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Spielend glücklich werden. Impressionen von der Stiftung Jona.

© Stiftung Jona

Jugendprojekt in Staaken: Die Stiftung Jona hilft in Berlin Kindern aus aller Welt

Die Stiftung Jona betreibt in Spandau eine Kinder- und Jugendfreizeitstätte. Für die frühere Chirurgin und Gründerin Angelika Bier ist das Haus ein Lebenswerk.

Wie aus einem kleinen Impuls und eher ungelenk tastenden ersten Schritten ein großes Werk werden kann, dafür ist die Stiftung Jona ein besonders gutes Beispiel. Das hat vielleicht mit ihrer Entstehungsgeschichte zu tun, vielleicht auch mit dem Spirit, der dahinter steckt: Angelika Bier und ihr verstorbener Mann Jürgen waren beide Professoren und Chirurgen an der Charité. „Evangelisch getauft“, sagt sie, aber erst später hätten sie sich auf unterschiedlichen Wegen wirklich mit dem Glauben beschäftigt. Daraus resultierte der Wunsch, etwas zu tun: „Wir können, müssen, wollen helfen.“

Sie dachten zunächst an die Kinder vom Bahnhof Zoo oder an zahnmedizinische Hilfe für Obdachlose, sprachen mit verschiedenen Einrichtungen und Institutionen, mit der Stadtmission zum Beispiel. „Wir hatten wirklich null Ahnung“, erinnert sich Angelika Bier.

Im Laufe der Zeit kristallisierte sich heraus, dass sie gerne etwas mit Kindern machen wollten. Über einen Stadtreport gerieten sie nach Spandau: Die Jugendstadträtin dort drückte ihnen einen Stapel Papiere in die Hand mit Kurzportraits von Jugendeinrichtungen und dem Hinweis, dass 40 Prozent davon ohnehin zugemacht werden müssten. Daraufhin schauten sich das Ehepaar an jedem Wochenende eine andere Jugendeinrichtung in Spandau an.

Sie lernten Kinder kennen und ihre Wünsche, staunten über ihre Mobilität und die Trauer, wenn sie am Wochenende nicht wussten, wohin. Bis sie schließlich vor einem schön gelegenen Klubhaus in Staaken standen, das ursprünglich mal eine Dorfschule war.

Viele Tücken erkannten sie zunächst nicht: Die teils vergitterten Fenster, die Graffiti, das marode Dach. Auch die gewaltbereiten Teenager, die dort das Sagen hatten und die kleinen Kinder verschreckten, fielen ihnen zuerst nicht auf.

Der Stadtrat goss den Betonboden

Im Dezember 2005 gründeten sie ihre Stiftung. Im August 2006 übernahmen sie das Haus. Viele Menschen halfen, das Gebäude instand zu setzen.

Angelika Bier erinnert sich noch an einen Stadtrat, der den Betonboden goss. Und an das erste Weihnachtsfest. Wie die Kinder gestaunt haben, weil sie mit einer völlig fremden Welt in Berührung kamen.

Da waren Menschen, die sie mit in die Kirche nahmen, die sich umzogen, weil Weihnachten war, die ihnen Geschenke machten. „Das war echt mal Weihnachten“, sagten sie sich auf dem Heimweg, den sie „völlig beglückt“ antraten. Ihr Mann, 1,98 Meter groß, kümmerte sich um die Teenager, sie selbst um die kleinen Kinder, die „wirklich Angst hatten vor den Großen“.

Wendepunkt im Leben

Bald gab es spürbare Fortschritte in „Jona's Haus“, das nun eine Kinder- und Jugendfreizeitstätte war, geöffnet an 365 Tagen im Jahr. Jürgen Bier fragte einen Jungen, der schon in die Kriminalität abzurutschen drohte und in einen Messerstreit involviert war: „Willst du uns helfen?“.

Das war ein Wendepunkt, denn die Tatsache, dass er um Hilfe gebeten wurde, rührte den Jungen offenbar so sehr, dass er sich fortan in dem Projekt nützlich machte. „Nach und nach haben wir die Teenager integriert.“ Einem Jungen, der vorzeitig von der Schule geflogen war, verhalf ihr Mann zu einem Ausbildungsplatz bei Siemens. Auch dieser Junge half von da an mit, das Haus zu managen. „Die beiden waren immer informiert, was gerade läuft“, erinnert sich Angelika Bier.

Vaterlose Stiftung

Schwieriger wurde es, als ihr Mann schwer erkrankte und bald darauf starb. Bei einer selbständigen Stiftung ist der Staat dann rasch zur Stelle, um zu prüfen, ob der Stifterwille auch in Zukunft erfüllt würde.

