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Lehrerin Andrea Küpper mit ihrer Klasse 9f auf dem Schulhof der Jean-Krämer-Sekundarschule in Wittenau.

© privat

Weiterführende Willkommensklasse: Auf dem Sprung zum Schulabschluss

In der Jean-Krämer-Schule wird Flüchtlingen nicht nur in Willkommensklassen Deutsch beigebracht: Hier wird ein ganz besonderes Konzept ausprobiert.

„Ich liebe dich, das waren meine ersten Wörter“, sagt Sasho, 17 Jahre alt.  Er besucht die 9f der Jean-Krämer-Sekundarschule. Das „f“ steht hier nicht für „Flüchtling“ oder „Förderunterricht“, nein, es stellt lediglich den 6. Buchstaben des Alphabets dar und reiht sich an die Klassen 9 a, b, c, d und e. 15 Kinder, 12 Nationalitäten, alle im Alter zwischen 15 und 18 Jahren – das ist die 9f.

Die Flüchtlingsunterkunft in der Karl-Bonhoeffer-Klinik ist ganz in der Nähe, deshalb nahm die Jean-Krämer-Schule schon früh Flüchtlinge auf. Die Lehrer stellten bald fest, dass das Leistungs- und Sprachniveau in den Willkommensklassen stark auseinanderdriftete. Einige Schüler konnten gerade mal das Alphabet, andere brachten bereits eine gute Schulbildung aus ihren Herkunftsländern mit. Die Schule entschied sich deshalb für ein neues Konzept: Nach einem Jahr in der Willkommensklasse beurteilen die Lehrer, ob die Schüler bereit für die 9f sind. Dort wird Regelunterricht gegeben, mit zusätzlichem Deutschunterricht, mehr Stunden für Mathematik und Berufsorientierung.

„Die Lernbereitschaft ist unglaublich hoch, wenn ich in diese Klasse gehe, weiß ich warum ich unterrichte“, begeistert sich Tine Krenz. „Die wollen das einfach, das merkt man!“, sagt die Lehrerin.

Es sei meistens nicht möglich, die Schüler nach ihrer Zeit in der Willkommensklasse direkt in eine der bestehenden Klassen einzugliedern, sagt Schulleiter Volker Kaiser. Dafür seien die Schüler teilweise zu alt. Außerdem liegen sie sprachlich noch zurück, auch wenn sie den Stoff beherrschen. Für maximal 20 Schüler ist hier Platz. In der 32-34 Stundenwoche steht verstärkt Deutschunterricht auf dem Stundenplan. „Manche mussten während des letzten Jahres zurück in die Heimat.“, ergänzt Schulleiter Kaiser. Er wirkt traurig.

Ich nehme dich an die Hand und zeige dir was du kannst

Sogenannte „Ausbildungsplatzpaten“ begleiten die 9f bis zu zweimal die Woche. Diese ehrenamtliche Initiative setzt sich mit der gewünschten beruflichen Orientierung der Schüler auseinander: Zusammen geht man zur Agentur für Arbeit, informiert sich über den ausgewählten Beruf, schnuppert mal rein, kümmert sich um Bewerbungen. Ausbildungsplatzpaten gibt es bis jetzt nur im Bezirk Reinickendorf. Alle Schüler der 9f streben den Mittleren Schulabschluss (MSA) an, manch einer will Abitur machen. „Ich möchte zur Polizei, da brauche ich Abitur“, sagt Alpay, 16 Jahre alt, aus Bulgarien. „Ich will Koch werden oder Fußballer!“ ergänzt ein Freund.

Vorerst aber arbeiten sie an der Berufsbildungsreife (BBR).  Das deutsche Sprachdiplom haben sie bereits absolviert. Klassenklima und Atmosphäre sind herzlich, geradezu familiär. Scherze und Albernheiten finden auch ihren Platz. „Wir sind wie eine normale Klasse“, sagt ein Schüler. „Es ist sehr schön hier“, ergänzt ein Mädchen. „Hier ist nämlich die Welt zu Haus.“ Auch die Geschwister Nila (18) und Ameneh (18) sind froh hier zu sein, sie flohen aus dem Iran.

Inspiration für Andere

Auch andere Schulen im Norden Berlins sehen sich durch die Jean-Krämer-Schule inspiriert und planen ähnliches –  z.B. einen Einstieg in die gymnasiale Oberstufe. Das „Konzept 9f“ wurde bereits im Schuljahr 2014/15 entwickelt - als die ersten Schüler aus der benachbarten Flüchtlingsunterkunft kamen. „Es hat sich bewährt“, sagt Kaiser.

Es wird spannend

Die Schüler aus den übrigen neunten Klassen kommen bisher meist nur in den Pausen mit den Schülern aus der 9f in Kontakt. „Klar bleiben die eher unter sich, aber das wird immer besser“, sagt eine Schülerin. „Ich wäre auch schüchtern am Anfang“, sagt eine andere. In der zehnten Klasse sollen die Schüler der 9f dann auf die bestehenden Klassen aufgeteilt werden. Die Neuntklässler freuen sich auf die neuen Mitschüler. „Streitereien gibt es bestimmt mal“, sagt ein Mädchen. „Aber das ist normal, das hat nichts damit zu tun, ob jemand geflohen ist oder nicht.“

Simin Jawabreh

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