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KUNST Stücke: Nackte Nostalgie

Es ist ein weiter Weg von entlegenen Stränden und einsamen Atollen zurück auf den Kunstmarktplatz Berlin. Auf manchen Facebook-Profilen sind Galeristen noch beim Hochseeangeln zu sehen.

Es ist ein weiter Weg von entlegenen Stränden und einsamen Atollen zurück auf den Kunstmarktplatz Berlin. Auf manchen Facebook-Profilen sind Galeristen noch beim Hochseeangeln zu sehen. Zu Hause ruht der Betrieb. Man lässt die Adressdaten sortieren oder verhandelt die Kreditlinien nach. Nur hier und da bietet eine Galerie dem Publikum Zwischensaisonausstellungen an. Das sind Ruhezonen, in denen therapeutisch dosierte Werke zur Wiedergewöhnung ans Spektakel geboten werden. Bei Neu (Philippstraße 13, bis 25. August) zum Beispiel ist der Schauraum in ein Sommeridyll umgewandelt, das man kaum wieder verlassen will, weil es so perfekt inszeniert, so elegant lyrisch und nicht unverdaulicher als ein Zuckerbaiser ist. Mark Borthwick kommt schließlich aus der Modefotografie. Heute ist er ein fotografierender Poet, der auch singen und Gedichte rezitieren kann. Auf den Tischen liegen Briefe, Verse und Polaroids. Auf einem Monitor tanzt die Kamera über Lichtungen, während aus dem Off Lyrik klingt. Und überall sind Schnappschüsse über die Wände verstreut, als habe der Künstler Wolfgang Tillmans impressionistische Ausstellungscollagen noch zu erdenschwer gefunden. Das ist nackte Nostalgie. Man weiß nicht, ob man in ein Atelier geraten ist, in dem Ferien sind, oder ob die Kunst hier den letzten Frieden mit der Pose schließt. Jugendzimmer, Probenraum. Die Welt ist ein Setzkasten, und wir sind mittendrin. Ein Aufschub ist das. Sanfte Ruhe, die uns süß sediert, bis es wieder Inhalte gibt. Falls es sie gibt.

Bei Sprüth Magers (Oranienburger Straße 18, bis 25. August) nimmt der Urlaub dagegen Haltung an. Jean-Luc Mylayne hat im Niemandsland zwischen Wildnis und Siedlungen Singvögel fotografiert. Immer ist der Bildausschnitt mit solcher Willkür aus der Landschaft gerissen, dass das Tier zum Zaungast wird. Hier gibt es keine Dramatisierung der Natur. Das monumentale Format zeigt nur, dass wir die Natur selbst betreten, Ornithologen werden müssten, um zu verstehen, dass nicht der Moment entscheidend ist, sondern die Geduld, mit der wir uns durch die Welt bewegen. Sobald man Mylaynes Bildern vertraut, büßt die Galerie jede Bedeutung ein, weil sich ein Ausstellungsraum zum Aststück wie eine Computersimulation verhält. Warum betrachten wir Kunst, warum besuchen wir Galerien?, fragt der 66-jährige Mylayne. Man sollte einen Notizblock mit in die Ausstellung nehmen. Sonst hat man die Frage zum Kunstherbstbeginn wieder vergessen.

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