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Die Zisterzienser Pater Simeon, Frater Aloysius und Pater Kilian (von links) bringen neues Leben ins Kloster Neuzelle. Und Spiritualität in die Niederlausitz.

© Gunda Bartels

Zisterzienser in Neuzelle: Das Himmelfahrtskommando

Vor 200 Jahren wurden sie vertrieben, nun sind sie wieder zurück: In der Niederlausitz haben sich Mönche angesiedelt. Sie preisen den Herrn mit ihrem Gesang, sieben Mal am Tag – und der gottlose Osten scheint zu jubilieren.

Kurz vor zwölf sind die Mönche durch eine Seitentür hereingekommen. Wenige Minuten vor der Sext, ihrem Mittagsgebet, doch die in der Kirche gerade abgehaltene Messe – untermalt von einem aus Berlin angereisten Chor und Orchester – will einfach kein Ende finden. Pater Kilian flackert der Blick. Hört dieser Organist denn nie mehr auf zu präludieren?

Mit einer Viertelstunde Verspätung schwingt sich das Gotteslob der Mönche schließlich hinauf ins Kirchenschiff. Doch gegen den Lärm abziehender Musiker und einziehender Touristen haben die lateinischen Psalmen, hat das Echo der Ewigkeit keine Chance. Und Frater Aloysius setzt zu einer Gardinenpredigt an.

Der Mönch ist zierlich, sein Ton ist ernst. „Was Sie hier hören, das ist kein Konzert, sondern das Heiligste in unserem Leben. Bitte respektieren Sie, in einer Kirche zu sein und nicht in einem Museum.“

Eine Handvoll Zisterziensermönche ist in die Gemeinde Neuzelle in der Niederlausitz gezogen. Und die Niederlausitz – gelegen in Brandenburg und damit in Ostdeutschland und damit wiederum in der gottlosesten Gegend der Welt – muss sich noch an sie gewöhnen.

Gott hat eine neue Sonne gemacht

Der komische Typ im Rock kann ja richtig streng sein! Für einen Moment stoßen religiöse Inbrunst und Kulturtourismus hart im Raum zusammen. Einige Mienen zeigen Fragezeichen, in anderen erwacht Interesse. Dem scheint es um etwas Elementares zu gehen, auch wenn kaum einer der Besucher in Flipflops und Motorradkombis begreift, um was. Ohne Glaube keine Gottesfurcht, und ohne Kenntnisse ihres Lebens schrumpfen die Männer im Ordenshabit zu Exotikfiguren. Auch wenn Neuzelle christlicher geprägt ist als in Brandenburg üblich, fällt der von ihnen verstreute Samen auf dürres Atheistenland. Eine Studie der Universität von Chicago kam 2012 zu dem Ergebnis: Nirgends glaubt ein so großer Teil der Bevölkerung nicht an Gott wie hier im Osten Deutschlands.

Die Mönche ficht das nicht an. Sie sind Pioniere des Glaubens. Die Hoffnungen und die Skepsis, die ihre Ankunft weckt, gehört bei Wegbereitern zum Jobprofil. Schon die zehn noch verbleibenden Minuten Chorgebet in der stiller gewordenen Kirche sind ein Funken Götterdämmerung.

Von morgens um fünf bis abends halb acht wandern die Mönche sieben Mal am Tag aus ihrer provisorischen Klausur im katholischen Pfarrhaus über den Stiftsplatz zum Gotteslob. Getreu der Benediktiner-Regel „Ora et labora“, bete und arbeite, als hörbares und sichtbares Zeichen für die Anwesenheit Gottes auf Erden.

Der hat draußen an diesem Pfingstmontag nicht nur den Heiligen Geist, sondern auch ein saftiges Grün über die Niederlausitz gegossen und ihrem Strahlen nach auch gleich eine neue Sonne gemacht.

Euphorie, aber auch Ängste

Zwei Jahre liegt das Gerücht zurück, dass auf Einladung von Wolfgang Ipolt, dem Bischof des Bistums Görlitz, wieder Mönche im Wallfahrtsort Neuzelle siedeln wollen. Das war eine Nachricht, die im 2200-Einwohner-Dorf und bei den Klostermietern sofort Euphorie aber auch Ängste gebar. Daran erinnern sich alle. Mönche? Toll! Mehr Aufmerksamkeit für den Ort, mehr geistliches Leben! Aber wie mögen die drauf sein? Wovon wollen die leben? Und wo sollen sie hin? Pater Kilian sagt: „Unser Chorgebet hier zu singen, hat sich von Anfang an goldrichtig angefühlt.“

