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Mitfahrzentrale im Reinraum. Mithilfe von Viren werden die gewünschten Erbgutstücke in die Zellen eingeschleust.

© picture alliance / dpa

Zwischen Krebsrisiko und Heilsversprechen: Der lange Weg zur Gentherapie

Nach Jahrzehnten der Forschung gibt es erste zugelassene Gentherapien. Doch der Weg vom Labor bis in die Klinikapotheke ist voller Sackgassen. In einer deutschen Studie erkrankten acht von neun Kindern an Leukämie.

Die Augen sind trocken und entzündet, ständig fühlt es sich an, als sei ein Sandkorn unter das Lid gerutscht. Im Mund bildet sich kaum Spucke. Kauen, Schlucken und Sprechen sind mühsam. Immer wieder kommt es zu Infekten. Diese typischen Symptome des Sjörgen-Syndroms, eines Autoimmunleidens, könnte eine Gentherapie lindern, schreiben nun Forscher um John Chiorini von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA im Fachblatt „PNAS“. Etwa 60 Prozent der Patienten bildeten zu viel von dem Eiweiß BMP6. Dieser Signalstoff bewirkt bei kranken Mäusen, dass das Gen für den Wasserkanal Aquaporin 5 nicht abgelesen wird. Sie haben deshalb zu wenig Speichel und Tränenflüssigkeit. Schleusten die Forscher mithilfe von Viren Gene für den Wasserkanal Aquaporin 1 in die Mäuse ein, waren die Symptome milder und es kam es zu weniger Entzündungen. Ein Hoffnungsschimmer für Patienten?

Wer die genetischen Ursachen einer Erkrankung versteht, der kann sie an seiner Wurzel packen. Das ist seit mehr als 20 Jahren das Heilsversprechen der Gentherapie. Es klingt einfach. Doch der Weg von der Maus zum Patienten, vom Labor in die Klinikapotheken ist voller Sackgassen. Die Viren, die als Gentaxis das gewünschte Erbgutstück in die Zellen transportieren sollen, kamen in manchen Versuchen nicht oft genug an ihrem Ziel an – die Wirkung verpuffte. In anderen Fällen verursachte eine Überdosis Viren eine heftige Immunreaktion. Daran verstarb 1999 der 18-jährige Jesse Gelsinger in Philadelphia. Insbesondere frühe Generationen der Gentaxis brachten noch ein weiteres Problem mit sich: Am Ziel angelangt, bauen die Retroviren das Erbgut an beliebiger Stelle ein. Dabei können sie wichtige Funktionen von anderen Genen lahmlegen. Oder sie verändern sie so, dass sie die Entwicklung von Krebs fördern.

Erst ging es den Jungen besser. Dann kam der Krebs

So erkrankten in einer Studie, die Christoph Klein vom Haunerschen Kinderspital der LMU München verantwortet hat, acht von neun behandelten Jungen an Leukämie. Die Kinder litten am Wiskott-Aldrich-Syndrom, einer angeborenen und lebensbedrohlichen Immunschwäche. Kleins Team – damals noch an der Medizinischen Hochschule Hannover – vergewisserte sich zunächst, ob es unter den Geschwisterkindern einen „genetischen Zwilling“ für eine Stammzelltransplantation gab. Eine anstrengende, aber etablierte Therapie für das Leiden. Die Überlebensrate nach fünf Jahren lag zu dieser Zeit bei 87 Prozent. Bei Fremdspendern sahen die Zahlen schlechter aus. Gab es in der Familie keinen Spender, boten die Ärzte die experimentelle Gentherapie an: Sie entnahmen 2006, 2008 und 2009 einigen Kindern Stammzellen aus dem Knochenmark, schleusten im Labor mithilfe der Viren das korrigierte Wiskott-Aldrich-Gen ein und injizierten sie dann den kleinen Patienten. Erfolgreich, wie es zunächst schien. Den Jungen ging es besser, die Symptome der Autoimmunkrankheit verschwanden. Dann erkrankte einer nach dem anderen an Krebs. Drei sind verstorben, fünf erholten sich wieder.

Klein muss sein Vorgehen nun vor einer Prüfkommission der Ludwig-Maximilians-Universität München erklären. Nach einer Reportage der „Süddeutschen Zeitung“ stehen ernste Anschuldigungen im Raum. So hatten Kollegen ihn als übermäßig ehrgeizigen Forscher charakterisiert. Sie werfen ihm vor, nicht systematisch genug nach Stammzellspendern gesucht zu haben. Außerdem habe er auf dem Gentaxi beharrt, obwohl es in anderen Studien Anzeichen für ein erhöhtes Leukämierisiko gegeben hatte.

Optimismus - trotz aller Rückschläge

Christoph Klein verwahrt sich gegen die Anwürfe. „Das impliziert, ich sei über die Leichen der Kinder gegangen“, sagte er kürzlich beim Paul-Martini-Symposium in Berlin. Tatsächlich habe er die Studie nach dem ersten Leukämiefall gestoppt. Das Wohl der Patienten habe an erster Stelle gestanden. „Das war unser ethisches Primat“, sagte er. Aber man könne sich nicht mit dem Status quo zufriedengeben. Ohne Studien seien auch die Fortschritte in der Krebsmedizin nicht möglich gewesen. Dort könne man inzwischen vier von fünf Kindern heilen.

Trotz aller Rückschläge überwiegt bei den Experten der Optimismus. Nach Jahrzehnten der Forschung gibt es mit Glybera eine erste zugelassene Gentherapie (der Tagesspiegel berichtete), andere werden in Kürze folgen. Es gibt neue, weniger risikoreiche Gentaxis. Es gibt die Methoden der Genchirurgie wie Crispr, die ständig verbessert werden. Die möglichen Anwendungen gehen mit Krebs und HIV nun weit über die seltenen Erkrankungen hinaus. „Das wird kommen“, sagte Stefan Endres von der LMU München.

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