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Heute geht bereits jeder dritte Vater in Elternzeit, allerdings steigen die meisten nur für zwei Monate aus dem Job aus.

© dpa/Sebastian Gollnow

Zum Vatertag: Machen die Männer es sich zu einfach?

Mit dem ersten Kind fallen Männer meist in traditionelle Rollen zurück. Dabei gibt es für sie heute viel mehr Möglichkeiten, Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Gedanken zur "Väter-Lüge"

Es gibt Menschen, die würden Kai Köhne aus Britz für einen Hausmann halten. Und wenn die Dinge anders gelaufen wären, hätte er es durchaus werden können. Dann hätte sich der schmale Mann mit der runden Brille und dem jungen Gesicht um die drei Kinder gekümmert, statt wie jetzt jeden Morgen das Haus zu verlassen und um 17 Uhr zurückzueilen, um noch etwas von ihnen zu haben. Bereit dazu wäre er gewesen.

„Ich sehe das pragmatisch“, sagt der 36-jährige Programmierer und meint: „Wie es gerade passt.“ Die Kümmerer-Rolle hätte er gut mit sich vereinbaren können. Nun war es aber so, dass er nach dem Studium schneller einen Job fand als seine Frau, daraus ergab sich die Schwerpunktverteilung. Nach dem Studium kam ziemlich bald das erste Kind auf die Welt und dann folgten in regelmäßigen Abständen zwei weitere. Jedesmal hat Kai Köhne für drei Monate ausgesetzt und Elternzeit genommen. Jetzt sind Baukredite zu bedienen. „Nicht, dass ich das angestrebt hätte“, sagt Köhne, „aber wenn es nun gut funktioniert ...“ Ja, warum es ändern.

Es ist der Klassiker. Die Schwerkraft der Verhältnisse lässt die Aufgaben ins Familienleben sinken, wo sie sich am einfachsten einfügen. Obwohl die Köhnes näher als die meisten dran waren, ein alternatives Betreuungsmodell zu verwirklichen, rastete auch bei ihnen die alte Mechanik ein, nach der der Vater die Existenz der Familie sichert und die Mutter sich erst mal vor allem um Haushalt und Kinder kümmert.

Daniel, 46, Regisseur, mit Sohn Juma, 10: Was hat mein Kind von Mir? "Die Fähigkeit, sich voll und ganz auf eine Sache zu konzentrieren."
Daniel, 46, Regisseur, mit Sohn Juma, 10: Was hat mein Kind von Mir? "Die Fähigkeit, sich voll und ganz auf eine Sache zu konzentrieren."

© Mike Wolff

Kai Köhne findet, dass er in der „komfortableren Position“ ist. So sehr er sich aufs Wochenende und die Turbulenz der Familie freue, so froh sei er sonntags bei dem Gedanken, dass er den Lärm und Stress nun wieder gegen eine Arbeit eintauschen könne, bei der Dinge erledigt würden. Familienalltag, das sei eine Tretmühle, erzählt Köhne, nie werde was fertig. Kaum sei die Wäsche gewaschen, getrocknet und wegsortiert, gehe es wieder von vorne los. Als IT-Fachmann, der er ist, mag Kai Köhne mit Unübersichtlichkeit nüchtern umgehen können, aber das Chaos zu Hause wäre ihm allein zu viel. „Die Abwechslung zu haben, ist viel wert.“

Abwechslung. Das ist, was in Mütter-Debatten Doppelbelastung genannt wird. In dem Wort werden die Züge eines neuen Vaterschaftsverständnisses sichtbar. Nicht der Latzhosen-Papa ist ja der Normalfall, sondern Väter wie Kai Köhne, die den Tanz zwischen Arbeit und Familie als Bereicherung empfinden, wenn sie darüber auch gelegentlich ins Stolpern geraten. Von einer Doppelbelastung spricht Köhne jedenfalls nicht. Macht er es sich leicht?

Jens, 54, kreative Auszeit, mir Tochter Tilda, 1. Was habe ich von meinem Kind? "Die Erkenntnis, dass strahlende Kinderaugen die eigene Inkonsequenz beflügeln."
Jens, 54, kreative Auszeit, mir Tochter Tilda, 1. Was habe ich von meinem Kind? "Die Erkenntnis, dass strahlende Kinderaugen die eigene Inkonsequenz beflügeln."

