zum Hauptinhalt
Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Tagesspiegel-Chefredaktion.

© privat

Zeitung im Salon mit Christoph von Marschall: Die spinnen, die Amis?

Staunend blicken die Europäer auf den Vorwahlkampf in den USA - es ist ein Wahljahr der Irritationen. Deutsche und US-Bürger ticken unterschiedlich: Christoph von Marschall erklärt in seinem neuen Buch, was mit den Amerikanern los ist.

Es ist ein Jahr der Irritation, ein Wahljahr der Überraschungen: Staunend blicken die Europäer auf den amerikanischen Vorwahlkampf. Was, so fragen sich viele, ist mit den Amis los? Spinnen die alle?

Ein Wahljahr jedenfalls, das viele Fragen zu den Mentalitäten diesseits und jenseits des Atlantiks aufwirft – und Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Tagesspiegel-Chefredaktion, versucht sie in seinem neuen Buch Was ist mit den Amis los?“ zu beantworten. Von 2005 bis 2013 war von Marschall USA-Korrespondent des Tagesspiegels, heute reist er immer wieder hin, um den Vorwahlkampf zu beobachten. Und findet, was er dabei erlebt, in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: „Sowohl auf der rechten als auf der linken Seite haben Kandidaten Erfolg, die mit nicht typisch amerikanischen Themen punkten“, sagt er. Und: „Die Stimmung ist heute viel schlechter als die Lage. Die Wirtschaftsdaten sind besser als etwa während der Finanzkrise 2008, trotzdem läuft in der allgemeinen Wahrnehmung alles schlecht.“

Biografien von Barack und Michelle Obama

Von Marschall hat bereits mehrere USA-Bücher geschrieben: 2007 eine Biografie von Barack Obama, dem „schwarzen Kennedy“ – noch vor dessen erstem Wahlsieg, also ein beinahe prophetisches Buch. Eine Biografie von Michelle Obama folgte und 2012 die erste Ausgabe von „Was ist mit den Amis los?“. Dieses Buch hat von Marschall nun umfassend aktualisiert und neu geschrieben. Denn große Themen sind in den vergangenen vier Jahren hinzugekommen: die NSA-Affäre, die Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP und die Polizeigewalt gegen schwarze Jugendliche, die zu Rassenunruhen führte, außerdem natürlich die Kriege in Nahost. Die Neuausgabe ist soeben im Herder Verlag erschienen (270 Seiten, 14,99 Euro). Christoph von Marschall wird sie am Dienstag, dem 5. April, im Tagesspiegel-Salon vorstellen und mit Malte Lehming, Leiter der Meinungsredaktion und selbst ehemaliger USA-Korrespondent des Tagesspiegels, darüber diskutieren.

Trumps Erfolge hätte er nicht erwartet

Anders als 2008 mit seinem Obama-Buch fühlt sich Christoph von Marschall heute aber nicht als einer, der die Zukunft oder den Wahlsieg besonders treffend vorhersagen kann.  Als er das Buch im Sommer 2015 überarbeitete, „hatte ich Trump noch nicht auf dem Schirm“, sagt der promovierte Historiker. Er glaubte damals – wie die meisten Beobachter in Deutschland und den USA – , dass die Republikaner Jeb Bush nominieren würden und dass Trump schnell in der Versenkung verschwinden würde, weil Amerikaner letztlich allzu extreme Positionen ablehnen. Dass sich große Teile der republikanischen Wählerschaft jetzt so empfänglich für einen autoritären Kandidaten zeigen, hat ihn überrascht. Es bestätigt aber eine Grundthese des Buches: In den USA glauben viele, erfolgreiche Geschäftsleute seien besonders befähigt, gute Politik zu machen. „Wäre das in Deutschland denkbar“, fragt Christoph von Marschall im Buch, „dass zum Beispiel die Vorstandsvorsitzenden von VW, Siemens, einer Bank oder eines Vorzeige-Start-ups automatisch zum engeren Kanzlerkandidatenkreis zählen und man ihnen wegen ihres wirtschaftlichen Erfolgs zutraut, auch politische Aufgaben besser zu meistern?“

"DIe USA ist eine Unternehmergesellschaft"

Der Sozialneid ist weniger ausgeprägt, großer Reichtum wird positiv gesehen: „Die USA sind eine Unternehmergesellschaft, Deutschland eine Arbeitnehmergesellschaft.“ Für sein Glück und seinen Erfolg sei jeder selbst verantwortlich, denken viele: Unter anderem deswegen war es für Barack Obama auch so schwer, die Krankenversicherung auf weitere Bevölkerungskreise auszudehnen – eine verbreitete Auffassung besagt, jeder müsse selbst entscheiden, wie weit er für Krankheiten vorsorgen möchte. Einer der Punkte, an dem Europäer gerne mit Obelix denken: „Die spinnen, die Amis“.

Im Buch sind noch viele andere solche Punkte benannt, die Amerikaner wie Deutsche immer wieder dazu verleiten, die jeweils anderen für Spinner zu halten. Warum verschärfen die Amis nicht endlich ihre Waffengesetze? Warum halten sie an der Todesstrafe fest? Warum legen sie ihren Geheimdiensten nicht strengere Zügel an? Und umgekehrt: Warum glauben die Deutschen, dass der Staat alles richten soll? Warum engagieren sie sich weniger für ihre Demokratie, warum sind Nachbarschaftshilfe und Spendenbereitschaft geringer ausgeprägt?

Checks and balances

Nach der Lektüre versteht man besser, wieso die Menschen und Politiker in den USA und Deutschland bei aller kulturellen Nähe doch oft so unterschiedlich denken und handeln. Christoph von Marschall erzählt anschaulich von eigenen Erfahrungen und Recherchereisen und analysiert die große Politik: eine Mischung, die sich ausgesprochen gut liest. Die Grundtendenzen der amerikanischen Gesellschaft, die er schildert, sind erstaunlich konstant, jedoch nicht auf alle Ewigkeit festgeschrieben: Bernie Sanders etwa begeistert viele Menschen mit Thesen, die nicht zum traditionellen amerikanischen Denken passen, etwa der Forderung nach einem kostenlosen Studium. Das führt zu der Frage: Haben die Medien zu lange ignoriert, dass große Teile der Bevölkerung sich abgehängt fühlen? „Jedenfalls besteht Anlass zur Selbstkritik der Journalisten“, sagt von Marschall.

Und die letzte, drängende Frage: Wer wird die Wahl gewinnen? Falls das republikanische Establishment Trump nicht mehr verhindern kann, wird er eine Wahl gegen Hillary Clinton klar verlieren, erwartet Christoph von Marschall. Sollte Trump aber doch gewinnen, könnte er im Amt nicht so berserkerhaft agieren wie bei seinen Wahlkampfauftritten: Ein ausgefeiltes System von „Checks and Balances“ würde ihn in Schach halten. Aber Achtung: Überraschungen und Irritationen aller Art sind möglich.

BUCHVERLOSUNG

Wir verlosen Exemplare des Buchs. Mitmachen können Sie unter www.tagesspiegel.de/gewinnen, Stichwort „Salon“, oder Sie schreiben eine Postkarte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin (bis 28. April).

Zeitung im Salon mit Christoph von Marschall, Dienstag, 5. April, Askanischer Platz 3, Beginn 19 Uhr, Eintritt 18 Euro mit Sekt und Snack, zur Anmeldung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false