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Juni 2013. Der rumänische Fotojournalist Andrei Pungovschi dokumentierte die Gezi-Park-Proteste.

© Andreas Klaer

Jedes Bild erzählt eine Geschichte: 100 Jahre Republik Türkei – Reportagefotografie in der Potsdamer Galerie a/e

Anlass zur aktuellen Ausstellung in der Potsdamer Galerie a/e ist das hundertjährige Jubiläum der modernen Türkischen Republik. 1923 wurde sie gegründet.

Schon das Aufmacherbild der aktuellen Ausstellung macht neugierig auf die Umsetzung des Themas: 100 Jahre Türkische Republik. Ein kleines Mädchen vor einer Steinmauer, mit Zöpfen in einer langen Strickjacke.

Mit beiden Händen hält sie sich die Augen zu. Eine Geste, die berührt. Wollte sie nicht fotografiert werden oder war sie gerade beim Versteckspiel? „Sie hat mit der Fotografin gespielt“, sagt Galeristin Angelika Euchner. Das Bild „Spielendes Mädchen aus Antakya“ ist 2012 im Osten der Türkei entstanden. Fotografiert von Andrea Künzig.

Die Galerie a/e in Potsdam widmet sich in der Ausstellung „100 Jahre Türkische Republik“ dem Leben in der Türkei.
Die Galerie a/e in Potsdam widmet sich in der Ausstellung „100 Jahre Türkische Republik“ dem Leben in der Türkei.

© Andreas Klaer

Letztes Jahr hatte ich die Idee, eine Ausstellung zu den Reformen Atatürks zu machen, die 1923 revolutionär waren.

Angelika Euchner. Galeristin.

Künzig hat die Bandbreite der türkischen Gesellschaft festgehalten: Vollverschleierte Frauen beim Picknick im Park, Jungen in Schuluniform, ein junges Paar in einer Shisha-Bar in Istanbul, wo Künzig von 2009 bis 2014 gelebt hat. Rund 30 sehr unterschiedliche Fotografien werden unter der Klammer des Türkei-Jubiläums in der a/e Galerie ausgestellt.

Aufbruch in ein neues Zeitalter

„Letztes Jahr dachte ich, man sollte mal eine Ausstellung zu den Reformen von Atatürk machen, die 1923 wirklich revolutionär waren“, sagt Galeristin Euchner. Sie sei thematisch an die Konzeption herangegangen und habe Fotografierende aus verschiedenen Kulturen gesucht. Erst dadurch sei der Innere wie Äußere Blick auf Land und Leute möglich gewesen.

Die Fotografien zeigen Menschen und ihre Konflikte in der Türkei.
Die Fotografien zeigen Menschen und ihre Konflikte in der Türkei.

© Andreas Klaer

Am 29. Oktober 1923 hatte Mustafa Kemal Pascha, später bekannt als Atatürk (Vater der Türken) sein Geburtsland zur Republik erklärt. Mit der Einberufung der großen Nationalversammlung am 23. April 1920 in Ankara war die Türkei zwar faktisch eine Republik, die offizielle Festlegung als Staatsform erfolgte erst drei Jahre später. Dem war der Zusammenbruch des Osmanischen Reichs infolge des Ersten Weltkriegs vorausgegangen.

Als Machtpolitiker, trieb Atatürk die Modernisierung seines Landes nach westlichem Vorbild voran. Er schaffte das Sultanat, wie das Kalifat ab und läutete weitreichende gesellschaftliche Reformen ein. Der Aufbruch in ein neues Zeitalter, wie auch Rückschläge in den vergangenen Jahrzehnten, sind in den Fotografien spürbar. Die Schwarz-Weiß-Fotografie der Hagia Sophia aus den 30er Jahren, aus dem Bildarchiv des Orients von Joachim Gierlichs, gibt Anlass zur Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Ursprünglich 537 nach Chr. als byzantinische Kirche erbaut, wurde sie 1935 von Atatürk in ein Museum „umbenannt“. 2020 wurde ihre Wiedereröffnung als Moschee gefeiert, eine Umwandlung, von Staatschef Erdogan als Triumph gefeiert.

Der 2018 verstorbene Fotojournalist Ara Güler, thematisiert in seinen stimmungsvollen Ansichten hingegen das Alltagsleben der einfachen Leute Ende der 50er Jahre. 1961 wurde das deutsch-türkische Anwerbe-Abkommen unterzeichnet und brachte dringend benötigte Arbeitskräfte nach Westdeutschland. Ergun Çağatay hat türkische Gastarbeiter in Berlin porträtiert. Einen Blick auf die Grenze in Nikosia und damit auf den ungelösten Zypernkonflikt ist hingegen Bernd Kuhlmey gelungen.

Die rasanten gesellschaftspolitischen Veränderungen – von Allah über Atatürk zum Aufstieg der AKP – wird mit fotografischer Sorgfalt betrachtet. Durch längere Aufenthalte in der Türkei gelang es Andrea Künzig, Claudia Wiens, Thomas Kummerow und Beret Hamann das Nebeneinander strenggläubiger Muslime und laizistisch geprägter Menschen in den Fokus zu rücken.

Die Gezi-Park-Proteste von 2013 stehen bei dem rumänischen Fotojournalisten Andrei Pungovschi im Vordergrund. Was als friedliche Demonstration gegen die Bebauung des Gezi-Parks begann, endete in Gewalt. 2016 führte ein gescheiterter Putsch zu Verhaftungen vieler Menschen. Als politische Flüchtlinge kamen einige von ihnen nach Deutschland. Sie hat Petra Dachtler porträtiert. Sollte man in der Türkei bleiben oder sie verlassen, fragt Halil Altindere abschließend in seinem großformatigen Graffitifoto „Ya sev – ya terket“. Er blieb.

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