© Mike Wolff

„Ich bin mit den Kindern schon Stuuunden unterwegs“, imitiert eine Frau belustigt diesen offenbar oft gehörten Vater-Satz, der vor allem belegt, dass sich Männeruhren in der Anwesenheit von Kindern anders drehen. „Es ist dann gerade mal eine Stunde vergangen“, spöttelt sie. Väter sind dankbarer Gegenstand weiblichen Spotts, wenn die Frage auftaucht, warum sie nicht mehr Zeit aufbringen für ihre Familien, obwohl sie doch die Möglichkeiten dazu hätten und eine Reihe familienpolitischer Maßnahmen sie dazu animiert. Ob es an den Arbeitsbedingungen liegt, an der Angst vor Statusverlusten oder an billigen Ausreden?

Eine andere Frau weiß da von der ausladenden Geste ihres Mannes zu berichten und ahmt theatralisch nach, wie er eine Einkaufstüte mitten auf den Tisch stellt und nicht etwa dorthin, wo er sie gleich ausräumen könnte, zeigend, wie großartig er das nun wieder hinbekommen habe mit dem Familieneinkauf.

Die Elternzeit hat die Verhältnisse nur zementiert

Männer sind zuweilen auch Selbstdarsteller. So ist es nun mal. Und Mütter können das nicht gebrauchen. Sie wollen, dass Väter „präsent“ sind. Also: da. Richtig da. Ansprechbar. Auch für die Wünsche und Sorgen der Kinder. Nicht als Vater-Darsteller, die kurz mal die Bühne betreten und einen heroischen Auftritt hinlegen.

Stefan, 52, Architekt, mit Tochter Hannah, 4. Was hat mein Kind von mir? "Die Coolness. Es reagiert auf Chaos genau so gelassen wie ich."
Stefan, 52, Architekt, mit Tochter Hannah, 4. Was hat mein Kind von mir? "Die Coolness. Es reagiert auf Chaos genau so gelassen wie ich."

© Mike Wolff

Wie steht es also um die „neuen Väter“, die angeblich andere Schwerpunkte im Leben setzen, als die Väter-Generation davor es getan hat? Gibt es diesen modernen Typus? Oder muss man von einer Väter-Lüge sprechen?

Seit Jahren zeichnen die statistischen Erhebungen, die den familienpolitischen Nutzen von Kinder- und Elterngeld messen, ein eindeutiges Bild. Danach verlaufen alle staatlichen Bemühungen, Väter fester in den Familienalltag einzubinden, im Sande. Das politische Großprojekt Elternzeit, das 2007 mit dem Ziel eingeführt worden war, den Vater aus dem Job herauszulösen, um der Mutter einen möglichst schnellen Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, ist diesbezüglich total gescheitert. Zwar animiert die Elternzeit Väter immerhin, über eine stärkere Beteiligung an häuslichen Aufgaben nachzudenken, aber darin erschöpft sich der positive Impuls denn auch.

Der Trend geht zur finanziellen Abschöpfung eines Sonderurlaubs. Nahezu 79 Prozent der Väter in Elternzeit beschränken sich auf die obligatorischen zwei Mindestmonate, die sie der Familie widmen. Die durchschnittliche Bezugsdauer beträgt beschämende 3,1 Monate und sie sinkt beständig. Frauen steigen im Schnitt ein Jahr aus (11,6 Monate).

Die Diskrepanz fällt noch krasser aus, wenn man die Familienmonate mit den Vätern verrechnet, die Elternzeit erst gar nicht in Anspruch nehmen. 2014 waren das immerhin 98 von hundert, während bei den Frauen 59 Prozent kein Elterngeld beantragen.