Er ist 41, Hesse, und war vor dem Klostereintritt Betriebswirt und Kulturwissenschaftler. Jetzt verhandelt er als Ökonom des künftigen Klosters die Rahmenbedingungen der Ansiedlung. Zusammen mit dem Kirchenmusiker, Rheinländer und Prior Pater Simeon, 53, hat er in ihrem Mutterkloster im österreichischen Heiligenkreuz als Pfarrseelsorger und Kantor gearbeitet. Nur Frater Aloysius, 28, ist nicht zum Priester geweiht. Er führt den Haushalt der Mönchs-WG hier in der Pfarrei. „Statt Theologie hätte ich Hauswirtschaft studieren sollen.“ Dass es den Allgäuer mal „in den Ostblock“ verschlägt, habe er sich nie träumen lassen.

Alle drei sind freiwillig gekommen

Pater Kilian jedoch ist mit der Gegend vertraut. Er hat in Frankfurt/Oder an der Viadrina-Universität studiert. Alle drei sind freiwillig gekommen, als profilierte Köpfe auf einem Himmelfahrtskommando.

Das Kloster gehört dem Land und ist mit einer Privatschule, Museen, evangelischer und katholischer Pfarrei, Gastronomie und Läden gefüllt. „Da kann man die Uhr nicht einfach auf 1817 zurückdrehen und um 18 Uhr das Klaustrum zusperren“, sagt der Chef der landeseigenen Stiftung Stift Neuzelle Norbert Kannowsky. Zurückdrehen gewiss nicht. Aber, wenn sich Menschen ein Herz fassen, dreht man sie vielleicht einfach vor.

Pater Kilian haben die zurückliegenden Wochen ein wenig erschöpft. Vor 750 Jahren mussten die aus dem Benediktiner-Orden hervorgegangenen Zisterzienser, die die Mark in Chorin, Lehnin, Boitzenburg oder Heiligengrabe geprägt haben wie kein anderer Orden, in Neuzelle erst einen Bergsporn abtragen, bevor sie die Abtei bauen konnten. Die Berge, die der Ökonom heute bewegt, sind abstrakterer Natur. Fundraising, Vereinsgründung, Sozialversicherung für die aus Österreich stammenden Brüder, Raumbeschaffung, Seelsorge und Anfragen über Anfragen.

„Im Mittelalter hatten wir mehr Expertise“

Auch wenn sich Landesregierung und Bistum einig sind, die Mönche haben zu wollen; auch wenn, noch bevor überhaupt ein Konvent existiert, sogar schon das Jubelbuch zum Kloster „Die Mönche kommen“ erscheint, steht es hinter den Kulissen immer wieder Spitz auf Knopf.

Vorbilder für die Stiftung eines Klosters, das dem bischöflichen Stifter gar nicht gehört, existieren nicht. Von einem 900 Jahre alten Orden, der sich unter Zahlung eines Nutzungsentgelts in ein Gebäude mit weltlicher Mischnutzung begibt, gar nicht zu reden. Juristische Konstrukte, Finanz- und Sanierungsverhandlungen zwischen Bistum und Land, all das ist mühsam. Die Gründungsroutine sei ihnen letzthin etwas abhanden gekommen, sagt Pater Kilian. „Im Mittelalter hatten wir da deutlich mehr Expertise.“

Aus ihrem 1133 im Wienerwald gegründeten Mutterkloster sind die Mönche eine ganz andere Form von räumlicher Deutungshoheit gewohnt. Keine Abtei im deutschsprachigen Raum prosperiert so wie Heiligenkreuz.

Dort leben hundert, vielfach junge Brüder, die eine fromme Klausur, ein gastfreundliches Haus, eine konservative theologische Hochschule und ein modernes Medienmanagement betreiben. Heiligenkreuz, das ist ein brummendes Kraftwerk des Herrn. Ihre Alben mit gregorianischen Gesängen haben es in die Charts und in Fernsehshows wie „Wetten, dass ..?“ geschafft. Eine Zellteilung war da überfällig. „Viele Bistümer haben Gelüste gehabt, sie zu sich zu holen, um sterbende Klöster wiederzubeleben“, sagt Bischof Wolfgang Ipolt, der siegreiche Werber. „Der Abt hat einen dicken Ordner voll Anfragen.“ Wundersam sind Gottes Wege. Der gottlose Osten hat sie gereizt.

Musik-CDs, Tee, Seife, Bier

Neuzelle. Das Kloster ist ein einzigartiges Denkmal des böhmischen Barocks. Dörfliche und sakrale Architektur betten sich in eine hügelige Landschaft, der Himmel reicht hoch und weit der Blick. Bis zur Oder sind es zwanzig Minuten zu Fuß. Der Wind der Randlage säuselt. Ist das da hinten Polen oder das Ende der Welt?

