hauses an der Nordwest-Ecke des Leipziger Platzes prophezeit. Und tatsächlich: Wenn man heute mit Botschafterin Marie Gervais-Vidricaire auf dem Balkon im zehnten Stock steht und den Blick schweifen lässt, muss man die Fantasie sehr anstrengen, um sich zu erinnern, wie kahl und unfertig es hier noch vor wenigen Jahren aussah.

Im April 2005 war die Botschaft von Baulücken umgeben, das historische Oktagon des Leipziger Platzes nur zu erahnen. Zehn Jahre später sind mit Ausnahme des direkten Nachbargrundstücks, auf dem eine bedruckte Plane Bauherren anlocken soll, alle damaligen Freiflächen mit Neubauten gefüllt, gegenüber lockt ein Transparent Besucher in die Mall of Berlin.

„Ich bin stolz, dass wir damals unsere Botschaft hier gebaut haben“, sagt Marie Gervais-Vidricaire später beim Gespräch in ihrem Büro. Vom Schreibtisch aus hat sie einen spektakulären Blick über die Ebertstraße und den Tiergarten bis zum Reichstag. Die Vertreter der kanadischen Regierung, die das 33-Millionen-Euro-Projekt in einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit einer privaten Immobiliengesellschaft baute, hätten damals „eine Vision von der Renaissance Berlin“ gehabt, die heute zumindest in diesem Areal fast vollendet ist: „Es ist aufregend, ein Teil davon zu sein“, sagt die Botschafterin.

Mit Deutschland ist die heute 59-Jährige seit Schultagen verbunden: Während der College-Zeit in Québec-City entschied sie sich, neben Englisch und Spanisch auch Deutsch zu lernen. Und das, obwohl sie nicht wie rund jeder zehnte Kanadier familiäre Bindungen zu dem Land hat. Sondern aus Neugierde: „Ich wollte etwas anderes lernen, eine weitere europäische Sprache, die mir einen Zugang zu Philosophie, Kultur und Gesellschaft eines anderen Landes gibt.“ In der Universität setzte sie das Deutsch-Studium dann fort, neben den Fächern Internationale Beziehungen und Journalismus. 1975 lebte sie zum ersten Mal für vier Wochen durch einen Studentenaustausch bei einer deutschen Familie. Einen Berlin-Besuch hat sie in besonderer Erinnerung: „Was für eine Stadt der Kontraste!“, sei damals ihre Empfindung gewesen. Später, als Botschafterin Kanadas in Wien, besuchte Marie Gervais-Vidricaire dann immer wieder auch Berlin. Das war damals „the place to be“, erinnert sie sich, die Lebendigkeit der Stadt und das neue Botschaftsgebäude beeindruckten sie.

Seit eineinhalb Jahren nun leitet die Diplomatin, die zwei erwachsene Söhne hat und deren Mann bis zu seinem kürzlich angetretenen Ruhestand ebenfalls Diplomat war, die Botschaft am Leipziger Platz. An diesem Mittwoch wird sie aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums die "Hauptstadt-Rede" der Stiftung Zukunft Berlin halten, in der sich traditionell Botschafter oder Ministerpräsidenten über die Rolle der Hauptstadt Gedanken machen. Darin will sie betonen, wie wichtig es den Kanadiern ist, dass ihre Botschaft so offen ist, wie es auch ihr Land sein möchte. Denn anders als viele andere diplomatische Vertretungen ist das Kanada-Haus tatsächlich bemerkenswert zugänglich für Besucher: Fast 100 000 seien es seit der Eröffnung gewesen, sagt Gervais-Vidricaire. So habe alleine eine Networking-Veranstaltung für die Filmbranche zur Berlinale im Februar 800 Besucher angelockt, auch bei Events zur Tourismusmesse ITB, bei politischen Diskussionen oder Kulturveranstaltungen wie einer Lesung von Star-Autorin Margaret Atwood im vergangenen Jahr kämen regelmäßig hunderte Gäste.

Bei Podiumsdiskussionen wie jüngst zum geplanten europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen Ceta versuchen die Botschafterin und ihre Mitarbeiter, deutsche Bedenken gegen die engere Kooperation auszuräumen, die oft damit zu tun haben, dass in der Debatte das Abkommen mit Kanada in einem Atemzug mit dem Freihandelsabkommen TTIP mit den USA genannt wird. „Unsere Botschaft ist: Ceta ist ein Abkommen zwischen der EU und Kanada, einem Land mit 35 Millionen Einwohnern sowie einem Sozialsystem und Standards, die denen in Deutschland sehr ähnlich sind“, sagt die Botschafterin. „Es geht um eine Vision für die Zukunft, die unsere Länder einander noch näher bringt und von der beide Seiten profitieren werden.“

Ein anderes Thema vieler Veranstaltungen ist die Einwanderungspolitik, bei der Kanada mit seinem Punktesystem von vielen Deutschen als Vorbild gesehen wird. „Wir tragen gerne zur Diskussion bei, aber wir sagen niemandem, was das Beste für Deutschland ist“, sagt Marie Gervais-Vidricaire diplomatisch. So habe ihr Land zwar sehr gute Erfahrungen mit der entsprechend den wirtschaftlichen Bedürfnissen gesteuerten Zuwanderung gemacht. Deutschland und andere EU-Länder seien jedoch schon geografisch nur bedingt mit Kanada vergleichbar.

Im Erdgeschoss des Hauses können sich Interessierte im Marshall-McLuhan- Salon zudem auf interaktiven Videoleinwänden über Kanada informieren. „Es freut mich, dass die Botschaft ein integraler Teil des öffentlichen Lebens von Berlin geworden ist“, sagt Marie Gervais-Vidricaire. Sie schwärmt von der „kulturellen Dynamik“ der Stadt und ihrer Lebendigkeit, die gerade jüngere, kreative Menschen auch aus Kanada anziehe. Nur an zwei Dinge kann die Diplomatin sich bis heute nicht gewöhnen: dass es aus der Hauptstadt des wirtschaftlich größten europäischen Landes keine Direktflüge nach Kanada gibt. „Und die große Toleranz der Berliner für Graffiti, die die Schönheit vieler Gebäude beeinträchtigen, ist auch schwer nachzuvollziehen.“

25. April: Tag der offenen Tür in der Botschaft von Kanada, Leipziger Platz, inkl. Informationen über Reisen nach Kanada, Austauschprogramme, Präsentationen der Botschaft und der Deutsch-Kanadische Gesellschaft,  Snacks und Getränke, 14 bis 18 Uhr, Anmeldung  nicht erforderlich

 

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