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Vor dem Ende. Häftlinge aus dem Konzentrationslager Mittelbau-Dora, einer Außenstelle des KZ Buchenwald, 1944 beim Bau der Rakete V2.

© Ullstein

Zwangsarbeit: Tödlicher Dienst am Volk

Aus "Gastarbeitern" wurden Zwangsarbeiter: Unter Hitler lebte die Wirtschaft von erzwungener Migration.

Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 setzte einen lang angestauten Antisemitismus frei. Juden wurden auf offener Straße gedemütigt, indem sie das Pflaster putzen oder Plakatwände schrubben mussten. „Wir holten uns die bekannten großmäuligen Juden zu einer produktiven Arbeitsleistung heran“, brüstete sich ein Beteiligter gegenüber dem Hetzblatt „Der Stürmer“, „um ihnen den Vorgeschmack auf zukünftige Arbeit beizubringen“. Diese „zukünftige Arbeit“ wurde in der „Ostmark“ bereits im Oktober 1938 Realität, als Zwangsarbeit für Juden. Noch war dies auf Reichsgebiet eine regionale Ausnahme.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verschärfte sich der Arbeitskräftemangel dramatisch. Die Einberufungen zur Wehrmacht rissen immer größere Lücken in die Belegschaften der Betriebe. Mit dem Frankreichfeldzug 1940 und erst recht mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 verschärfte sich der Mangel jeweils sprunghaft. Nach dem Scheitern der Blitzkrieg-Strategie vor Moskau musste sich die Wehrmacht auf einen lang dauernden Krieg einrichten – und die Kriegsproduktion im Deutschen Reich auf entsprechende Produktionsziffern trimmen.

Ab Frühjahr 1942 rollten täglich Transportzüge mit Tausenden von Männern und Frauen vor allem aus den besetzten Ostgebieten nach Deutschland, wo sie Produktionsstätten und landwirtschaftlichen Betrieben zugeteilt wurden.

Im Laufe des Krieges passierten rund 13 Millionen Zwangsarbeiter die Grenzen des Reiches, wurden in ganz Europa insgesamt 20 Millionen Menschen für die Kriegsproduktion des NS-Regimes eingespannt. Darüber informiert hervorragend die Ausstellung, die derzeit im Jüdischen Museum Berlin zu sehen ist, unter dem Titel „Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“. Auch die Vorgeschichte ab 1933 wird beleuchtet. Denn die Zwangsarbeit kam nicht von ungefähr. Sie fügt sich, wenn auch als gewaltsames Extrem, in die Politik der Arbeitsmarktlenkung ein, die die ganze Dauer des NS-Regimes begleitet, ja eines ihrer konstitutiven Merkmale ausmacht.

Während jedoch die Zwangsarbeit im Dritten Reich gut dokumentiert ist, nicht zuletzt dank der Publikationen des Freiburger Historikers Ulrich Herbert (ab 1987), ist der Gesamtzusammenhang der NS-Wirtschaftslenkung erst mit der bahnbrechenden Studie des englischen Wirtschaftshistorikers Adam Tooze, „Ökonomie der Zerstörung“ (dt. 2007), ganz in den Blick gerückt. Über den Teilaspekt „Nationalsozialistisches Migrationsregime und ,Volksgemeinschaft’“ veranstaltete das Deutsche Historische Museum am Wochenende eine Tagung, parallel zur Ausstellung „Hitler und die Deutschen“.

Der Begriff der „Volksgemeinschaft“ gehört zu den zentralen Topoi der NS-Ideologie. Was dieser Begriff allerdings beschreiben sollte, wurde zu NS-Zeiten nie deutlich und wird heute in der historischen Forschung kontrovers diskutiert. Handelt es sich um eine Ist-Beschreibung oder eine Verheißung für die Zukunft, die als „Leistungsgemeinschaft“ zu erarbeiten war? Die Zwangsarbeit findet sich eingebettet in eine Gesellschaft, die seit 1933 zu Arbeit als „Dienst am Volk“ aufgerufen war. Der „Reichsarbeitsdienst“ spielte eine erhebliche Rolle, denn die paramilitärische Organisation dieser Dienstverpflichtung nimmt vorweg, was später an den Deportierten Europas exekutiert wurde.

Durchaus kontrovers ist, inwieweit die ständig beschworene Heimatverbundenheit („Blut und Boden“) konterkariert wurde durch die erhebliche Arbeitsmigration, sowohl innerhalb des Reiches wie nach Kriegsbeginn im wehrmachtsbeherrschten Europa. Die Großbauvorhaben des Regimes machten enorme Wanderungsbewegungen erforderlich. Herausragend sind die „KdF-Werke“ bei Fallersleben, die späteren Volkswagenwerke Wolfsburg und die „Hermann-Göring-Werke“ in Watenstedt-Salzgitter. In den „Reichswerken“ Salzgitter sollte Eisenerz in nicht weniger als 82 Hochöfen verhüttet werden, im Sinne der Autarkiepolitik des Regimes, das die Rohstoffabhängigkeit Deutschlands als gefährliche Schwachstelle der Aufrüstung im Blick hatte.

