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Bei Hertha läuft nicht alles rund - doch gerade das macht den Verein liebenswert.

© Rainer Jensen / dpa

125 Jahre Hertha BSC Berlin: Der perfekte Verein für eine unperfekte Stadt

Hertha, du bist Berlin: Oft kantig, manchmal tantig - aber immer geradeaus. Heute wird der Klub 125 Jahre alt. Eine Würdigung.

So frisch war sie lange nicht, die olle Hertha. 125 Jahre wird Berlins größter Verein heute alt; es gibt einen Festakt im Rathaus und eine große Ausstellung im Stadtmuseum, und an Berlins zentralen Plätzen weht die blau-weiße Fahne im Wind. In der Nacht wollten die Fans schon mit Feuerwerk und Fanfaren im Olympiastadion reinfeiern – schon klar: Nur nach Hause geh’n wir nicht.

Die Krönung sollte eine in der Fußballwelt einmalige Heimkehr sein. Der Dampfer Hertha, von dem sich der Klub einst den Namen und die blau- weiße Farbe vom Schiffsschornstein abgekupfert hatte, wird über Landwege und Wasserstraßen aus Brandenburg zurück nach Berlin geholt. Aber ach, nun fehlt doch noch die Genehmigung zum Befahren der Stadt-Gewässer. Dit is Hertha, so ist Berlin.

Fans von der Studentin bis zum Handwerker

Die Dame ist zuweilen launisch, kommt nicht gerade elegant daher. Hertha ist oft kantig, manchmal tantig – aber immer geradeaus. So spröde wie Berlin. Und deshalb niemals öde. Mag sein, dass der Wind manchmal die Fangesänge aus dem zugigen Olympiastadion trägt. Mag sein, dass der 1. FC Union in Köpenick eine Idylle für Ost-Berliner Fußballromantiker erschaffen hat. Mag sein, dass viele Zugezogene nicht von ihren schwarz-gelben und rot-weißen Lieben lassen wollen. Doch wer Berlin wirklich in seiner Vielfalt entdecken will, auch in seiner größenwahnsinnigen Bodenständigkeit (oder im bodenständigen Größenwahn), der ist in der Ostkurve tief im Westen gut aufgehoben.

Hier steht die Familie aus Prenzlauer Berg neben der Studentin aus dem Wedding neben dem Handwerker aus Spandau neben der Rentnerin aus Steglitz; in das Englisch der Touristen mischt sich der beste Berliner Slang aus Brandenburg. Hertha hat im Schnitt weit über 50.000 Zuschauer, der Verein zählt 35.000 Mitglieder. Wer schafft es in der Hauptstadt der Meckerköppe schon, regelmäßig so viele Menschen für sich zu begeistern? Und das ohne große Finals; ohne Titel, Pomp und Gloria.

Meist pleiter als pleite

Die beiden deutschen Meisterschaften sind lange her (vor dem Zweiten Weltkrieg), fast so vergessen wie der Zwangsabstieg nach dem Bundesliga-Skandal um illegale Handgelder in den Sechzigern. Hertha hat sich trotzdem immer behauptet, so wie die einst zerbombte und dann geteilte Stadt. Manchmal war der Verein pleiter als pleite. Aber wurschtelte berlinisch weiter.

In der Not wurde das traditionsreiche Stadion „Plumpe“ am Gesundbrunnen verkauft oder später die Hertha-Villa im Westen der Stadt. Aber nie die raue und schaue Seele eines einstigen Arbeitervereins, in der sich die Narben einer Großstadt spiegeln. Herthas erstes Spiel nach dem Mauerfall 1989 – Ost-Berliner hatten freien Eintritt – war eines dieser Wahnsinnswunder der Wende. Die bewegte Vergangenheit ist in die blau-weiße Gegenwart eingraviert und deshalb so bewegend.

Gegründet in Mitte, erwachsen geworden im Wedding, in Würde gealtert in Charlottenburg – und mithilfe des Fußballarbeitstrainers Pal Dardai plötzlich wieder interessant für Deutschlands beste Spieltalente und seit Langem erstmals wieder dabei auf Europas Fußballplätzen. Das ist eine Gesamtberliner Erfolgsgeschichte in einer wachsenden, manchmal an sich zweifelnden und am eigenen Erfolg verzweifelnden Hauptstadt. Begleitet von der Fanhymne des ebenfalls unkaputtbaren Berliner Originals Frank Zander, vom kuschligsten deutschen Fußballmaskottchen Herthinho und dem witzigsten Twitter-Account der Bundesliga hat sich Tante Hertha überraschend unauffällig frisch gemacht. Und in den Fanblöcken gibt’s schon lange keine bösen Onkels mehr.

Hertha schafft es nie so ganz

Das Schlimmschöne, Urberlinische ist, dass auch in diesem Aufstieg das Scheitern die größten Chancen bietet. Und wer kennt sie nicht, diese Momente, in denen Hertha Leidenschaft nur durch Leiden schafft? Als Berlins Rumpelfußballer einst in der Zweiten Liga 0:4 gegen Essen zurückliegen, die Fans in der Kurve ihre Schals verbrennen, fällt plötzlich das 1:4, das 2:4, sogar das Anschlusstor. Dann kriegt Hertha auch noch einen Elfmeter – und verschießt.

Wenn es wirklich wichtig ist, wird das Leben für die Hertha meistens härter. Das entscheidende Aufstiegsspiel gegen Uerdingen – 0:5. Das entscheidende Spiel um die Champions League gegen Hannover, bei dem ein 1:0 reicht – 0:0. Gewonnene Pokalfinals: null. Zuletzt der grandiose Kampf gegen Fußball-Geldmeister Bayern München, den Hertha in der Nachspielzeit der Nachspielzeit der Nachspielzeit doch noch 1:1 verliert. Hertha schafft es nie so ganz, aber es gelingt auch keinem, Hertha ganz zu schaffen. Die blau-weiße Fahne – als Vereinsemblem das Eleganteste, was der Klub zu bieten hat – wird sicher noch weitere 125 Jahre über Berlin wehen. Denn Hertha ist der perfekte Verein für eine unperfekte Stadt.

Weil das Leichte Berlin eben schwerfällt, bleibt wohl auch Hertha unvollendet und wird niemals fertig. Ein kreativer Brachkulturbetrieb in einer internationalen Metropole, dessen Führung sich nach einer neuen Arena des modernen Fußballkapitalismus sehnt, während die Fans in der blauen Olympiaschüssel erfolgreich die Einführung der bargeldlosen Bierbezahlung torpediert haben – durch stures Ignorieren am Bockwurststand. Auch darauf eine Berliner Blau-Weiße! So frisch war sie lange nicht, die olle Hertha. Vielleicht der richtige Augenblick für Berlin, sich neu zu verlieben.

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