Zur privaten Trauer kam der Stress. „Wir hatten keine Versicherung für den Vorstand und innerhalb von drei Monaten sollte die Stelle meines Mannes wiederbesetzt sein“, erinnert sich Angelika Bier. „So eine Stiftung ist dann wie ein vaterloses Kind.“

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Sie setzte sich ans Telefon, fand schließlich einen Freund, der einsprang. Die Arbeit für die Stiftung Jona war längst zum Lebensinhalt geworden. Seit sie das Haus hat, gab es keinen Urlaub mehr. Seit etwa zehn Jahren ist sie auch nicht mehr als Chirurgin tätig, sondern nur noch für die Kinder da.

Auch einen großen Teil der Verwaltungsarbeit erledigt sie selbst. Wie man Anträge stellt, weiß sie noch aus ihrer Zeit als Wissenschaftlerin. Das hat ihr geholfen, als sie lernen musste, „Fehlbedarfsförderzuschüsse heranzuziehen“, was so kompliziert ist, wie es klingt, aber notwendig.

Jona's Kinderwohngruppe

Die Stiftung hätten sie damals gegründet, weil es die einfachste Art schien, etwas auf den Weg zu bringen. Längst gibt es auch einen Förderverein und Freunde, die das Projekt unterstützen, in dem sich über 100 Kinder zu Hause fühlen. Wie viele es über die Jahre waren, weiß Angelika Bier nicht. Inzwischen gehört auch Jona's Kinderwohngruppe dazu.

Manche kämen immer wieder, auch wenn sie groß sind, mit Wünschen, Sorgen, Problemen und dem Gedanken: „Ach, da kann man ja Angelika fragen.“ Ein 18-jähriges Mädchen, das schwer autoaggressiv war, sich selbst zum Beispiel mit dem Bügeleisen verletzte, nahm sie vorübergehend bei sich zu Hause auf. Jetzt ist die junge Frau gesund.

Vertrauen schaffen

Immer wieder hat sie gestaunt, wie gut Kinder sich entwickelt haben. Gerade den deutschen Kindern aus Patchworkfamilien mit ständig wechselnden Vätern, fehlte oft das Urvertrauen. Anfangs schrien sie rum, machten alles kaputt. „Aber sie können ja nichts dafür“, sagt die Stifterin. Und dann sei immer ein Wendepunkt gekommen, von dem aus sie sich wunderbar entwickelten, sei Vertrauen entstanden und die Erkenntnis, dass sie ein Zuhause gefunden hatten, aus dem sie nicht mehr weglaufen müssen.

Flüchtlingskinder aus der Ukraine

Im Jahr 2015 kamen auch Flüchtlinge ins Haus. Einer von ihnen arbeitet dort heute als Erzieher. Aktuell sind auch Kinder und Jugendliche aus der Ukraine dabei. Angelika Bier findet es „unglaublich, welchen Überlebenswillen Kinder haben, was sie nach langer Flucht hinter sich gebracht haben. Mädchen blühen auf wie Blümchen.“ Das gilt auch für die Kinder aus Staaken. „Mit 7 oder 8 Jahren sind die schon erwachsen“, hat sie anfangs immer wieder beobachtet.

Was einem das gibt über die Jahre? Auf ein Dankeschön dürfe man nicht warten, sagt sie. „Dann brennt man aus.“ Im Gegenteil, immer wieder kommen auch Klagen von Kindern, die sich unfair behandelt fühlen, weil ein anderer mehr bekommen habe, als sie selbst.

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Angelika Bier hat heute sehr stark das Gefühl, genau am richtigen Ort zu sein, dort, wo sie sein soll, gebraucht wird. „Ich soll das tun, und das tue ich. Das ist Erfüllung in sich.“ Für sie ist das genug. Das könne morgen auch etwas anderes ganz woanders sein. „Wenn ich draußen bin, dann bin ich schwer erreichbar“, sagt sie und meint das Haus in Staaken.

Nachts wacht sie auf, wenn eine Whatsapp ankommt. Weil es dann etwas Wichtiges sein könnte. Bei Mails sei das nicht in gleicher Weise der Fall. Manchmal hat sie auf dem Klappbett im Theaterraum des Klubhauses geschlafen.

Die Professorin geht auf in dieser Arbeit, nutzt ihre persönlichen Netzwerke, ihre Kontakte in die Wissenschaft, zum Beispiel für ein erfolgreiches Projekt zur Medienkompetenz. Sie ist selbst auf Instagram und allen möglichen Kanälen unterwegs, um weitere Mittel aufzutreiben. Inzwischen arbeiten über 30 Mitarbeiter in dem Projekt. Und die Begeisterung der Gründer wirkt immer noch ansteckend.

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