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Der Streit ums Kopftuch an Schulen geht wohl vors Bundesverfassungsgericht.

© picture alliance/dpa

Update

Kopftuch bei Berliner Lehrerinnen: Doppelte Unterstützung für Scheeres im Kampf fürs Neutralitätsgesetz

Ethiklehrer und eine Initiative begrüßen die Beschwerde gegen das Kopftuchurteil. „Pro Neutralitätsgesetz“ fordert zudem ein Register für religiöses Mobbing.

Gleich zwei parallele Vorstöße unterstützen Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) darin, das Berliner Neutralitätsgesetz zu verteidigen. Es schreibt vor, dass an öffentlichen Schulen keine sichtbaren religiösen Symbole getragen werden dürfen - und verbietet damit Lehrerinnen auch das Kopftuch.

Die rot-rot-grüne Koalition ist sich uneins in der Frage: Während Scheeres gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgericht (BAG) vorgehen will, das einer muslimischen Lehrerin eine Entschädigung zugesprochen hatte, plant Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eine Neufassung des Gesetzes - um das Tragen des Kopftuchs zu erlauben. Scheeres bekam nun Zuspruch vom Fachverband der Ethiklehrer und der Initiative „Pro Berliner Neutralitätsgesetz“.

Die Initiative fordert ein Register für die Erfassung und Dokumentation von Fällen konfrontativer Religionsbekundung und religiösen Mobbings an Berliner Schulen. Dieses solle umgehend eingeführt werden, da aus Sicht der Initiative „bisher konkrete Gefahrensituationen nicht gerichtsfest dokumentiert“ werden könnten.

So bestehe die konkrete Gefahr, dass Kinder und Jugendliche, „die sich bestimmten weltanschaulichen und religiösen Riten und Bekleidungsvorschriften nicht unterwerfen, durch das Vorbild des Lehrpersonals, immer weiter unter Druck gesetzt werden“. Damit würde ihr verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf „negative Religionsfreiheit“ verletzt, teilte die Initiative mit. Die Schule solle ein so weit wie möglich neutraler Schutzraum sein, der eine individuelle Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen fördere und ermögliche, hieß es weiter.

Muslimin bekam mehr als 5000 Euro Entschädigung

Die Initiative begrüßte den Entschluss von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen. Das BAG hatte im August 2020 in einem Einzelfall über das Berliner Neutralitätsgesetz entschieden. Eine Muslimin bekam 5129 Euro Entschädigung wegen Diskriminierung zugesprochen, weil sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst des Landes Berlin eingestellt wurde.

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Ende Januar 2021 wurde die Urteilsbegründung veröffentlicht. Die Erfurter Richter bemängelten, dass nicht klar genug begründet worden sei, weshalb eine angehende Lehrerin wegen eines Kopftuches den Schulfrieden störe. Scheeres’ Entscheidung, nach Karlsruhe zu gehen, stieß auf heftigen Kritik von Justizsenator Behrendt und Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Behrendt warf seiner sozialdemokratischen Kollegin „Prozesshanselei“ vor.

4000 Menschen haben bei Unterschriftenaktion unterschrieben

„Pro Berliner Neutralitätsgesetz“ versteht sich als parteiunabhängig und überparteilich. Einer ihrer Mitbegründer ist der Rechtsanwalt Walter Otte, Vorsitzender der Landes-Arbeitsgemeinschaft der Säkularen Grünen in Berlin. Die Initiative möchte, dass das seit 2005 bestehende Gesetz, das in Berlin die Beachtung der staatlichen religiösen und weltanschaulichen Neutralität im Öffentlichen Dienst regelt, beibehalten wird.

Bei einer Unterschriftenaktion der Initiative haben bisher rund 4000 Menschen unterschrieben. Zu den Unterstützern gehören unter anderem Mitglieder aller Parteien, Wissenschaftler, Lehrer und Menschen mit Migrationshintergrund. Auch der Lesben- und Schwulenverband Berlin steht hinter den Zielen der Initiative.

Ethiklehrer-Verband: Neutralität Voraussetzung für offenen Austausch

Der Fachverband der Ethiklehrer forderte Senator Behrendt „dringend“ dazu auf, von der angestrebten Novellierung des Berliner Neutralitätsgesetzes abzusehen. Für Lehrkräfte im Allgemeinen, aber insbesondere für Ethiklehrkräfte sei eine neutrale Haltung gegenüber den Religionen und Weltanschauungen der Schülerinnen und Schüler eine wesentliche Voraussetzung, um den offenen Austausch in der Gruppe zu ermöglichen und zu üben, hieß es in einer Stellungnahme.

[Antidiskriminierung ist sein Schwerpunkt: Der grüne Dirk Behrendt macht eine linke Justizpolitik. Setzt er die richtigen Akzente? Lesen Sie das aktuelle Porträt bei Tagesspiegel Plus.]

Der Verband distanzierte sich darin ausdrücklich von Behrendts Bestrebungen, das Gesetz zu verändern und als Konsequenz Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern zu ermöglichen. Ethiklehrkräfte sollten „Moderator:innen auf dem Weg in die Vielfalt“ sein. Daher sei die „sichtbare Demonstration bekenntnisbezogener Neutralität“ für Lehrkräfte „kein Verbot, sondern ein Gebot“. Es gebiete die Selbstprüfung, „ob man in der Rolle der Lehrkraft bereit ist, dieser repräsentativen Neutralität im Beruf den Vorrang einzuräumen gegenüber dem eigenen religiösen Ausdruck“.

Der Verband betonte, ihm sei bewusst, dass beispielsweise unter Musliminnen die Kopfbedeckung mit tiefen religiösen Gefühlen verknüpft sein könne, ebenso aber könne die Kopfbedeckung als Symbol auch für Werte stehen, „die dem ethischen Minimalkonsens unserer Gesellschaft nicht entsprechen“. Während der Berufsausübung etwa auf eine religiös motivierte Kopfbedeckung zu verzichten, bedeute „eine selbstbestimmte Priorisierung der Neutralität im Namen der Pluralität unserer Gesellschaft“. Die Forderung der religiösen Neutralität an die Lehrkräfte sei nicht diskriminierend.

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