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Dr. Hildebrand Gurlitt (M), Direktor des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, und Prof. Friedrich Tamms (r) unterhalten sich auf einer Feierstunde für den Präsidenten der IHK, Prof. Dr. Wilden anlässlich seines 75. Geburtstages in der Kunsthalle Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) am 02.02.1952. Hildebrand Gurlitt (1895-1956) zählte zu Hitlers Kunsthändlern. Bei seinem Sohn Cornelius wurden zahlreiche Werke namhafter Künstler sichergestellt. Foto: Stadtarchiv Düsseldorf Signatur 015-421-005/ Wilhelm Margulies dpa (nur s/w, bestmögliche Qualität, - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung bei vollständiger Nennung der Quelle Foto: Stadtarchiv Düsseldorf 015-421-005 /Wilhelm Margulies dpa". Gesperrt für dpa-Infoline!) +++(c) dpa - Bildfunk+++

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Zeitung im Salon: Hitlers Kunsthändler

Expertin Meike Hoffmann und Tagesspiegel-Kunstkritikerin Nicola Kuhn präsentieren ihre Biografie von Hildebrand Gurlitt: Eine Buchpremiere

Ein schmächtiger, unauffälliger, grauhaariger Mann, der in seiner ebenfalls unauffälligen Münchner Wohnung hunderte wertvolle Bilder versteckt: Das hätte sich ein Krimi-Autor nicht besser ausden ken können. Der „Schwabinger Kunstfund“ war eine Sensation. Nachdem der alte Herr namens Cornelius Gurlitt im Reisezug mit 9000 Euro erwischt worden war, ließ die Staatsanwaltschaft 2012 seine Münchner Wohnung durchsuchen und die darin gelagerten Bilder beschlagnahmen, weitere Gemälde und Zeichnungen wurden in Salzburg gefunden. Fund und Beschlagnahmung wurden erst Ende 2013 bekannt, und seitdem arbeiten Forscher der „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ daran, die Herkunft der Bilder aufzuklären. Über 1000 Bilder im Wert von rund 50 Millionen Euro hatte der Privatier Gurlitt gehortet, darunter fast 600, von denen vermutet wird, dass es sich um Raubkunst handelt. Die Bilder hat Cornelius Gurlitt, der wenig später starb, nicht selbst gekauft; sie stammten aus der Sammlung seines Vaters Hildebrand Gurlitt, der sie durch seine Tätigkeit als Kunsthändler in der Zeit des Nationalsozialismus erworben hatte. Vier Kunsthändler gab es, die im Auftrag der Nazi-Regierung mit Kunst handelten – sie verkauften als „entartete Kunst“ aus den Beständen deutscher Museen konfiszierte Werke an ausländische Museen und Sammler, um dem NS-Regime Devisen zu besorgen.

Er war Chef-Einkäufer für das geplante "Führermuseum"

