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Die Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg wurde 1894 eingeweiht.

© Frederic Riedel/Apostel-Paulus-Gemeinde

Die erste klimaneutrale Kirche: Biogas heizt die Apostel-Paulus-Kirche in Berlin

Mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Denkmalschutz bekommt das zweitgrößte Gotteshaus der Hauptstadt ein Block-Heizkraftwerk.

In diesem Gotteshaus kommt Reinhard Müller richtig in Fahrt. Der Erfinder und Eigentümer des Euref-Campus hat eine spezielle Beziehung zur Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg. Am 11. Juli, Müllers 70. Geburtstag, hat sich hier das Ehepaar Müller vom befreundeten Superintendenten Michael Raddatz trauen lassen – ein paar Jahrzehnte nach der Eheschließung im Standesamt. Die Zeiten haben sich geändert, und die Müllers wollten den letzten Lebensabschnitt mit dem Segen der Kirche beginnen.

Müller ist nicht sonderlich fromm, doch das Thema „Bewahren“ liegt ihm zunehmend am Herzen. „Wir quatschen alle zu viel und tun zu wenig“, meint der Unternehmer Müller. Und nimmt Geld in die Hand.

Zweitgrößte Berliner Kirche

Gemeinsam mit Raddatz, der Pfarrerin Martina Steffen-Elis und dem Gasag-Manager Gunnar Wilhelm stellt Müller eine Investition vor, die nach Einschätzung der Initiatoren einmalig ist: Die Apostel-Paulus-Kirche wird die erste klimaneutrale Kirche Berlins.

„So ein Referenzprojekt gibt es nirgendwo in Deutschland“, glaubt Raddatz. Das erste Mal soll das riesige Gebäude bereits zu Weihnachten mit Biogas geheizt werden. „Mit relativ einfachen Maßnahmen können wir die CO₂-Ziele erreichen“, meint Müller, dessen Euref-Campus auch gerne als Reallabor der Energiewende beworben wird. „Man muss es nur machen.“

70.000 Mitglieder in 15 Gemeinden und rund 20 Gebäude gehören zum Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg. Wenn die Gotteshäuser beheizt werden, dann mit fossiler Energie. Jede Gemeinde ist eine eigene Körperschaft und regelt ihr Heizsystem selbst, erläutert Raddatz und spricht von einem „gigantischen Investitionsstau“. Immerhin gibt es inzwischen ein „strategisches Immobilienmanagement“, das sich in Raddatz’ Kirchenkreis mit energetischer Sanierung befasst.

Mit Abstand das größte Haus ist die Apostel-Paulus-Kirche, in Berlin bietet nur der Dom mehr Platz. Hausherrin Martina Steffen-Elis ist stolz darauf, dass die Kirche den ganzen Winter über beheizt wird und von Obdachlosen genutzt werden kann. Jetzt möchte die Gemeinde Vorbild sein beim Klimaschutz.

Vor dem Altar der Apostel-Paulus-Kirche: Pfarrerin Martina Steffen-Elis zwischen Gunnar Wilhelm, Geschäftsführer der Gasag Solutions GmbH (links) und Superintendent Michael Raddatz mit Euref-Eigentümer Reinhard Müller (rechts).

© Tsp/Alfons Frese

Nach den Plänen des Kaiserlichen Baurats Franz Schwechten, der auch für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz zuständig war, entstand die Apostel-Paulus-Kirche zwischen 1892 und 1894. In dem 53 Meter langen und fast 29 Meter breiten Gebäude gibt es 1200 Sitzplätze für Gottesdienst- oder Konzertbesucher.

Durch die Vermietung an Konzertagenturen und andere Veranstalter kommt bei rund 200 Events im Jahr das Geld zusammen für die Heizungs- und Stromkosten, die bei rund 30.000 Euro liegen. Die 2000 Gemeindemitglieder allein könnten das historische Gebäude nicht bewirtschaften.

„Da die Kirchen der Gründerzeit die Spiritualität befördern wollten, um die der Kirche entfremdete Arbeiterklasse wieder anzuziehen, waren sie im Inneren dunkel, geheimnisvoll, farbig.