Auch als Einstiegsangebot für eine zwischen Vätern und Müttern besser verteilte häusliche Last versagt das Instrument der Elternzeit. Denn nach den Vätermonaten greifen in aller Regel traditionelle Muster, nach denen Väter in ihren Vollzeitjob zurückkehren und Mütter zusehen müssen, wie sie nebenbei als Teilzeitkräfte an Arbeit gelangen. Auf das Arbeitsverhältnis hat die Zahl der Kinder bei den Vätern keine Auswirkung, 94 Prozent bleiben bis zum dritten Kind vollzeitbeschäftigt - mit dem vierten Kind weist die Statistik einen Erwerbsknick auf (91 Prozent), der aber wohl vom hohen Anteil sozial schwacher Familien in diesem kinderreichen Segment herrührt. Bei den Müttern liegt der Fall anders. Mit jedem Kind schmilzt die Bereitschaft zu einer Vollzeitbeschäftigung ab. Hat sie mit dem ersten und zweiten Kind sich noch bei etwa 60 Prozent der Frauen erhalten, nimmt sie ab dem dritten Kind drastisch ab. 78 Prozent der Mütter streben hingegen einen Teilzeitjob an. Mütter stellen ihre Karriere also hintenan.

Das bedeutet, dass neun Jahre familienpolitischer Zuwendungen die traditionelle Rolle der Mutter gestärkt, aber wenig dafür getan haben, den Vater aus Erwerbszusammenhängen herauszulösen. Die neuen Väter sind die alten.

Warum fühlt sich trotzdem für unsereins alles neu an?

Der Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer würde darauf antworten: weil sich Beziehungen nicht mehr über Rollenbilder definieren, sondern über den emotionalen Gewinn. Der eigene Vater, der oftmals abwesende, schweigende, gefühlsmäßig gehemmte Vater, ist kein Vorbild mehr, weil Männer sich heute mit Frauen auseinandersetzen müssen, die höhere Ansprüche an das Sozialverhalten der Partner stellen. Man startet bei null und wird erst allmählich zu einem Vater, wie er heute sein soll. Einer, der seine Kinder vor der Brust trägt, der nachts aufsteht, wenn sie schreien, der Elternabend-Termine wahrnimmt und ihnen morgens ganz selbstverständlich die Brote schmiert.

Noureddin, 32, Bürokaufmann, mit Sohn Zakaria, 5. Was habe ich von meinem Kind? "Es lässt mich oft Sachen machen, die seine Mutter zur Weißglut bringen. Es lässt mich ich sein, wenn wir alleine sind."
Noureddin, 32, Bürokaufmann, mit Sohn Zakaria, 5. Was habe ich von meinem Kind? "Es lässt mich oft Sachen machen, die seine Mutter zur Weißglut bringen. Es lässt mich ich sein, wenn wir alleine sind."

© Mike Wolff

Die "vaterlose Gesellschaft", wie sie vor Jahren noch in Büchern beschrien wurde, ist heute kein Thema mehr. Trotzdem zerschellt der Reformwille der Politik an einer sozialen Tatsache. Der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen schwankt seit zwanzig Jahren zwischen 21 und 23 Prozent. Eine Frau müsste also knapp ein Viertel mehr arbeiten als ein Mann, um auf dasselbe Lohnniveau zu gelangen. Dieser Mehraufwand mag für manche Frauen trotzdem Sinn machen, für die Familie ist es kontraproduktiv. Solange die Politik nicht gegen diese Ungleichheit angeht, ändern Fördermodelle nichts. Schon die Einführung des Erziehungsgeldes durch die Kohl-Regierung 1986 war so knapp bemessen, dass Familienministerin Rita Süssmuth meinte: „Für 600 DM bleibt kein Mann zu Hause.“

Der Akt, der einen zum Vater macht, weist ihm eine Statistenrolle zu

Aus Umfragen geht hervor, dass eine überwältigende Mehrheit der Männer die eigene Vaterschaft von der Tatsache abhängig macht, eine Familie ernähren zu können und beruflich etabliert zu sein. Vater werden zu können, ist also eine Statusfrage. Darüber zögern Väter die Geburt ihres ersten Kindes immer weiter hinaus. Obwohl die meisten Männer in Umfragen angeben, das optimale Alter für eine Vaterschaft sei zwischen dem 25. und 30. Lebensjahr, beträgt das durchschnittliche Alter tatsächlich 35 Jahre, Tendenz steigend.

