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Der Titania-Palast an der Schloßstraße in Berlin-Steglitz.

© Imago/Joko

Mehr als ein Kino: Der Berliner Titania-Palast wurde vor 95 Jahren eröffnet

Ein Steglitzer Wahrzeichen hat Geburttag. In dem auch heute noch markanten Bauwerk geschah immer wieder Historisches.

Von Markus Hesselmann

Eintausend Menschen hörten zu, als Walter Gropius im Nachkriegs-Berlin über Stadtplanung sprach. Der Bauhaus-Gründer, der in seiner Heimatstadt die inzwischen zum Weltkulturerbe gehörende Großsiedlung Siemensstadt mitgestaltet hatte und später die dann posthum nach ihm benannte, obwohl entgegen seinen Vorstellungen realisierte Gropiusstadt planen wird, hielt im Titania-Palast einen „Lichtbildervortrag“ (Tagesspiegel vom 24. August 1947).

„Sein besonderes Interesse galt der städtebaulichen Planung mit der Tendenz, die Riesengebilde der Großstädte in einzelne, in sich geschlossene ,Nachbarschaften’ zu gliedern“, schrieb der Tagesspiegel über den Vortrag in Steglitz. „Die geforderten Wohnbezirke mit höchstens achttausend Menschen verlangen im allgemeinen nur Wege bis zu 15 Minuten.“ In Zeiten der Verkehrswende, notwendig nicht zuletzt für den Klimaschutz, klingt dies wieder hochaktuell.

Der Ort allerdings, an dem Gropius sprach, war dem Bezirk, dem Kiez, der 15-Minuten-Stadt entwachsen. Im kriegszerstörten Berlin fand sich ein Veranstaltungsort mit so vielen Plätzen nicht leicht. Der Titania-Palast aber hatte den Luftkrieg intakt überstanden. So stieg das Steglitzer Kino, das vor 95 Jahren, am 26. Januar 1928, eröffnet worden war, in der Nachkriegszeit auf zum stadtweiten Anziehungspunkt - weit hinaus auch über seine Hauptfunktion als Kino.

Stadtprägender Veranstaltungsort mit beeindruckendem Interieur: Hier die Gründungsversammlung der FU 1948.
Stadtprägender Veranstaltungsort mit beeindruckendem Interieur: Hier die Gründungsversammlung der FU 1948.

© Freie Universität Berlin/Universitätsarchiv

Zwei Ereignisse ragen dabei heraus und werden auch auf der Gedenktafel an dem Bauwerk erwähnt: Die Gründung der Freien Universität 1948 und das erste Konzert der Berliner Philharmoniker schon zweieinhalb Wochen nach Kriegsende. Es dirigierte Leo Borchard, der mit seiner Lebensgefährtin, der Journalistin Ruth Andreas-Friedrich, in der Nazi-Zeit Juden geholfen und die Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ aufgebaut hatte. Drei Monate nach dem Konzert wurde Borchard irrtümlich von einem amerikanischen Soldaten bei einer Straßenkontrolle erschossen.

„Das Eingangsportal des Titania-Palasts ist schwarz von Menschen“, schreibt Ruth Andreas-Friedrich in ihren Kriegs- und Nachkriegs-Erinnerungen über das erste Nachkriegskonzert der Berliner Philharmoniker am 26. Mai 1945. „Im Saal wird es dunkel. Fast tausend Menschen sitzen in stummer Erwartung. Sie kamen zu Fuß und zu Rad. Aus ihren Trümmerwohnungen, aus den Sorgen ihrer Tage, der Angst ihrer Nächte.“

Die Gedenktafel am Bauwerk.
Die Gedenktafel am Bauwerk.

© OTFW, Berlin, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

Unter anderem gespielt wird „Ein Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy. „Der Reichpropagandaminister hat dieser Musik die Existenzberechtigung abgesprochen, sie als ‘Jüdisches Machwerk’ auf die Verbotsliste gesetzt“, schreibt Ruth Andreas-Friedrich. „Sei gesegnet, ‘Jüdisches Machwerk’! Hunderten von Betrübten bist du heute Erquickung.“

Dies in einem Saal, dessen Betreiber 1933 von Anfang an mit ihrem Programm nazitreu waren, sogar schon vor Goebbels’ Amtsantritt. „Die Leitung des Titania-Palasts schwenkt also ebenfalls schon früh auf die neue, nationalsozialistische Linie ein, sei es aus vorauseilendem Gehorsam, aus innerer Überzeugung oder schlicht aus wirtschaftlichen Gründen“, schreibt Rolf Grünewald in seinem 1992 erschienenen Buch „Der Titania-Palast. Berliner Kino- und Kulturgeschichte“.

