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Zucht-Frucht. Seit Jahrtausenden baut der Mensch Orangen und andere Zitrusfrüchte an - und verändert dabei ihr Erbgut.

© Fethi Belaid/AFP

Züchtungsforschung: Gesucht: Die Super-Clementine

Frühreif, salztolerant, resistent – in Valencia entwickeln Genforscher neuartige Orangen- und Mandarinensorten.

Orangen und Mandarinen, teilweise halbiert, teilweise ganz. Daneben Messbecher, ein Sieb und eine Saftpresse. Mit diesen Utensilien überprüft Isabel Sanchez die neu gezüchteten Sorten. Zunächst wiegt die Mitarbeiterin im Labor des Zentrums für Genomforschung, eine Abteilung des Agrarforschungsinstituts in Valencia, die Früchte und misst den Durchmesser. Dann schneidet sie das Obst auf und presst den Saft aus, um den Zucker- und Säuregehalt zu ermitteln.

Gesteuerte Reife

Der Markt um die Zitrusfrüchte ist hart umkämpft. Orangenproduzenten aus Spanien und Italien befinden sich in einem Wettbewerb mit Konkurrenten aus Ländern, in denen die Lohnkosten viel niedriger sind, wie zum Beispiel in Marokko und in der Türkei. Außerdem drücken Großhandel und Supermarktketten die Preise. Die Bauern leiden darunter. Die Entwicklung von „Super-Früchten“ soll helfen.

„Seit Jahren suchen die Landwirte nach Methoden, mit denen es gelingt, die Reifung zu verzögern“, sagt Manuel Talón, Leiter des Genomzentrums. „Denn für Zitrusfrüchte, die außerhalb der eigentlichen Erntezeit auf dem Markt sind, erzielt der Landwirt höhere Gewinne.“ Der Wissenschaftler stammt aus der Region Valencia, bisher Europas größtes Anbaugebiet für Orangen und Mandarinen. „Spätestens seit dem Ende meines Studiums steht fest, dass ich dazu beitragen will, dass die Wirtschaft der Region floriert“, sagt er.

Der Versuchsacker des Forschungsinstituts liegt direkt an der Autobahn. Auf dem Feld, das so groß ist wie ein Fußballplatz, wachsen dreihundert Bäume.

Züchtung mit Bestrahlung

Pro Baum haben der Wissenschaftler und sein Team mitunter zehn verschiedene Varietäten aufgepfropft. Eine feine Naht zwischen den Zweigen ist oft noch sichtbar. Im November sind fast alle Früchte, die hier wachsen, orange. Nur an wenigen Bäumen hängen noch grüne Clementinen. Sie sind das Ergebnis einer neuen Züchtung – für Manuel Talón bedeutete sie einen Durchbruch: „Als sich uns dieses Bild zum ersten Mal bot, haben wir uns riesig gefreut.“ Die Wissenschaftler nahmen an, dass es geglückt war, eine neue Sorte zu züchten, die später reift als alle handelsüblichen Clementinen der Region. Die Forscher unterzogen die Superfrucht noch einigen Tests, aus denen hervorging, dass die Frucht auf dem Markt bestehen kann: Die Laborwerte ergaben, dass Säure und Zucker in einem idealen Verhältnis vorliegen, dass sich die Frucht leicht schälen lässt und kaum Kerne enthält.

Einige Gärtnereien verkaufen die Pflanze bereits. Genau wie die Sorte Nero, auch sie ist ein Produkt des Agrarforschungsinstituts. Nero können die Bauern besonders früh, schon ab Mitte Oktober ernten.

Ihren Erfolg verdanken die Wissenschaftler aus Valencia einer Reihe von Mutationsexperimenten. Die Biologen ließen Tausende Kerne der Clementine Nules energiereicher Strahlung aussetzen. Die Strahlung beschleunigt die Veränderungen im Erbgut. Genmutationen, die sonst nur selten vorkommen, finden dadurch viel häufiger statt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Strahlung in einigen Fällen die Erbanlage trifft, die die Reifezeit steuert, wird erhöht.

Teuer, zeitaufwändig und platzgreifend

Um die gewünschte Pflanze zu finden, musste das Team alle mutierten Kerne auswachsen lassen und warten, bis die Früchte reifen. „Diese Methode ist sehr teuer“, sagt Talón, „sie nimmt viel Zeit und Platz in Anspruch.“

Die Erbgutanalyse soll die Selektion neuer Arten nun erheblich vereinfachen. Das ist möglich, seit man die Funktion der einzelnen Gene im Erbgut besser versteht. „Uns interessieren vor allem solche Gene, die die Eigenschaften der Zitrusfrüchte kontrollieren und für den Ackerbau entscheidend sind, etwa für die Zeit der Reife oder den Zucker- und Säuregehalt“, sagt Talón. Ist bekannt, welche Genomsequenzen diese Merkmale beeinflussen, können die Wissenschaftler die gewünschten Pflanzen schon dann auswählen, wenn sie noch ganz klein sind. Dazu nehmen sie Erbgutproben und überprüfen, ob die Gene, die das Reifen der Früchte oder den Zucker- und Säuregrad beeinflussen, durch die Bestrahlung verändert wurden. Dadurch müssen nur die wenigen Keime ausgepflanzt werden, deren Erbgut eventuell vorteilhafte Genmutationen trägt.

