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Auf der Straße zu Hause. Viele Berliner Wohnungslose kommen aus anderen Ländern.

© imago/Steinach

Wohnungslosigkeit: Berlin zahlt Obdachlosen die Rückreise - notfalls zweimal

Ausländische Obdachlose ohne Perspektive können freiwillig mit dem Bus zurück in ihre Heimat fahren. Doch nicht alle Bezirke nutzen diese Möglichkeit.

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Die Busse starten am Zentralen Busbahnhof. Es sind Linienbusse nach Rumänien, sie steuern dort verschiedene Ziele an. In diesen Bussen sitzen sie, Passagiere, denen die Tickets von Behörden bezahlt wurden. Mal sind es elf Menschen wie am 21. Juni 2017, mal 18 wie am 2. September 2016, mal 35 wie am 15. Juni vergangenen Jahres. Sie haben in Berlin gelebt, meist unter freiem Himmel, sie sehen keine Perspektive mehr für sich in der deutschen Hauptstadt, sie wollen zurück in ihre Heimat. Oft sind Sinti und Roma unter den Rückkehrern.

"Wir dürfen das nicht dulden"

Das sind, teilweise zumindest, die Menschen, die Franziska Giffey meint, wenn sie sagt: „Wir versuchen, sie mit Dolmetschern vor Ort zur Rückreise zu bewegen.“ Das Problem mit Obdachlosen in öffentlichen Grünanlagen treibt die SPD-Bezirksbürgermeisterin von Neukölln um. Deshalb sagt sie auch: „Wir dürfen das nicht dulden.“ Andere Bezirkspolitiker sehen das ähnlich. Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel beklagt die Zustände im Tiergarten, wo Obdachlose Grünflächenmitarbeiter bedroht haben sollen. Auch wilde Camps in Friedrichshain-Kreuzberg wurden jetzt geräumt.

Es ist ein umfassendes Problem, und eine Lösung lautet freiwillige Rückkehr. Freiwillig, das ist das Schlüsselwort. EU-Bürger können nicht ausgewiesen werden, sie müssen sich schon selbst zur Ausreise entschließen. Von Dassel überlegt, besonders aggressive Obdachlose abzuschieben, aber das funktioniert nicht. EU-Bürger können sich in jedem EU-Mitgliedsstaat aufhalten. Sie dürfen sich in einem Mitgliedsstaat wirtschaftlich selbstständig oder unselbstständig, dauerhaft oder vorübergehend betätigen.

Natürlich gibt es Grenzen, aber die sind hoch: schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, Verwendung von gefälschten Dokumenten oder auch Inanspruchnahme von Sozialleistungen, auf die hier lebende EU-Bürger aus anderen Staaten keinen Anspruch haben.

Caritas ist eingebunden ins Rückreise-System

Deshalb reagiert Thomas Gleißner auch ziemlich allergisch, wenn er das Wort Abschiebung hört. „Hier passiert alles absolut freiwillig. Wir sind nicht für die ordnungspolitischen Lösungen da.“ Gleißner ist der Pressesprecher der Caritas, und die ist vor allem dazu da, „Menschen aus der Armut zu helfen, sie ins Regelsystem zu integrieren“.

Die Caritas ist eingebunden ins System der freiwilligen Rückkehrer. Ihr Hilfsprojekt MOBI.Berlin ist eine Beratungsstelle für Zuwanderer aus Südosteuropa, MOBI-Mitarbeiter stehen in Kontakt mit Obdachlosen. Diese Mitarbeiter hören oft als Erste, wenn jemand hier für sich keine Perspektive mehr sieht.

Dann MOBI.Berlin Beratung bietet an, Mitarbeiter erklären, dass es die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr gibt. Schließlich verweisen sie an die Beratungsstellen der Bezirksämter. Interessenten können sich auch ans Landesamt für Flüchtlinge (LAF) wenden, das hat eine Beratung in der Bundesallee.

Neukölln macht den Anfang

Die weitere Arbeit übernehmen das jeweilige Bezirksamt oder das LAF. Die Rückreisen werden vom Bezirk beim LAF angemeldet. „Das LAF vermittelt auf Anfrage der Bezirke die Busfahrt“, sagt LAF-Pressesprecher Sascha Langenbach. Federführend aber bei der Organisation ist das jeweilige Bezirksamt. Dessen Mitarbeiter „sorgen sich meistens auch um Verpflegung und um die Möglichkeit, mehr Reisegepäck als üblich mitzubringen“, sagt Gleißner.

Wobei bisher in Berlin nur ein überschaubarer Kreis von Mitarbeitern mit solchen Arbeiten befasst ist. Die Caritas arbeitet mit den Bezirken Neukölln, Lichtenberg, Mitte, Marzahn-Hellersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg zusammen. Doch eine freiwillige Rückkehr habe von denen nur Neukölln organisiert. Warum zum Beispiel Mitte, wo der Tiergarten ein besonderes Problem darstellt, nicht dazugehört, ist unklar. Eine Anfrage des Tagesspiegels blieb unbeantwortet.

Andere Bezirke arbeiten so wie Neukölln. „Treptow-Köpenick und Charlottenburg haben in den letzten Jahren solche Rückreisen für Gruppen in Parks organisiert, immer mit Streetworkern oder anderen sozialen Projekten, aber nicht mit der Caritas“, sagt Gleißner. LAF-Sprecher Langenbach teilt mit: „Außer Neukölln haben bereits die Bezirke Treptow-Köpenick und Charlottenburg-Wilmersdorf unsere Hilfe angenommen.“ Insgesamt rund 110 Personen sind auf diese Weise im vergangenen Jahr freiwillig zurückgekehrt, für 52 von ihnen hat Neukölln die Reise organisiert.

Manche kommen wieder

Im Bereich der Caritas fuhren die Rückkehrer immer nach Rumänien. Gleißner verwundert das etwas, weil die Zielgruppe des MOBI.Berlin-Projekts „zugewanderte Personen und Familien aus Rumänien und Bulgarien“ sind. Weshalb Bulgaren die Reiseangebote nicht annehmen, kann er nicht sagen.

Wer in die Busse einsteigt, hat ein Ticket in der Tasche, das zu seinem Heimatort oder zumindest in dessen Nähe führt. „In der Vorbereitungsphase sagen die Leute, wohin sie zurückwollen“, erklärt Gleißner. In der Regel handele es sich um Gruppen von Erwachsenen, darunter auch Paare, aber keine Kinder.

Die Kosten für die Rückreise übernimmt der jeweilige Bezirk. Für Neukölln betrugen sie für die 63 Rückkehrer rund 7200 Euro. Alle Rückreise-Willigen erhielten Verpflegungspakete in Höhe von je zwölf Euro. Von den 63 Personen absolvierten fünf die Reise zum zweiten Mal. Nach ihrer ersten Heimreise waren sie wieder nach Berlin zurückgekehrt.

Und manchmal steigen ein paar Menschen, die ihre Rückreise angekündigt hatten, erst gar nicht ein. Eine Busfahrt war in diesem Jahr bereits organisiert. Sie musste wieder abgesagt werden. Die Betroffenen blieben doch lieber in Berlin.

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