Marlene Dietrich mit Burt Bacharach 1960 im Titania-Palast.
Marlene Dietrich mit Burt Bacharach 1960 im Titania-Palast.

© Heinz Köster / Archiv

Wer im Tagesspiegel-Archiv mit dem Stichwort „Titania-Palast“ sucht, findet vielfältig Bedeutendes: Ernst Reuter und Konrad Adenauer sprachen hier, der Bundeskanzler zettelte dabei einen Hymnenstreit an. Louis Armstrong, Yehudi Menuhin und Hank Williams spielten im Titaniapalast. „We‘re playing tonight in Berlin‘s largest concert hall“, erklärte der amerikanische Countrystar 1949 seinen Fans. Orson Welles und Eartha Kitt gaben 1950 hier „Faust“ und „Heinrich VI.“.

Die Berlinale fand bei ihrer Premiere 1951 an der Schloßstraße statt - und kehrte 2022 mit einigen Vorführungen dorthin zurück. Marlene Dietrich sang hier zunächst für die Alliierten und schließlich, 1960, auch für das Berliner Publikum. Draußen protestierten derweil „propre Mädchen und sehr aufrechte Jünglinge“ (Tagesspiegel-Autorin Karena Niehoff) gegen die erklärte Antifaschistin.

Konrad Adenauer ließ am 18. April 1950 im Titania-Palast die dritte Strophe des Deutschlandliedes singen.
Konrad Adenauer ließ am 18. April 1950 im Titania-Palast die dritte Strophe des Deutschlandliedes singen.

© Hans von Nolde/ picture alliance/AP

„Der Titania-Palast von Erich Schöffler, Carlo Schlönbach und Carl Jacobi gilt zu Recht zusammen mit Erich Mendelsohns Universum-Kino am Lehniner Platz, der heutigen Schaubühne, als bedeutender erhaltener Kinobau aus der Anfangszeit des Tonfilms“, sagt Brigitte Hausmann, die den Fachbereich Kultur im Bezirk Steglitz-Zehlendorf leitet und sich in einer Ausstellung sowie der dazugehörigen Publikation mit der Architekturmoderne im Berliner Südwesten und damit auch dem Titania-Palast befasst hat. Besonders markant: „Aus den imposanten versetzten Kuben in Stahlbetonskelettbauweise entwickelt sich über dem Haupteingang ein zirka 30 Meter hoher schlanker Aufbau mit 27 Lichtringen.“ (Hier finden Sie unsere Fragen zum Titania-Palast an Brigitte Hausmann und ihre Antworten im Wortlaut.)

Der heutige, weniger repräsentative Kino-Eingang in der Gutsmuthsstraße.
Der heutige, weniger repräsentative Kino-Eingang in der Gutsmuthsstraße.

© Volker Noth

Mit dem Niedergang des Großkinos geriet das historische Bauwerk zwischenzeitlich in akute Gefahr. Innen blieb ohnehin nichts, wie es war. Aber: „Das bis heute beeindruckende Äußere blieb weitgehend erhalten“, sagt Brigitte Hausmann. „Ein Abriss wurde glücklicherweise 1965/66 abgewendet und die denkmalgeschützte Fassade 1995 instandgesetzt, allerdings mit Zugeständnissen an die Geschäfte und deren Bedarf an Schaufenstern.“ Dennoch: „In diesem Abschnitt der Einkaufsmeile Schlosstrasse ist der Titania-Palast noch immer der markanteste Bau.“

Den runden Jahrestag in fünf Jahren möchte die Kulturamtschefin mit einem Programm feiern, „an dem möglichst viele ‘Wegbegleiter’ des Palastes – von den Berliner Philharmonikern und der FU bis hin zu Cineplex und heutigen gewerblichen Nutzern – beteiligt sind“. Mit den heutigen Kinobetreibern hat sie gute Erfahrungen gemacht. Dank deren Offenheit konnte der Bezirk Filme zeigen, die sonst nicht auf großer Leinwand liefen, etwa den Stummfilm „Menschen am Sonntag“ oder Hanna Schygullas Geflüchteten-Doku „Die Unbegleiteten“, die im nahegelegenen Adria-Kino uraufgeführt wurde.

Mehr Historisches zu Berliner Orten bei Tagesspiegel Plus

Erinnerungspolitisch fände Brigitte Hausmann „eine etwas ausführlichere Heranführung an die Geschichte des Titania-Palastes in der Weimarer Republik, der NS-Zeit und der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart wünschenswert“ - und hofft, dass dieser Artikel vielleicht etwas anstößt.

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