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Berlin: Die einen trinken Bier, die anderen Champagner

Der Kiez rund um den Hermannplatz wandelt sich, und genauso ändert sich die Kundschaft des Karstadt-Warenhauses. Vor allem die Lebensmittelabteilung profitiert – alteingesessene Neuköllner sind dort aber kaum noch zu finden.

Der Hermannplatz ist laut, hektisch, hässlich. Verkehrsknotenpunkt, Drogenumschlagplatz, Schnittstelle verschiedener sozialer Milieus. Die einzige Attraktion ist das Karstadt-Kaufhaus auf der Kreuzberger Seite. Seine Situation ist seit Jahren prekär, doch allmählich kündigt sich ein Wandel an, der mit der Gentrifizierung der umliegenden Kieze zusammenhängt. Womöglich verkauft hier bald die angesagte Trend-Modekette Primark günstige Kleidung.

Aber der Wandel gilt nicht für alle Abteilungen. In den oberen Etagen des Warenhauses herrscht gähnende Leere, auch jetzt zur Weihnachtszeit. Bettwäsche, Kochgeschirr, Sportklamotten, all das bekommt man woanders billiger. Die Unterhaltungselektronik wurde deshalb im Sommer ganz aufgegeben. Im Erdgeschoss sind bereits viele Flächen verpachtet: Hugendubel betreibt die Buchabteilung, die Post hat ebenso eine Filiale wie die Apotheken-Kette, Mister Minit repariert Schuhe und fertigt Zweitschlüssel.

Die Überraschung ist der Lebensmittelmarkt im Keller, Rolltreppe abwärts. Die Öko-Abteilung ist gut besucht, auch vor Butter Lindner drängen sich die Kunden, die froh sind, „hier standesgemäß einkaufen zu können“. Die Verkäuferinnen im Retro-Look klopfen wie früher die Rahmbutter zurecht und haben heute einen Premium-Eierlikör für die Feiertage im Angebot – 9,50 Euro der halbe Liter.

Mit etwa 40 000 angebotenen Produkten ist „Perfetto Feine Kost“ ungewöhnlich gut sortiert. Die Abteilung boomt; es gibt eine Kundschaft, die sich die Preise leisten kann. Marktleiter Andreas Houschka: „Wenn man sieht, was hier an Champagner rausgeschleppt wird, dann schüttelt man den Kopf.“ Der Reuter- wie der Graefekiez wird zunehmend von der jungen Mittelschicht entdeckt; jedoch kommen die Kunden auch aus Rudow und Spandau. Wem das KaDeWe zu teuer ist, der fährt zum Hermannplatz.

Weinfachberater Sven Ohlhoff hat 1300 verschiedene Weine vorrätig und etwa tausend weitere Spirituosen. Als eben ein älterer Kreuzberger in Wintersocken und Pantoffeln nach einem „Wodka mit mehr als 50 Umdrehungen“ fragt, muss er allerdings passen. Aber den Dom Perignon hat er da, 149 Euro die Flasche, oder einen Perrier Jouget Belle Epoque für 159 Euro. Ohlhoff ist seit 1984 hier im Haus, damals fing er als 16-jähriger mit der Ausbildung an. Seit zwei, drei Jahren verzeichnet er eine Zunahme junger und internationaler Kunden: „Das sind nicht nur die Backpacker aus den vielen neuen Hostels in der Umgebung, sondern auch französische und spanische Studenten, die wegen der billigen Mieten hierher gekommen sind. Aber wir haben auch Skandinavier, Briten und Amerikaner, überhaupt diese jungen Leute, die man Hipster nennt. Also Medienmenschen, die ja teilweise schon recht gut verdienen, und die sind neu hier im Dreh.“

Aus kaufmännischem Interesse hofft er auf schlechtes Wetter. Regen, Schnee und Kälte treibt die Kunden zu Karstadt. Das liegt nicht zuletzt an der U-Bahnstation im Haus.

Eine Kostprobe der gestiegenen Ansprüche: Salz ist das neue Olivenöl! Wer sich seinen Lebensstil etwas kosten lässt, verschmäht vielleicht das einfache Salz für 0,29 Euro das Pfund. Es liegt im Regal ganz unten. Respektabler ist das Himalaya-Salz, 250 Gramm für 5.99 Euro. Besser noch das „schwarze Hawaii-Salz“: 150 Gramm für 6,99 Euro oder das Marblau-Salz aus Mallorca mit Chili-Flavour – 9.99 Euro für 150 Gramm. Auch die Frau an der Käse-Theke kennt ihre neue Kundschaft: „Die sind ja teils sehr anspruchsvoll, die kaufen den guten, aber auch teuren Käse.“ Und die alteingesessenen Neuköllner? „Selten. Sehr selten!“

Doch es gibt sie noch, die einfachen Leute. In der Schräge unter der Rolltreppe sitzen die ergrauten Neuköllner Biertrinker. Der „Zapfhahn“ wirkt wie die Gedenkinstallation einer Bierschwemme alter Zeiten, abseits der eiligen Kundenströme. Andrea Berg singt: „Das stehen wir gemeinsam durch!“

Hier sitzt Peter Netzel, 78 Jahre alt. Er wohnt in der Weserstraße seit seiner Geburt. Das Karstadt-Gebäude kennt er noch von 1945, als es in den letzten Kriegstagen von den Nazis gesprengt wurde. Zuvor war es eines der modernsten Kaufhäuser weltweit, in Europa das erste Kaufhaus mit eigenem U-Bahn-Zugang. Die beiden Türme im New Yorker Stil, mitsamt den Lichtsäulen 71 Meter hoch, waren eine Sehenswürdigkeit. Peter Netzel übermannt die Rührung, wenn er an frühere Zeiten denkt, was auch an seinem Deckel liegen mag, der zahlreiche Biere vermerkt. Er hat den Wiederaufbau erlebt, die einigermaßen soliden Jahre zur Mauerzeit, danach den Niedergang Neuköllns in den 90er Jahren. „Heute sind Kaufhäuser nicht mehr zeitgemäß“, findet er, „aber früher war Karstadt etwas Besonderes“. Die jungen Leute, die jetzt nach Kreuzkölln kommen, sind ihm fremd. Und sollte hier bald Primark eröffnen und tausende Teens dorthin strömen, fühlt er sich ganz aus der Zeit gefallen. Lieber noch ein Schluck Bier.

Vor dem Eingang am Hermannplatz steht eine obdachlose Motz-Verkäuferin. Im Laufe eines Tages kommt sie auf etwa zehn Euro: „Jetzt vor Weihnachten ist es ein bisschen mehr.“

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