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Begehrte Trophäe: der Film-Preis Lola.

© dpa/Jens Kalaene

Deutscher Filmpreis 2019: Wer fehlt? Und wer gewinnt die Lolas?

Am Abend werden im Berliner Palais am Funkturm die Deutschen Filmpreise verliehen. Ein Blick auf die Anwärter mit Andreas Dresens "Gundermann" als Favorit.

So viel Entertainment war nie. Nichts gegen gute Unterhaltung, schon gar nichts gegen Caroline Links Hommage an den individuellen Eigensinn – in ihrer Hape-Kerkeling-Verfilmung „Der Junge muss an die frische Luft“. Aber dass gleich drei der sechs Anwärter für die Lolas in Gold, Silber und Bronze dieses Jahr der leichten Muse angehören, sind dann doch zwei zu viel. Was bitte haben die Teeniekomödie „Das schönste Mädchen der Welt“ und das Buddy-Movie „25 km/h“ mit Lars Eidinger und Bjarne Mädel beim Wettbewerb um Deutschlands höchstdotierten Kulturförderpreis zu suchen?

Wie gesagt, auch Kinounterhaltung will gekonnt sein. Aber die mit knapp drei Millionen Euro staatlich ausgestatteten Lolas – in insgesamt 18 Kategorien – dienen einem anderen Zweck. Auch wenn man es zum zigsten Mal schreibt, ist es deshalb nicht falsch: Rund 400 Millionen Euro stecken Bund und Länder jährlich in die Film- und Serienförderung; die Lolagelder machen 0,75 Prozent davon aus. Eine geringe, aber kostbare, da unabhängig von Fördertopfgremien vergebene Summe, die explizit für die Filmkunst gedacht ist. Für das Wagnis, das Besondere, Verrückte, das noch nicht Gesehene. Was im Idealfall übrigens ein Super-Publikumserfolg sein kann: Auch im deutschen Film waren U und E nicht immer getrennt.

Mit Blick auf die Nominierungen sieht man der 69. Filmpreis-Gala an diesem Freitag im Berliner Palais am Funkturm jedenfalls skeptisch entgegen. Denn neben den drei unstrittigen Bester-Film-Kandidaten – Andreas Dresens Biopic „Gundermann“, Christian Petzolds Marseille-Film „Transit“ und Wolfgang Fischers Seenot-Flüchtlingsdrama „Styx“ – vermisst man die übrigen Ausnahmefilme der Saison. Es gab sie ja: Werke wie Ulrich Köhlers „In My Room“ oder Philip Grönings „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“, allen voran „Alles ist gut“ von Eva Trobisch. Ein Missbrauchs-Psychodrama von stiller Wucht, ein Regiedebüt, beiläufig, souverän, mit einer überragenden Hauptdarstellerin – Aenne Schwarz ist immerhin als beste Darstellerin nominiert. Aber es gewinnt wohl Susanne Wolff als Alleinseglerin in „Styx“, schon weil sie den Film fast komplett alleine bestreitet.

Wie kann es sein, dass mit Trobisch eine neue Regiegeneration die Bühne betritt, auf äußerst bemerkenswerte und auf Festivals preisgekrönte Weise, und dass es bei den knapp 2000 Mitgliedern der Deutschen Filmakademie (alle vom Fach!) mit ihrem neuen Präsidenten Ulrich Matthes nicht mal für eine Nominierung als bester Film reicht (die ja bereits mit 250 000 Euro Fördergeldern verbunden ist)? Und war da nicht was mit Frauen und Quote in letzter Zeit? Eine Regienominierung für Caroline Link und für Eva Trobisch wäre das richtige Zeichen gewesen. Nur so ließe sich der hochverdiente Ehrenpreis für Margarethe von Trotta auch als Wechsel auf die Zukunft verstehen. Aber eine Mehrheit, die abstimmt, diskutiert eben nicht über Kunst, sondern macht Kreuzchen.

Deutsches Geschichtskino, die hellsichtigste Variante: Franz Rogowski in "Transit" von Christian Petzold.
Deutsches Geschichtskino, die hellsichtigste Variante: Franz Rogowski in "Transit" von Christian Petzold.

© Schramm Film

Zehn Nominierungen hat "Gundermann", trotzdem hätte "Transit" den Hauptpreis verdient

Wer meckert, verdirbt den Partygästen den Spaß. Bei der von Désirée Nosbusch und dem Comedian Tedros Teclebrhan moderierten Gala wird natürlich gefeiert. Klarer Favorit ist Dresens „Gundermann“ mit zehn Nominierungen, darunter für Regie, Drehbuch und Hauptdarsteller Alexander Scheer. Es folgen „Styx“ mit sechs Nominierungen und mit je fünf Nennungen „Der Junge muss an die frische Luft“ sowie Fatih Akins Serienmörderporträt „Der goldene Handschuh“.

Es wäre interessant gewesen, anlässlich des Lola-Abends die aktuellen Varianten des deutschen Geschichtskinos miteinander zu vergleichen. Hier Dresens Humanismus im Psychogramm eines widersprüchlichen Charakters, des singenden Baggerfahrers Gerhard Gundermann, der zugleich IM und Regimekritiker war, Täter und Opfer. Dort Petzolds „Geschichtsstille“ in der Adaption von Anna Seghers’ Exil-Roman„Transit“, in der die Flüchtlinge von damals sich im Marseille von heute bewegen und zu unseren Zeitgenossen werden. Schließlich Florian Henckel von Donnersmarcks viel kritisiertes Künstlerdrama „Werk ohne Autor“ mit seiner nachgestellten, nacherfundenen Historie. Aber Donnersmarck brachte es trotz Oscar-Nominierung nicht zum Lola-Anwärter, zu groß war wohl das Unbehagen angesichts seines übergriffigen Zuschnitts von Biografien.

Szene aus Caroline Links "Der junge muss an die frische Luft", mit Ursula Werner als Großmutter und Julius Weckauf als Hans-Peter Kerkeling.
Szene aus Caroline Links "Der junge muss an die frische Luft", mit Ursula Werner als Großmutter und Julius Weckauf als Hans-Peter Kerkeling.

© Warner Bros.

Die Verfügbarkeit der Geschichte bei Donnersmarck; Geschichte von unten mit human touch bei Dresen; Geschichte als Unverfügbares bei Petzold, als Geisterstunde, in der sich das Gestern im Heute erhellt und umgekehrt. „Transit“ ist beunruhigend gegenwärtiges, sich ins Offene wagendes Geschichtskino – der würdigste Lola-Anwärter. Wetten, dass „Gundermann“ gewinnt?

Oder, Variante Nummer vier, die Nachkriegsgeschichte im Geiste des Reviers, die Geburt des deutschen Humors aus Verdrängung, Dreck und Wirtschaftswunder. Bei Akins „Goldenem Handschuh“ ist es ein Kraftakt, Caroline Link erzählt die Familienstory aus Recklinghausen mit leichterer Hand. Mein Tipp: „Der Junge muss an die frische Luft“ bekommt Silber.

– Ab 17.30 Uhr gibt es heute am 3. Mai hier auf www.tagesspiegel.de einen Liveblog zur Preisverleihung. Das ZDF überträgt die Gala zeitversetzt ab 22.55 Uhr.

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