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Landarzt Bernhard Fehse am Praxisschreibtisch.

© Hannes Heine

Ärztemangel in Brandenburg: Der Nächste, bitte!

Brandenburg ist schön. Aber Hausarzt will dort keiner sein. Seit vier Jahren sucht ein Joachimsthaler einen Nachfolger – vergebens.

Sattgrüne Wälder, tiefblaue Seen, dazwischen der Ort. Nebenan in der Schorfheide hatte Erich Honecker sein Jagdrevier, CDU-Kanzlerin Angela Merkel besitzt in der Nähe ein Wochenendhaus. Die Sonne knallt auf die Marktstraße, die Linden blühen, ein Moped rattert über das Kopfsteinpflaster. In den Altbauten ist es angenehm kühl. Nach Joachimsthal will niemand ziehen, der Arzt ist.

Junge Mediziner meiden Brandenburger Gegenden wie diese so sehr, dass die für Praxiszulassungen zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) bis zu 50 000 Euro bietet, wenn man sich in einer von Ärztemangel bedrohten Region niederlässt. Jeder vierte Hausarzt im Land ist älter als 60 Jahre. Vor ein paar Jahren hat die Bundesregierung die Altersbeschränkung von 68 Jahren aufgehoben, in unterversorgten Gebieten dürfen Ärzte ohne Altersbeschränkung arbeiten.

Idyllisch. Die Praxis in Joachimsthal.
Idyllisch. Die Praxis in Joachimsthal.

© Hannes Heine

Es ist Mittwoch, 12.30 Uhr, eine Mutter und ihre Tochter betreten im Haus in der Markstraße 15 die Praxis von Bernhard Fehse, der eigentlich nur bis 12 Uhr Sprechstunde hat. „In Berlin schließen die Kollegen ihre Praxis zu und können in der Großstadt verschwinden, mich finden die Patienten immer“, sagt Fehse. Einige klingeln abends bei ihm zu Hause. Das Städtchen hat 3300 Einwohner, Fehses Grundstück kennen die meisten, er wohnt seit 1982 in Joachimsthal. In der DDR leitete er die örtliche Poliklinik. Diese staatlichen Ärztezentren wurden nach der Wende zunächst aufgelöst, 1991 gründet Fehse seine eigene Praxis. Im November wird er 73 Jahre alt und würde seine Praxis gern weitergeben.

Vor vier Jahren hat sich Bernhard Fehse bei der KV für eine baldige Zurruhesetzung angemeldet. Seitdem wird in Fachzeitschriften und in Internetbörsen ein Nachfolger gesucht. In den vier Jahren haben sich vier Ärzte gemeldet. Einer wollte aus Norwegen zurückkehren, dem reichen Wohlfahrtsstaat, in dem sich viele deutsche Mediziner wegen der hohen Bezüge niedergelassen haben. Das nordische Land sei schön, aber es fehle Sonnenlicht, habe der Interessent erklärt, sagt Fehse. Nach Joachimsthal wollte der Rückkehrer dann aber doch nicht. Eine Polizeiärztin vom Rhein war am Landleben interessiert, auch an Fehses Praxis – doch eine Gemeinde in Mecklenburg hat sie abgeworben – mit einer kostenlosen Pferdekoppel. Der dritte Bewerber, nun ja, sagt Fehse, sei ein netter Mann gewesen, bestimmt ein guter Arzt, aber etwas auffällig, zu unkonventionell für die konservativen Joachimsthaler. Einige im Ort sagen, man gelte erst nach zwei Generation als Einheimischer. Die vierte Interessentin ist eine junge Ärztin aus Polen. Allerdings braucht sie noch ein paar Jahre für ihre Facharztspezialisierung. „So lange will ich eigentlich nicht mehr warten“, sagt Bernhard Fehse.

Die Sprechstundenhelferin wundert sich, dass junge Mediziner das Landleben meiden. „Der Doktor hat doch einen großen Stamm an Patienten“, sagt sie und öffnet den massiven Blechschrank, in dem die Patientenakten hängen: mehr als 800 Fälle jedes Quartal. Die Praxis hat vier Räume, ein modernes Zwölf-Kanal-EKG, hinten einen wilden Garten, im Herbst sammelt der Doktor die Walnüsse ein, die der große Baum abwirft. Nicht mehr als 30 000 Euro will er für die Übernahme haben. In guten Monaten verdient man als Landarzt dort 4000 Euro netto.

Allein auf weiter Flur. Ärzten, die sich in unterversorgten Gebieten niederlassen würden, bot die Kassenärztliche Vereinigung 50.000 Euro Prämie.

© Hannes Heine

Dafür allerdings ist viel zu tun. Alles in allem hätten Brandenburger Ärzte 25 Prozent mehr Patienten als im Bundesdurchschnitt, die Honorare aber seien trotzdem allenfalls gleich hoch, sagt Ralf Herre von der KV. Insgesamt sind sie in Joachimsthal und den umliegenden Dörfern vier Ärzte für 8000 Anwohner. Eine Klinik gibt es erst in Eberswalde, bis dorthin kann es dauern, ohne Auto sowieso. In Berlin kommen auch wegen der 70 Kliniken in der Stadt rund 40 Ärzte auf 8000 Bewohner.

Jeden Morgen um acht steht Bernhard Fehse in der Praxis, die ersten Patienten warten schon, oft auch am Sonnabend. Nachmittags macht er Hausbesuche, nach Altenhütten, Groß-Ziethen, zum Werbellinsee. „Eine wildreiche Gegend“, sagt er. Abends müsse man besonders langsam fahren. Bis zu zwei Stunden kann ein Hausbesuch dauern. Bei Bereitschaftsdiensten deckt er einen Radius von 50 Kilometern ab. Für Patienten, die in Berlin arbeiten, gibt es schon mal Termine um 19 Uhr. Danach widmet sich Fehse dem Papierkram: Rechnungen, Regressforderungen, Rentengutachten. „Oft bin ich erst um 23 Uhr zu Hause bei meiner Frau.“

An diesem Mittwoch macht er sich noch zu einer Fortbildung nach Eberswalde auf. Er wird gegen 22 Uhr zurück sein. Die Hoffnung gibt Fehse nicht auf. Ein Bekannter aus Eberswalde habe nach langer Suche schließlich doch einen Nachfolger für seine Praxis gefunden. Allerdings war der Kollege dann schon 77.

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