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Schülerinnen und Schüler der Klasse 4c der Robert-Schumann-Grundschule sitzen mit Abstand zueinander im Unterricht.

© Arne Dedert/dpa

Zurück zum Normalbetrieb an Grundschulen: „Abstand halten ist doof“

In NRW werden Grundschüler ab Montag in voller Klassenstärke unterrichtet. Es wird ein Normalbetrieb mit Sonderregeln - aber ohne Abstand in der Klasse.

Der Schulgong ertönt. Aus allen Richtungen kommen die Kinder zum Pausenende angerannt, manche mit Mundschutz. Erstklässler Jakob springt auf „sein“ Feld Nummer 5, Léna hat die Nummer 2 auf dem Schulhof.

Mithilfe der bunt markierten Zahlenkreise halten die Jungen und Mädchen in Corona-Zeiten Abstand. Allen Schülern hat die Eichendorff-Grundschule in Meerbusch bei Düsseldorf feste Ziffern zugewiesen. Auf ein Zeichen der Lehrerin stürmen die Kinder ins Schulgebäude - nach und nach, geordnet, immer rechts über die grünen Pfeile im Treppenhaus.

Noch sind die Gruppen halbiert. Aber ab Montag wird es wieder enger: Normalbetrieb an allen Grundschulen in NRW ist aus dem Schulministerium angesagt. Volle Klassenstärke ohne 1,50-Meter-Regel im Unterrichtsraum.

Mehrere Bundesländer wollen nach den Sommerferien wieder im Regelbetrieb unterrichten, manche von ihnen zumindest in der Primarstufe auch schon vor den Ferien. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein haben gerade den Anfang gemacht - täglicher Unterricht wieder für alle Grundschüler im Klassenverband.

[Lesen Sie auch, wie Sachsen seine Vorreiterrolle bereits Mitte Mai begründete: Ohne Abstand, mit normalen Klassengrößen]

In Bremen soll der Präsenzunterricht an Grundschulen am 22 Juni "in der jeweiligen Klassenstärke für alle Jahrgangsstufen auf jeweils vier Unterrichtsstunden an vier Tagen in der Woche ausgeweitet werden". Das teilte die Bremer Schulbehörde am Donnerstag auf eine Anfrage des Tagesspiegels mit. Auch Hessen plant für den Normalbetrieb an Grundschulen ab dem 22. Juni - ebenfalls ohne Abstandregelungen.

Berliner Normalbetrieb erst nach den Ferien

In Berlin zeichnet sich dagegen eine Rückkehr zum Normalbetrieb in den Grundschulen erst für August - also nach den frühen Sommerferien - ab. Für Kitakinder geht es aber schon ab dem 22. Juni los.

Nun schaut man gespannt auf Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland mit rund 600.000 Grundschülern. „Die meisten Kinder freuen sich. Es ist wichtig, das Schuljahr zumindest halbwegs im Regelbetrieb abzuschließen“, sagt Martina Arntjen, Leiterin der Schule in Meerbusch. „Es wäre sonst sehr belastend, mit so einer Unsicherheit in die Ferien zu gehen. Es ist gut für die Kinder und auch psychologisch gesehen der richtige Zeitpunkt.“

Trotz ausgefeilter Organisation gab es in den letzten Wochen mitunter großes Durcheinander bei dem - aus Düsseldorf vorgegebenen - tageweise rollierenden System mit aufgeteilten Kleingruppen. Im Wochenschnitt kam man in der Eichendorff-Grundschule auf fünf bis sechs Stunden Präsenzunterricht pro Kind. In der Schule mit 232 Kindern und neun Klassen sind die Bedingungen günstig.

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Im Gebäude ist viel Platz, es gibt vier separate Eingänge und einen großen Schulhof. Alle 14 Lehrer sind an Bord. Landesweit stehen nach jüngster Erhebung des Ministeriums durchschnittlich etwa 80 Prozent der Grundschullehrer für den Präsenzunterricht parat. „Unsere Schüler haben die Regeln alle toll verinnerlicht. Am Montag wird es deshalb schwer, denn jetzt kommt ja wieder ein neues Konzept“, schildert Konrektorin Nora Pricking, Klassenlehrerin der 1c.

Das Verfahren ab Montag erklärt sie so: „Jeweils zwei Klassen benutzen einen der vier Eingänge zum Schulgebäude, eine kommt um 8.00 Uhr und die andere um 8.15 Uhr.“ Auch Pause und Mittagessen werden zeitlich versetzt. „Im Flur sind Haltepunkte und Wege markiert und wir sind gespannt, ob das mit so vielen Kindern gleichzeitig klappt.“

In der Klasse dicht an dicht, außerhalb mit Abstand?

Etwas widersprüchlich aus ihrer Sicht: Außerhalb des Unterrichtsraums soll weiter möglichst Abstand gehalten werden, „aber im Klassenraum wird es mit 28, 29 Kindern wieder ganz schön kuschelig.“ Die Lerngruppen sollen laut Vorgabe strikt unter sich bleiben - im Gebäude, in den Pausen, auch bei der Ganztagsbetreuung nach dem Unterricht. Keine einfache Aufgabe für die Schulen.

In Meerbusch werden wieder mehr Tische und Stühle in die Klassen geschleppt. Elternbriefe mit Erläuterungen zum neuen Konzept sind rausgeschickt. Lehrerschaft und Elternschaft seien gespalten mit Blick auf den Regelbetrieb, beobachtet Schulleiterin Arntjen. „Manche sind ängstlich und machen sich große Sorgen wegen einer Ansteckung.“ Andere seien froh, dass es voll losgehe.

Berichte zu Schulschließungen und Homeschooling

Wobei längst nicht alle Schulen wieder nahezu den ganzen Stundenplan anbieten können, so wie in Meerbusch. In den noch zwei Wochen bis zu den Sommerferien werde es auf eine „abgespeckte Vollbetrieb-Variante“ hinauslaufen, glaubt Anke Staar von der Landeselternkonferenz. Als realistisch könne man täglich zwei, drei Unterrichtsstunden annehmen. Unter Eltern herrsche große Unsicherheit, wie ihr Kind anschließend betreut werde. Denn die Räumlichkeiten für den Ganztag reichten vielerorts bei weitem nicht aus.

Manche Schüler haben Defizite entwickelt. Sitzenbleiben gibt es in NRW in diesem Schuljahr nicht. Aber ein freiwilliges Wiederholen hält Arntjen für ratsam für einige Jungen und Mädchen. Schulpsychologen befürchten, dass die Schere zwischen leistungsstarken und -schwachen Schülern deutlich auseinandergegangen ist. Es drohten „fundamentale Auswirklungen“ auf den Bildungsweg.

Und was sagen die Kinder? Léna, die meistens Mundschutz trägt so wie das Klassenstofftier Niko, hat ein bisschen Angst: „Vielleicht haben die anderen Kinder ja Coronavirus.“ Der siebenjährige Léonas ist aufgeregt. „Endlich kann ich alle meine Freunde wiedersehen. Ich finde es schön, dass wir nicht mehr so Abstand halten müssen. Abstand halten ist doof.“ (Yuriko Wahl-Immel/dpa; Tsp)

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