Gerade die Staatsbetriebe mussten in erheblichem Umfang ausländische Arbeitskräfte beschäftigen. So waren in Salzgitter 1938 von 80 000 Arbeitern mehr als die Hälfte Ausländer. Sie kamen in Noch-Friedenszeiten über Anwerbeverträge ins Land, die die Regierung mit befreundeten Staaten schloss, insbesondere mit Italien. Die Zeit der massenhaften Zwangsarbeit begann 1942. Nun kamen nicht nur Angehörige befreundeter Staaten oder „stammesgleicher“ Länder wie etwa belgische Flamen ins Reich, sondern „Fremdvölkische“, vor allem die pauschal so bezeichneten „Ostarbeiter“. Sie sahen sich konfrontiert mit der rassistischen Ideologie Nazideutschlands. Ständig wiederkehrend sind etwa Warnungen vor „rassebiologischer Schädigung unseres Volkes“.

Die Arbeitslenkung des NS-Regimes schwankte also zwischen ideologischer Engstirnigkeit und ökonomischen Erfordernissen. In Fachblättern wurde Klartext geschrieben: „Die Fremdvölkischen völlig wieder aus dem Reiche auszusiedeln, wird aus wirtschaftlichen Gründen vielleicht noch lange nach dem Kriege nicht möglich sein“, so die nüchterne Auffassung des Reichsarbeitsministeriums. Schon damals war von „Gastarbeitern“ die Rede.

Die auf zeitliche Begrenzung zielende Terminologie ermöglichte, die unerwünschte Anwesenheit von „Gemeinschaftsfremden“ in der doch als homogen gedachten „Volksgemeinschaft“ zu rechtfertigen. Es wurden „Anstandsregeln“ wie diese propagiert: „Nur der deutsche Volksgenosse gehört in unsere Tischgemeinschaft!“, lautete 1943 die Mahnung, polnische Landarbeiter ja nicht am selben Tisch zu beköstigen.

Bis zum Krieg folgt die Binnenmigration in Deutschland den internationalen Trends. Der Anteil der Bauern an der Gesamtbevölkerung nimmt kontinuierlich ab. Auch unter dem NS-Regime setzt sich die Entwicklung zu einer „modernen Industriegesellschaft mit agrarischem Kern“ fort, wie der Wissenschaftliche Leiter der DHM- Tagung, der Osnabrücker Historiker Jochen Oltmer, betonte. Die Abwanderung vom Land folgt NS-unabhängigen Gegebenheiten wie mangelnden Heiratsmöglichkeiten und generell fehlenden Aufstiegschancen. All das bot eine Existenz als Industriearbeiter, zumal in den rapide expandierenden Betrieben der Rüstungsindustrie. Ein Beispiel ist Dessau, die „Stadt der Junkers-Werke“, deren Einwohnerzahl binnen sechs Jahren um glatt 50 Prozent auf 120 000 emporschnellte.

Oltmer spricht von einer „Mobilisierungsdiktatur“, um die forcierte Mobilität der Arbeitskräfte im „Dritten Reich“ zu kennzeichnen. Schon der „Reichsarbeitsdienst“ brachte die jungen Männer in entfernte Regionen. Zuvor war es der propagandistisch ausgeschlachtete Autobahnbau, mit dem die Arbeitslosenzahl vom Beginn 1933 so wirkungsmächtig gesenkt werden konnte. Aus dem Arbeitsmangel wurde Arbeitermangel – bereits 1934 begann sich in einzelnen Sektoren Facharbeitermangel bemerkbar zu machen.

Die Staatsbetriebe mit ihren Zugriffsmöglichkeiten verschärften die Situation der Privatwirtschaft. Die Anwerbung von rund einer Viertelmillion Italiener, die als einzige „Fremdarbeiter“ bis 1943 einen gleichwertigen Status genossen, bildete nur den Auftakt zu den bald ausschließlich gewaltsamen Migrationen, die das ganze Reichsgebiet durchzogen.

Diese Zwangsarbeit ist eines der tiefschwarzen Kapitel der NS-Herrschaft. In ihr fließen ökonomische Erwägungen und ideologische Vorgaben ineinander. „Ostarbeiter“ wurden zur Sklavenarbeit gezwungen, während gleichzeitig drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene auf freiem Feld durch Hunger und Seuchen umkamen. Vor allem jüdische KZ-Häftlinge waren, wenn sie nicht sogleich ermordet wurden, zur „Vernichtung durch Arbeit“ bestimmt. Berüchtigte Beispiele sind die IG-Farben-Fabriken in Auschwitz und die unterirdischen Raketenwerkstätten „Mittelbau-Dora“. Den Bau der „Vergeltungswaffe“ V2 bezahlten mehr als 20 000 Arbeitshäftlinge mit ihrem Leben.

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