An der spirituellen Kraft des Ortes haben die Zisterziensermönche, deren für September geplante Neugründung des längst verweltlichten Klosters neuerdings durch eine von Landesregierung, Stiftung und Bistum ausgehandelte Verständigungserklärung untermauert ist, nie einen Zweifel gehabt.

Schmuckstück. Das Kloster war lange ein Ausflugsziel - wird es nun auch zur Pilgerstätte?
Schmuckstück. Das Kloster war lange ein Ausflugsziel - wird es nun auch zur Pilgerstätte?

© picture alliance / Patrick Pleul

Doch dass ihr Leben in Neuzelle nicht nur hehre religiöse Anteile, sondern auch einen für jedermanns Projektionen herhaltenden Zoo-Charakter hat, ist der munteren Lebensgemeinschaft klar. Folklore produziert – und vermarktet – jedes Kloster. Auch im oberbayerischen Andechs oder in Maria Laach in der Eifel blüht nicht nur die spirituelle und kulturelle, sondern auch die ökonomische Wertschöpfung mit Musik-CDs, Tee, Seife, Bier oder Rosenkränzen. Neuzelle soll sich unter anderem durch einen Laden und ein Gästehaus eines Tages selbst finanzieren. Besonders wenn die Gemeinschaft – ab August sind es sechs – irgendwann einmal aus 20 Mönchen besteht.

Trotzdem lassen die noch sichtlich vom Kampf um das von Orchestermusikern belegte Chorgestühl zermürbten Mönche keinen Zweifel daran, sich nicht vereinnahmen zu lassen. „Das Gebet der Mönche muss zweckfrei sein“, beschreibt Pater Simeon ihre Berufung, „wir stimmen ein in den Lobgesang des Himmels.“ Wenn Zuhörer und Mitbeter zu ihren täglich fast vier Stunden Lebenszeit verschlingenden Gebeten kommen, freuen sie sich. Wenn nicht, schmälert es den Stellvertreterakt, im Gebet die Leiden der Welt vor Gott zu tragen, keineswegs. "Das kommt aus der tiefen Überzeugung, dass es hier um eine Wirklichkeit geht", sagt Frater Aloysius.

Der Glauben schließt auch Missionieren ein. Aber nicht als Menschenfänger mit Flyern in der Hand auf dem Marktplatz, sondern durch die Kraft der auf Christus ausgerichteten Gemeinschaft, betont Pater Kilian. "Was wir im Herzen tragen, muss von alleine anziehend auf andere wirken, nur so kann ein Kloster entstehen."

Der Pfarrer ist gerührt

50 Tage zuvor, am Ostersonntag, vermengen sich in der eiskalten Marienkirche die Atemwolken der Gläubigen mit den Weihrauchschwaden zu einem sehr katholischen Nebel. Der Blick ersäuft in der Fülle der Malereien, Marmorputten und Heiligenfiguren. Ganz vorne wuselt ein Fernsehteam. Die Wiederkehr des monastischen Lebens im deutschen Osten erfährt auch weltliche Aufmerksamkeit. Die Stars sind die drei Männer im Mönchsgewand.

1268 sind die ersten Zisterzienser nach Neuzelle gekommen. Nun zelebrieren Pater Simeon, Frater Aloysius und Pater Kilian die Messe an dem Altar, von dem Preußen ihre Ordensbrüder im Jahr 1817 im Zuge der Säkularisation vertrieb. 200 Jahre, 750 Jahre schießen zusammen in einem Augenblick. Pünktlich zum bis in den Herbst gefeierten Jubiläumsjahr ist wieder Kloster drin, wo Kloster dran steht.

Pfarrer Ansgar Florian ist gerührt. Seit August vergangenen Jahres beherbergt er die Vorhut aus dem Kloster Heiligenkreuz im Pfarrhaus. Wenn nun gut ein Jahr später mit der Errichtung des sogenannten Priorats kirchenrechtlich die Vorstufe eines Konvents in Neuzelle entsteht, räumt er für sie nach 20 Jahren seinen Platz in der Gemeinde frei. Nicht, dass ihm das leichtfiele. Erhörte Gebete haben ihren Preis. „Simeon, Kilian und Aloysius sind mein schönstes Ostergeschenk“, sagt er zu seiner Gemeinde.