Aus einer Broschüre anlässlich des 125. Geburtstag der Apostel-Paulus-Kirche

„Schöneberg war eine Gemeinde im Kreis Teltow vor den Toren von Berlin mit fast 15.000 nahezu ausschließlich evangelischen Einwohnern, als man gegen 1880 begann, eine neue Kirche zu planen“, heißt es in einer Broschüre zur Kirchengeschichte. Als Standort wurde das Akazienwäldchen an der Ecke Grunewald- und Akazienstraße gewählt.

Ende 1894 war die Kirche fertig und wurde in Anwesenheit des Kaiserpaares eingeweiht. „Da die Kirchen der Gründerzeit die Spiritualität befördern wollten, um die der Kirche entfremdete Arbeiterklasse wieder anzuziehen, waren sie im Inneren dunkel, geheimnisvoll, farbig, eine Mischung aus Gotik und Renaissance“, schreibt Sibylle Suchan-Floß in der Kirchengeschichte.

Blockheizkraftwerk unterm Altar

„Nach dem Euref-Campus wird die Apostel-Paulus-Kirche der zweite CO₂-freie Veranstaltungsort Berlins“, sagt Müller. Jedenfalls dann, wenn das neue und mit Biogas betriebene Blockheizkraftwerk (BHKW), das die Gasag im Keller unter dem Altar installiert, den Kirchenraum zu heizen vermag. Wird es sehr kalt, kann immer noch die erst sechs Jahre alte und mit fossilem Gas befeuerte Heizung mitgenutzt werden.

Im Rahmen eines Contracting-Vertrages mit zehn Jahren Laufzeit installiert und wartet die Gasag das BHKW. „So eine Anlage kann man nicht mit Ehrenamtlichen betreiben“, sagt Gasag-Manager Wilhelm. Die Investitionskosten betragen 250.000 Euro.

Für die Evangelische Kirche ist Contracting neu – und war intern umstritten. Die Gasag bekommt einen Schlüssel zum Gotteshaus und hat Wegerecht. Eine Alternative zum BHKW habe es nicht gegeben, sagt Wilhelm: Photovoltaik auf dem Dach des Denkmals kam nicht in Betracht, Wärmepumpen würden viel zu viel Strom verbrauchen, Daten zum Geothermie-Potenzial im Berliner Boden liegen frühestens 2025 vor, und an das Fernwärmenetz sind der Schöneberger Kiez und die Kirche nicht angeschlossen.

Klimaschutzabgabe für Kirchen

„Meine Motivation ist es, zu zeigen, wie einfach Klimaschutz geht“, sagt Müller, ohne dessen Stiftung Denkmalschutz es in diesem Fall nicht gehen würde: Mit 20.000 Euro pro Jahr unterstützt die Stiftung über zehn Jahre den Betrieb der Biogasanlage in der Kirche, die über den gesamten Zeitraum mindestens 80 Prozent der Wärme erzeugen soll. Die Gasag wiederum verpflichtet sich, das Gotteshaus auf 16 Grad zu heizen.

Sowohl Pfarrerin Steffen-Elis als auch Raddatz und Müller betonen den Modellcharakter des BHKW für die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. 2021 hatte die Landeskirche ein eigenes Klimaschutzgesetz beschlossen, wonach bis 2045 die kirchlichen Immobilien und Fahrzeuge keine CO₂-Emissionen mehr verursachen. Die Kirche veranschlagt die Kosten auf dem Weg dorthin mit 150 Millionen Euro.

Seit 2022 gilt die Pflicht, nur noch Strom aus erneuerbaren Energie zu beziehen. In diesem Jahr kam die Klimaschutzabgabe hinzu: Jede Gemeinde zahlt für Gebäude in ihrer Zuständigkeit pro Tonne CO₂ 125 Euro in einen kirchlichen Klimaschutzfonds. Aus diesem Fonds können dann die Gemeinden bis zu 100 Prozent der klimabedingten Mehrkosten als Zuschuss beantragen. „Wir wollen künftig befreit werden von der Klimaschutzabgabe“, sagte Steffen-Elis. Für dieses Jahr muss ihre Gemeinde noch eine Abgabe von 9082,12 Euro allein für die Wärmeerzeugung zahlen.

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