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"Unsere Eltern haben geschwiegen": Cicek Bacik.

© privat

Zeitung im Salon am 11. Juni: Daughters and Sons of Gastarbeiters

Sie folgten ihren Eltern aus den Dörfern Anatoliens, Südeuropas, des Balkans nach Deutschland oder kamen in einem Arbeiterviertel der Bundesrepublik zur Welt. Nun blicken die Töchter und Söhne von Gastarbeitern zurück: Im Tagesspiegel-Salon werden sie persönliche Geschichten erzählen und mit Bildern von damals aufleben lassen.

Halil Ibrahim Baçik kam im März 1973 nach Deutschland, kurz vor dem Anwerbestopp, und war fortan ein „Gastarbeiter“. Er goss Zement, verlegte Kabel, hob Kanäle aus, baute deutsche Straßen und Bahngleise. Während er bei Siemens Schläuche montierte und seine Frau Elmas putzen ging, durchlief die Tochter die deutschen Bildungseinrichtungen, machte Abitur, studierte und promovierte – als Erste und Einzige der Familie. „Diese Bildungskluft war für alle schwierig auszuhalten“, sagt Çiçek Baçik. Ihre Bildung ermöglicht der Politologin heute, etwas zu tun, was ihr Vater nicht gekonnt hätte: seine Geschichte aufzuschreiben.

„Unsere Eltern hatten keine Stimme, sie haben geschwiegen“, sagt Çiçek Baçik. „Wir dagegen können uns artikulieren. Wir wollen unsere Erfahrungen und die unserer Eltern aufschreiben – sonst gehen so viele Geschichten verloren.“ Zusammen mit der Journalistin Ferda Ataman hat Baçik die „Daughters and Sons of Gastarbeiters“ ins Leben gerufen – eine Gruppe von Autorinnen und Autoren, deren Eltern aus verschiedenen Ländern zum Arbeiten nach Deutschland kamen. Zunächst ging es ihnen darum, sich gegenseitig von ihren Erlebnissen zu erzählen, nach dem Motto „Ich bin ein Gastarbeiterkind, du auch, und das ist gut so“.

"Oft sind es tragische Geschichten von Scheidungen und zerrissenen Familien"

„Die Zeit der Gastarbeiter ist vorbei, aber sie ist ein Teil unserer Lebensgeschichte, die wir aufarbeiten möchten. Oft sind es tragische Geschichten, von Scheidungen und zerrissenen Familien“, sagt Ferda Ataman. Die Geschichte, die sie selbst über ihre Mutter geschrieben hat, ist allerdings sehr komisch: Darin schildert sie, wie ihre unerschrockene Mutter Hülya einen Imam bloßstellte, weil er eine anzügliche Bemerkung gemacht hatte. Später kämpfte die Mutter dafür, dass ihre Tochter nicht in eine spezielle „Türken-Klasse“ gehen musste und trotz anderslautender Empfehlung der Lehrerin aufs Gymnasium durfte. „Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin“, sagt Ferda Ataman, die zwei Jahre für die Lokalredaktion des Tagesspiegels gearbeitet hat. Heute leitet sie den „Mediendienst Integration“, eine Informationsplattform für Journalisten rund um die Themen Migration, Asyl, Flüchtlinge.

"Unsere Eltern haben Deutschland mit aufgebaut"

Zwei Lesungen haben die „Daughters and Sons of Gastarbeiters“ schon bestritten, die erste Anfang dieses Jahres im Wasserturm Kreuzberg vor allem für Freunde und Bekannte. Ein begeisternder Abend für alle Zuhörer mit und ohne Migrationshintergrund, an dem zu spüren war: Hier entsteht ein neues Gemeinschaftsgefühl, eine neue Wertschätzung. Der Abend endete mit einem Applaussturm für Çiçek Baçiks Eltern, die ebenfalls erschienen waren. „Unsere Eltern haben Deutschland mit aufgebaut“, sagt die Tochter. „Das sollte viel stärker gewürdigt werden.“

Am 11. Juni im Tagesspiegel-Salon richten sich die „Daughters and Sons of Gastarbeiters“ bewusst an ein breiteres Publikum. Lesen werden neben Ferda Ataman und Çiçek Baçik auch Konstantina Vassiliou-Enz, deren Eltern aus Griechenland nach Deutschland kamen, Miguel Zamorano (Mutter aus Ecuador, Vater aus Chile), Ebru Tasdemir und Kemal Hür (beide türkeistämmig). Zoran Terzic’ Eltern kamen aus Jugoslawien und erfanden sich hier neu als Serben – davon handelt seine Geschichte „Das Ritual“. „Wir sind gespannt, wie unsere Texte bei den Tagesspiegel-Lesern ankommen“, sagt Ferda Ataman. Denn wenn neue Stimmen Gehör und Einfluss gewinnen sollen, braucht es zwei Parteien: die, die sprechen, und die, die zuhören.

Daughters and Sons of Gastarbeiters. Donnerstag, 11. Juni, Beginn 19.30 Uhr, Askanischer Platz 3. Eintritt inklusive Sekt, mediterranem Menü und Live-Musik 20 Euro. Die Veranstaltung ist ausverkauft.

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