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Auf ihrer jährlichen Wanderung durch das Serengeti-Ökosystem in Tansania und Kenia übertreten die Herden von Gnus regelmäßig Schutzgebiets- und Landesgrenzen.

© TSP/Patrick Eickemeier

Zu eng kalkuliert: Schutz von Biodiversität braucht mehr Platz

Schutzgebiete sind zu klein und oft zu isoliert, um ihre Artenvielfalt erhalten zu können. Verbindende Korridore sollen helfen. Die Tiere sind bereit.

Es ist eine harte Grenze, aber sichtbar ist sie nicht. Wo der Serengeti-Nationalpark in Tansania an das Land der Menschen grenzt, die dort leben, verläuft kein Zaun. Übertritte in beiden Richtungen erfolgen regelmäßig. Das ist nicht nur in Afrikas wohl bekanntestem Nationalpark so, sondern fast überall, wo Schutzgebiete an bewohntes und bewirtschaftetes Land stoßen.

In drei aktuellen Studien haben sich Forschende mit der Frage befasst, ob existierende Schutzgebiete weltweit ihrem Namen gerecht werden und die dort vorkommenden Arten wirklich schützen und ihr Überleben sichern können. Ihre Ergebnisse sind eindeutig: Gelingt es nicht, ökologisch intakte Gebiete nicht nur zu bewahren, sondern zu vergrößern und mit anderen zu verbinden, werden viele Tierarten aussterben.

Die Artenvielfalt in heutigen Schutzgebieten stammt aus Zeiten, in denen die Lebensräume größer waren. Heute grasen Wildtiere teils neben Rindern auf Weiden, sie plündern gelegentlich Felder oder töten Haustiere. Hirten treiben ihr Vieh zum Grasen in Schutzgebiete, wo es Wildtiere mit Haustierkrankheiten anstecken kann, und Wilderei ist ein weit verbreitetes Problem. Für die Menschen geht es um den Kampf gegen Armut, für die Wildtiere geht es ums Überleben.

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Vom Aussterben bedrohte und bislang ungefährdete Tierarten in Bedrängnis

Rund die Hälfte der Landsäugetiere der Welt (44 bis 65 Prozent) könnte aussterben, weil die heute bestehenden Schutzgebiete nicht ausreichen, berichten David Williams von der britischen Universität Leeds und Kollegen im Fachmagazin „PNAS“. Die Forscher gehen davon aus, dass umliegende ungeschützte Gebiete aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Nutzung durch Menschen im Laufe dieses Jahrhunderts ökologisch weiter beeinträchtigt werden. Das Überleben vieler Landwirbeltiere hänge also von Schutzgebieten ab.

Die Analyse von Daten von rund 4000 Tierarten zeige jedoch, dass die Schutzgebiete für die meisten der bereits vom Aussterben bedrohten Arten, aber auch ein Drittel der Arten, die derzeit gar nicht als bedroht eingestuft werden, nicht ausreichen. Von Hunderten Arten gebe es keine langfristig überlebensfähigen Populationen innerhalb gesicherter Grenzen. Vor allem große Säugetiere, endemische Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet und Tiere in artenreichen Tropenregionen seien bedroht, berichten Williams und Kollegen.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das globale Netz der Schutzgebiete stark erweitert werden muss, vor allem um Schutzgebiete in unterschiedlichen Regionen, wo auch Arten vorkommen, die derzeit nicht geschützt sind“, schreiben die Wissenschaftler. Zudem müsste jedes Gebiet groß genug sein, um sicherzustellen, dass die geschützten Arten dort langfristig überleben können.

Aichi-Ziel für 2020 wurde bislang nicht erreicht

Ein Forschungsteam um James Allan von der niederländischen Universität Amsterdam hat abgeschätzt, welche Fläche mindestens erforderlich ist, um wichtige Biodiversitätsgebiete, ökologisch intakte Gebiete und optimale Verbreitungsgebiete mit vielen Arten und Ökosystemtypen zu sichern. Wie das Team jetzt im Fachmagazin „Science“ berichtete, müssten dazu rund 64 Millionen Quadratkilometer Land unter Schutz gestellt werden – das sind 44 Prozent der Landfläche der Erde.