Es ist, als müssten sie sich auf etwas vorbereiten, für das viele sich auch mental lange nicht reif genug fühlen. „Renn nicht durchs Bild“, raten erfahrene Väter halb scherzhaft den werdenden mit Blick auf das Erlebnis im Kreißsaal. Schon der Akt, der einen zum Vater macht, weist ihm eine Statistenrolle zu. Mit dieser Kränkung fängt es schon mal an. Und es folgen viele weitere wie die, für den Sohn nicht so sexy zu sein wie dessen Smartphone. - Leg doch mal das Ding weg. - Hm? - Das Handy, sag ich, kannst du das nicht mal sein lassen? Jetzt habe ich Zeit, wir könnten etwas unternehmen. - Och, nö, Papa, lass mal. - Wetter ist super. Ich weiß da so eine neue ... - Kein Bock.

Sebastian, 33, IT-Vertrieb, mit Sohn Joel, 9. Was habe ich von meinem Kind? "...tiefgreifende Einblicke in die Welt von ,Star Wars' und ein erschreckendes Detailwissen über die Fußballbundesliga."
Sebastian, 33, IT-Vertrieb, mit Sohn Joel, 9. Was habe ich von meinem Kind? "...tiefgreifende Einblicke in die Welt von ,Star Wars' und ein erschreckendes Detailwissen über die Fußballbundesliga."

© Mike Wolff

Solche Dialoge führt man heute mit Kindern, die noch nicht einmal in der Pubertät sind. Sie brauchen den Vater vielleicht für alles Mögliche, aber als Spaßfaktor bestimmt nicht.

Und was wäre noch mal alles Mögliche?

Psychologen weisen den Vätern heute eine zentrale emotionale Funktion in der Familie zu. „Liebesminister“ nennt Jesper Juul sie. Und im „Guardian“ schildert Sophie Ellis, die in ihrer Kindheit mit drei Vätern aufwuchs, wie jeder von ihnen auf seine unverwechselbare Art eine „erste Liebe“ für sie wurde, weil er entschlossen war, ihr etwas Wesentliches mitzugeben, „von Dereks DNA über Chris Großzügigkeit bis zu Allens Hingabe“.

Mit Zahlen und Zeitmanagement-Umfragen wird man Vätern jedenfalls nicht gerecht. Denn der Vater ist eine „charismatische Konstruktion“. Das wird umso schmerzlicher bewusst, wenn einer die Rolle als Vorbild verweigert und als überambitionierter Vater-Blogger erklärt, dass er seine Kinder als Lebensaufgabe betrachtet. Er hat den Sinn seiner Existenz irgendwie verfehlt.

Im antiken Rom war Vaterschaft ein Akt der Anerkennung. Dem Mann wurde sein Kind vor die Füße gelegt. Hob er es auf, war es seins. Ließ er es liegen, wurde es in den Wald gebracht und sich selbst überlassen. Es verschwand aus der Gemeinschaft, ohne dass sich ein Täter hätte schuldig fühlen müssen. Noch heute erleben wir späte Reflexe dieser Praxis. Wie mörderisch enden Familiengeschichten bei mangelnder Anerkennung des Sohnes durch den Vater. Söhne ermorden Väter voller Hass, weil sie den Satz von ihm nie gehört haben, wie stolz er auf sie ist.

Entwicklungspsychologisch ermöglicht der Vater die Versöhnung mit einem elementaren Konflikt, in den Kinder geraten, wenn sie sich von der Mutter lösen wollen, um ein eigenes Leben zu führen. Der Vater begleitet solche Unabhängigkeitsbestrebungen, indem er seine Kinder gleichzeitig frei sein und Geborgenheit spüren lässt.

Der Osnabrücker Psychologe Julius Kuhn spricht von der Selbstkompetenz, die Kinder, vor allem Söhne, ihrem Vater verdanken, sofern er ihnen vorführt, wie man einfach man selbst ist. Und es heißt ja auch: Selbst ist der Mann.

Allerdings heißt es eben nicht: Selbst macht der Mann. Auch sich selbst macht er nicht zum Vater. Statt von einem Ideal auszugehen, ist die beste seiner Eigenschaften, dass er sich anpasst.

Zum Thema Vaterschaft finden Sie eine ganze Reihe von aktuellen Tagesspiegel-Texten etwa von Barbara Nolte, Karl Grünberg, Arno Makowsky und ein Interview mit Eltern über die Elternzeit.

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