Die Ministerin staunt

Dies Gottesgeschenk anzunehmen, fällt auch anderen nicht leicht. Selbst wenn keiner offen darüber reden will. Gastronomen und Ladenpächter murmeln von möglicher Konkurrenz. Und auch die Stiftung Stift Neuzelle, die Besitzer des durch die Jahrhunderte von Evangelischen, Katholischen, Nationalsozialisten und Sozialisten für Bildungszwecke genutzten Klosters ist, hat in einer von 80 Prozent Nicht-Christen und drei Prozent Katholiken geprägten Diaspora keinesfalls mit ihrer Ankunft gerechnet. Seit 1996 betreibt sie die millionenschwere Sanierung und kulturelle Wiederbelebung des zu DDR-Zeiten ramponierten Juwels.

Dass die Mönche und ihre Konzentration auf einen erklärungsbedürftigen Lebenszweck für andere trotzdem anziehend wirken, ist überall in Neuzelle auszumachen. Die Verkäuferin in der Bäckerei findet es cool, dass die Mönche so nahbar und heutig sind. „Mit Handy und Auto.“ Der Kellnerin in der Gastwirtschaft gefällt, dass sie der Klosterkulisse Sinn und Strahlkraft geben. Der Bürgermeister wünscht sich, dass die Mönche, wenn sie nach 2020 das ihnen zugesagte Kanzleigebäude des Klosters beziehen, dort einen Rückzugsort für Besucher schaffen. „Für Menschen, die einen Gegenpol zu materiellen Werten suchen.“ Eine „Tankstelle der Seele“, wie es der Bischof nennt.

Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch hat einen Brief der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer Ostbrandenburg erhalten. „Die Rückkehr der Zisterzienser nach Neuzelle bietet eine besondere Möglichkeit der langfristigen Stärkung der regionalen Wirtschaft“, steht darin. Als habe die Gegend auf die Mönche gewartet, staunt sie.

Der Reichtum ist unübersehbar

Oder wie es der evangelische Pfarrer Martin Groß sagt: „Keiner hat damit gerechnet, dass vier Mönche so eine Welle machen. Am wenigsten sie selber.“

Die vier, von denen einer – Pater Philemon – ob des anstrengenden Pionierlebens schon wieder weg ist, verkörpern eine Sehnsucht. „Die Klarheit ihres Bekenntnisses fasziniert“, begeistert sich der Pastor. „Und die Möglichkeit, mit so einem Leben aus der Beliebigkeit herauszutreten.“ Dass alle sich nun dranhängen und Kloster und Mönche als Werbeträger nutzen wollen, sei in Ordnung. Doch wenn, wie neulich, die Mönche ihr Chorgebet gegen ein Rockkonzert ansingen müssen, fragt er sich schon, ob das so geht. „Neuzelle ist schließlich ein heiliger Ort.“

Da klingeln jetzt sicher Gotthard Dittrich die Ohren, der als Geschäftsführer der überkonfessionellen Rahn-Schule, deren Musikschule des Konvents wegen aus dem Kanzleigebäude ins Kloster-Vorwerk umsiedeln soll, nicht ganz so überzeugt von der Zurückhaltung der Gottesmänner ist. Bei ihm, sagt er, sei der Eindruck entstanden, dass die Zisterzienser als Erbauer des Klosters andere Rechte daraus ableiten, als es die weltlichen Bewohner tun. Der immaterielle Reichtum, den sie damit einst stifteten, ist jedenfalls unübersehbar. Das Kulturleben, die Schulen und Kirchengemeinden erzählen davon. Und die Frage, wie sich in Neuzelle künftig Religion und Welt vertragen, bleibt ein einzigartiges Experiment.

Das Geheimnis der Stille wird offenbar

Am nächsten Morgen glitzert Tau auf den Oder-Wiesen. Ein Kuckuck ruft, das Morgenrot glüht. „Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unerschaffen Lichte“, kommt einem ein alter Choral in den Sinn. Halb fünf, drüben sperrt Pater Simeon die Kirche auf. Noch nisten nächtliche Schatten im Kirchenschiff. Nur allmählich schälen sich im Sonnenlicht Engelsschwingen und Apostelfüße heraus. Jetzt endlich wird das Geheimnis der Stille offenbar, die kaum, dass die Mönche anheben zu singen, zu einem endlosen Raum des Klangs transzendiert.

Das Leben der Mönche gleicht einem Spagat. Sie repräsentieren ihre Kirche, ihren Orden, ihren Gott. Sie dienen als Maskottchen von Tourismuswerbern und Bierbrauern. Doch in der Frühe sind sie in ihrem himmlischen Zwiegesang ganz bei sich. Demütig im Gebet, unabhängig von den Zuneigungen und Abneigungen der Welt. Das hölzerne Chorgestühl in Neuzelle ist für 36 Sänger ausgelegt.

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