Dabei muss der Mensch nicht immer ausgesperrt werden. Maßnahmen könnten vielmehr von Nutzungseinschränkungen bis zu strengem Schutz reichen. Mehr als zwei Drittel dieser Fläche seien bislang unbeansprucht. Auf dem übrigen Drittel leben derzeit mehr als 1,8 Milliarden Menschen. „Maßnahmen zur Förderung von Autonomie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und nachhaltiger Bewirtschaftung zum Schutz der biologischen Vielfalt sind unerlässlich“, schreiben die Autoren.

Die Modellierung der künftigen Landnutzung zeigt, dass 1,3 Millionen Quadratkilometer noch in diesem Jahrzehnt von Menschen umgestaltet werden dürften, „was sofortige Aufmerksamkeit erfordere“. In optimistischen Szenarien ist die beanspruchte Fläche jedoch deutlich geringer, was zeige, dass diese Krise abgewendet werden könnte. Die Autoren schlagen „geeignete Zielvorgaben“ im globalen Biodiversitätsschutz vor. Die in der Studie ausgewiesenen Flächen zu erhalten, würde wesentlich zum Schutz der biologischen Vielfalt beitragen.

Ein Grizzlybär ist auf einer Holffällerstraße in den South Chilcotin Mountains in British Columbia in Kanada in eine Kamerafalle getappt.
Ein Grizzlybär ist auf einer Holffällerstraße in den South Chilcotin Mountains in British Columbia in Kanada in eine Kamerafalle getappt.

© Robin Naidoo

Im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt war das nach dem japanischen Konferenzort benannte „Aichi“-Ziel 11 formuliert worden. Demnach sollten bis 2020 mindestens 17 Prozent der Landfläche der Erde geschützt werden. Dieses Ziel wurde nicht erreicht, es wird zudem von Forschenden ohnehin als unzureichend angesehen.

„Naturschutz bedeutet, auf ausreichend großen Arealen natürliche Prozesse zuzulassen“, sagte Valerie Köcke von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt dem Tagesspiegel. Durch die globale Erwärmung würden viele Arten künftig nicht mehr in ihrem aktuellen Verbreitungsgebiet überleben können. „Das Risiko weiterer Aussterbeereignisse minimieren wir, wenn wir zulassen, dass Arten ihre Verbreitungsgebiete verlagern können“, erklärt Köcke. Schutzgebiete müssten ausreichend Platz für solche Prozesse bieten, oder er müsste durch Korridore zwischen Schutzgebieten geschaffen werden.

Funktionale Verknüpfungen und Unterstützung für die Menschen

Ein Team um Angela Brennan von der University of British Columbia in Kanada hat die Vernetzung der derzeitigen Schutzgebiete weltweit untersucht, indem es die Bewegungen von mittelgroßen bis großen Säugetieren modellierte. Die Wissenschaftler identifizierten Landflächen, die bestehende Schutzgebiete verbinden könnten, insbesondere in Osteuropa und Zentralafrika.

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Die wichtigsten Verbindungswege seien durch menschliche Eingriffe bedroht. Für die funktionale Verknüpfung der Schutzgebiete müssten neue, zusätzliche eingerichtet werden, vor allem aber müsste die Nutzung der Korridore durch Menschen verträglich gestaltet werden. Beide Strategien zusammen könnten den Nutzen maximieren, schreiben die Forschenden im Fachmagazin „Science“.

„Dies ist jedoch nur möglich, wenn es keine ‚hard edges‘ gibt“, sagt Köcke. Das sind Grenzen von Schutzgebieten zu stark besiedelter und vom Menschen genutzter Landschaft. Hier kommt es zu Mensch-Wildtier-Konflikten, wenn sie miteinander um Raum und biologische Ressourcen konkurrieren. „Wenn Schutzgebiete nicht von Pufferzonen mit reduzierter Landnutzung umgeben sein können, dann ist eine intensive Zusammenarbeit des Naturschutzes mit den lokalen Gemeinden erforderlich“, so Köcke. Dazu gehöre auch sie dabei zu unterstützen, nachhaltige Einkommensquellen zu erschließen.

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