Die Gene bestimmen, wann die Orange fällt

Erste Erfolge haben die spanischen Forscher mit dieser Methode bereits erzielt. Im Agrarforschungsinstitut in Valencia ist der Biologe Javier Terol für die Informatik zuständig. Sein Computerbildschirm zeigt eine grafische Darstellung des Genoms einer Mandarinensorte, eine lange Abfolge der vier Erbgutbausteine Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin (A, G, C, T). Je nachdem, wie diese Bausteine in der DNS eines Gens angeordnet sind, wird eine Frucht früher oder später reif oder schmeckt süßer oder saurer. „Über einige Genomabschnitte wissen wir schon sehr viel“, sagt der Biologe. Er hat die Genmutationen, die für die Orangensorten Neufina und Nero typisch sind, mit denen der Clementinensorte Nules, aus der sie hervorgegangen sind, verglichen. Dabei hat er festgestellt, dass einige DNS-Sequenzen völlig verschwunden sind. „Diese Abschnitte kontrollieren die Reifezeit“, sagt der Biologe. „Fehlen sie, reifen die Früchte früher beziehungsweise später.“

In Zusammenarbeit mit den Teams anderer Institute ist es den spanischen Forschern außerdem geglückt, jene Gene zu finden, die kontrollieren, wann Orangen oder Mandarinen vom Baum fallen. Eine sehr wichtige Eigenschaft für den Landwirt, denn sie entscheidet über die Produktivität der Sorte. Je später die Früchte fallen, umso mehr können ohne Verlust geerntet werden.

Neben solchen, schon immer wichtigen Eigenschaften, macht der Klimawandel neue Anpassungen der Zitrusfrüchte nötig. So wird zum Beispiel in Küstenregionen wie im spanischen Valencia der Boden durch den Anstieg des Meeresspiegels salzhaltiger, doch viele handelsübliche Sorten vertragen keine erhöhten Salzwerte. „Deshalb müssen wir die Biodiversität bewahren“, sagt Talón. „Je umfangreicher der Gen-Pool ist, aus dem wir bei der Züchtung schöpfen können, desto größer ist die Chance, dass wir Sorten züchten können, die an die Wünsche der Verbraucher und Produzenten sowie an sich wandelnde Umweltbedingungen am besten angepasst sind.”

Vielfalt eingebüßt

Doch die Gattung der Zitrusfrüchte hat weltweit an Vielfalt eingebüßt. „Seit 3000 Jahren selektiert der Mensch das Obst“, sagt Talón, „deshalb ähneln sich die Orangen, Mandarinen, Pampelmusen und Zitronen sehr, die heute in Spanien, Afrika, China, den USA oder Südamerika wachsen.“ Obendrein sind die Pflanzen degeneriert: Überall auf der Erde vertrauen die Zitrus-Bauern auf zusätzlichen Pflanzenschutz, ob nun biologisch oder chemisch. „Dadurch haben die Pflanzen im Laufe der Jahrzehnte die Gene verloren, die sie gegen bestimmte Krankheiten widerstandsfähig machen”, sagt der Biologe. Die Zitrusfrüchte sind gewissermaßen verwöhnt, weil der Pflanzenschutz ihnen die Arbeit abnimmt, gegen Krankheitserreger selbst aktiv zu werden. „Für Gene, die nichts nutzen, wenden die Bäume keine Energie auf“, sagt Talón. Es dauert nur wenige Generationen, bis diese Pflanzen nicht mehr benötigte Gene aus dem Erbgut aussortieren.

Die Mandarinensorte „Kleopatra“ hat diese Widerstandsgene womöglich noch. Sie steht auf einem „Feld der uralten Arten“, der Keimdatenbank des Forschungsinstituts. Allerdings verzieht Toni Preto, auf den Forschungsfeldern für die Pflege der Bäume zuständig, erkennbar das Gesicht, wenn er eine Kleopatra-Mandarine pflückt und isst. Zwar ist sie im Grunde ungenießbar und ohne kommerziellen Nutzen, doch sie gehört zu jenen alten Sorten, die wertvolles Genmaterial für zukünftig wichtige Eigenschaften trägt. Sie zu bewahren ist eine Rückversicherung dafür, dass die Geschichte der Zitrusfrüchte und ihres Anbaus auch in den kommenden Jahrzehnten weitergeht.

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