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Bunt geworden. Zum 80. Geburtstag ehrt Artek den „Stool 60“ mit einer Special Edition von verschiedenen Künstlern.

© Artek

„Stool 60“: Legende mit drei Beinen

Praktisch, schlicht und stapelbar: „Stool 60“, Alvar Aaltos genialer Hocker, feiert den 80. Geburtstag. Berliner können das weltbekannte Designerstück in der Potsdamer Straße begutachten.

Die Form folgt der Funktion, so verlangte es die Bauhaus-Philosophie. Wie sehr sie der finnische Architekt und Designer Alvar Aalto verinnerlicht hatte, erkennt man an seinen zahlreichen Werken. Funktionale Fabriken, Schulen und Kirchen entwarf er. Auch bei seinen Möbeln verzichtete er auf jegliche Schnörkel. Formschön und praktisch sollten sie sein. 1933 entstand ein Hocker. Dreibeinig, schlicht und stapelbar. Aber, war er auch haltbar? Alvar Aalto hob den Prototyp in die Höhe und warf ihn auf den Boden. Immer und immer wieder. Der Hocker blieb heil. Und durfte, unter dem bescheidenen Namen „Stool 60“ in Serie gehen.

Mehr als fünf Millionen Hocker sind seitdem verkauft worden. Hergestellt bei Artek in Helsinki, jener Produktentwicklungsfirma, die Alva Aalto 1935 noch mitbegründet hatte. In jenem Jahr wurden auch die ersten „Hocker 60“ in einem öffentlichen Gebäude aufgestellt, in der Stadtbücherei von Wyborg (damals Finnland).

Das einfache Sitzmöbel besteht komplett aus finnischem Birkenholz. Das Besondere sind seine L-förmig gebogenen Beine, die den runden Sitz tragen und unter ihm festgeschraubt sind. Dazu war es notwendig, das Holz in einen 90-Grad-Winkel zu biegen. Lange hatte Alvar Aalto daran getüftelt. Und schließlich gelang es, mittels Hitze und Dampf die Stuhlbeine in die gewünschte Form zu bringen. Anfangs wurde jedes Bein einzeln von Hand gekrümmt. Erst in den sechziger Jahren wurden dafür Maschinen eingesetzt.

Der Hocker machte eine beispiellose internationale Karriere. Und ist längst ein begehrter Klassiker, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert. „Japaner lieben ihn genauso wie Amerikaner“, sagt Mirkku Kullberg, Geschäftsführerin von Artek.

Einen Klassiker gibt man nicht her

Ein Möbel zum Lümmeln ist es nicht. Wer auf diesem Hocker Platz nimmt, ist geradezu gezwungen, Haltung zu bewahren. Natürlich, so erzählt die Expertin, werde das Designstück nicht nur zum Sitzen genutzt. Oft diene er als Beistelltischchen oder stehe einfach als „kleines Kunstwerk“ in einem Raum.

Ein schlichtes Etwas wie „Stool 60“ regt auch die Fantasie von Künstlern an. In der Jubiläums-Edition dieses Jahres etwa wurde er verfremdet. Der deutsche Designer Mike Meiré hat ihn einfach ein bisschen bunter gemacht. „Ich habe versucht, ein wenig Unordnung in die Struktur zu bringen, indem ich jedem Stuhlbein seine eigene Farbe gegeben habe. Wenn man ihn herumdreht, gibt es immer wieder neue Perspektiven.“

Puristen mögen den „Stool 60“ von Aalto natürlich nur in dem unverwechselbaren Ton des Birkenholzes. Über die Jahre dunkelt die helle Farbe ein wenig nach, was ihn optisch noch schöner macht. „Er altert gut“, sagt Mirkku Kullberg. Vielfach wurde versucht, Alvar Aaltos Lieblingsmöbel zu kopieren. Ikea etwa vertreibt einen Hocker, der zumindest von weitem ähnlich aussieht und mit 7,99 Euro einen Bruchteil des Originals kostet. Mirkku Kullberg seufzt. „Was Ikea macht, ist lächerlich“, sagt sie. Es verführe zum billigen Konsum. Bei Artek verfolge man andere Ziele. „Kaufe weniger, aber besser“, lautet das Motto. Ein gutes, nachhaltiges Möbel sei eine Investition fürs Leben.

Das finnische Unternehmen versucht, Hocker aus den ersten Baureihen zurückzukaufen. „In Spanien zum Beispiel habe ich schöne alte Exemplare gesehen“, erzählt Mirkku Kullberg. Hohe Preise hat Artek geboten, meist ohne Erfolg. Die Besitzer wollten sich partout nicht von „ihrem“ Hocker trennen und ihn auch nicht gegen einen nagelneuen eintauschen. Einen Klassiker gibt man nicht her.

Berliner, die den „Stool 60“ oder andere Designmöbel von Artek begutachten wollen, können dies in der eigenen Stadt. 2012 hat Artek seine europäische Hauptverwaltung in der Potsdamer Straße 85, auf dem ehemaligen Gelände des Tagesspiegels, eröffnet. Warum hat Artek ausgerechnet Berlin gewählt? „Die Stadt ist tolerant, offen und noch immer auf der Suche. Damit passe sie gut zur Philosophie des Unternehmens“, sagt die Geschäftsführerin. Städte wie Paris, Barcelona oder München, in denen sich kaum noch etwas verändert, seien nicht in Frage gekommen.

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