Von den drei anderen Kunsthändlern gibt es wissenschaftliche Monographien, von Hildebrand Gurlitt bisher nichts dergleichen. Nun wird diese Lücke gefüllt: Kunsthistorikerin Meike Hoffmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der FU Berlin, und die Tagesspiegel-Kulturredakteurin Nicola Kuhn haben Tausende Briefe Gurlitts und seiner Familie ausgewertet und – aufbauend auf dem Konzept von Hoffmann und ihren jahrelangen Recherchen in in- und ausländischen Archiven – eine Biografie geschrieben, die die komplexen Hintergründe der Person Gurlitt, des Kunsthandels während und nach der Nazi-Zeit und die Schwierigkeiten der Aufarbeitung beleuchtet (erscheint am 9. März im C.H.Beck Verlag 352 Seiten, 22,95 Euro). „Hitlers Kunsthändler“ ist der Titel des Werks: Das heißt allerdings nicht, dass Gurlitt persönlichen oder gar regelmäßigen Kontakt mit Hitler hatte. Er war jedoch Chef-Einkäufer für das geplante „Führermuseum“ in Linz. Die Buchpremiere wird im Tagesspiegel-Salon stattfinden und wird eröffnet von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die die Provenienzforschung zur Chefsache erklärt und die „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ eingesetzt hat, bei der Meike Hoffmann offizielles Mitglied ist. Die Moderation übernimmt Feuilleton-Chef Rüdiger Schaper. Was war das für ein Mensch, Hildebrand Gurlitt, der aus einer kunstsinnigen, gebildeten Dresdner Familie stammte? Auf keinen Fall ein typischer oder gar eingefleischter Nationalsozialist. Im Gegenteil: In seinen Jahren als Student und Leiter des König-Albert-Museums in Zwickau (1925-30) begeisterte er sich für die Moderne, präsentierte Werke von Max Pechstein, Käthe Kollwitz, Oskar Kokoschka, Ernst Ludwig Kirchner, Max Liebermann. So auffällig war seine Vorliebe für die Werke moderner Künstler, dass er angefeindet und entlassen wurde. Auch in seiner darauf folgenden Tätigkeit als Leiter des Hamburger Kunstvereins ab 1931 blieb Hildebrand Gurlitt der Moderne treu, und als die Nationalsozialisten am 1. Mai 1933 durch Hamburg paradierten, weigerte er sich, die Fahne zu hissen. Im Juli wurde er gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten, und machte sich dann als Kunsthändler selbstständig.

Hildebrand Gurlitt liebte die Werke der Moderne

Ein Werdegang, der Rätsel aufgibt. „Wie wird ein kritischer Geist zum Mitläufer, ein Vorkämpfer der Moderne zu deren Liquidator, ein Opfer zum Täter?“, fragen die Autorinnen. Gurlitt war „Vierteljude“ und insofern auch bemüht, seine eigene Haut zu retten. „Er hat kollaboriert, war ein Profiteur. Das kann man ihm vorwerfen, aber auch viele andere haben sich auf moralisch fragwürdige Weise durch die Zeit der Diktatur geschlagen“, sagt Nicola Kuhn. Das eigentlich Verwerfliche ist aus ihrer Sicht, wie Gurlitt sich nach dem Krieg verhalten hat. Denn er hat bis zu seinem Tod 1956 keineswegs hinterfragt, wem er möglicherweise geschadet hat und welche Bilder in seinem Besitz etwa an jüdische Sammler zurückzugeben wären. Im Gegenteil hat er behauptet, seine Sammlung und seine Unterlagen seien beim Angriff auf Dresden verbrannt, und er hat sich selbst zum Opfer stilisiert. „Wenn Erben nachfragten, hat er sie abblitzen lassen: Das war perfide“, sagt Nicola Kuhn. Für Tagesspiegel-Redakteurin Nicola Kuhn ist es das erste Buch, und es ist auch das erste Mal, dass sie so intensiv in eine historisch-politische Fragestellung eintaucht. Als Kunstkritikerin, beim Tagesspiegel seit 1991, sah sie früher ihre Aufgabe hauptsächlich darin, Künstler zu porträtieren und Ausstellungen zu rezensieren – und das, so sagt sie, sei auch „immer noch die schönste Disziplin“. Aber die Arbeit von Feuilletonisten umfasst in den letzten Jahren immer stärker auch kulturpolitische Themen. Für sie eine spannende neue Aufgabe. „Die Arbeit an dem Buch hat mir gezeigt, wie stark sich Deutschland verändert hat: In der Nachkriegszeit wurde so vieles, was die nationalsozialistische Vergangenheit betraf, unter den Teppich gekehrt. Das wiedervereinte Deutschland dagegen stellt sich diesen Fragen.“

BUCHVERLOSUNG
Wir verlosen Exemplare des Buchs. Mitmachen können Sie unter www.tagesspiegel.de/gewinnen, Stichwort „Salon“, oder Sie schreiben eine Postkarte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin (bis 1. März).

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