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Daddeln statt Pille. Verhaltenstherapie und Medikamente, die Standardtherapien für ADHS-Patienten, werden Computerspiele wie „EndeavorRX“ wohl nicht ersetzen können. Aber bei Kindern wirkt das Spiel- und Lernprogramm offenbar, einer Studie zufolge.

©  Akili

Zocken gegen’s Zappeln: Ein neues Computerspiel soll gegen ADHS helfen

Ein Computerspiel hat sich in einer Studie bewährt als Mittel gegen ADHS. Pille und Verhaltenstherapie wird das aber nicht ersetzen.

Viele Eltern werden sich bei dieser Nachricht die Augen reiben: Die US-amerikanische FDA hat gerade ganz offiziell ein Computerspiel zur Behandlung zugelassen, ausgerechnet gegen das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom ADHS.

Und das in einer Zeit, in der Kinder notgedrungen viel zu Hause „abhängen“ und es für Erziehungsberechtigte besonders schwer ist, den Gebrauch elektronischer Medien zu begrenzen. Einer Zeit, in der sogar der Schulunterricht teilweise online stattfinden muss.

Wird nun auch noch die Therapie auf den Bildschirm verlegt?

348 Kinder: Daddeln für die Forschung

Fakt ist, dass die videospielartige Anwendung mit der unspektakulären Bezeichnung AKL-T01 (Handelsname EndeavorRX) in einer Studie als Therapie getestet wurde und dass die Ergebnisse vor Kurzem im Fachblatt „The Lancet Digital Health“ veröffentlicht wurde.

STARS-ADHD-Studie (für: „Software Treatment for Actively Reducing Severity of ADHD“) hatten an 20 Zentren in den USA 348 Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren teilgenommen. Voraussetzung zur Teilnahme an der Untersuchung, die vom Duke University Medical Center geleitet wurde, war neben der Diagnose ADHS, dass die Heranwachsenden keine Medikamente nahmen oder sie vor Beginn der Studie absetzten, und dass bei ihnen keine weiteren psychiatrischen Diagnosen gestellt worden waren.

Das ist bei der Mehrheit der Kinder der Fall, die unter ADHS leiden: Sie zeigen zugleich Störungen des Sozialverhaltens, leiden unter Entwicklungsstörungen oder auch Depressionen. Mit rund fünf Prozent betroffenen Kindern und Jugendlichen ist ADHS weltweit eine der wichtigsten psychiatrischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.

Fünf Mal die Woche 25 Minuten spielen

Die 348 Kinder aus zwanzig Behandlungszentren bekamen den Auftrag, in den folgenden vier Wochen jeweils an fünf Tagen 25 Minuten lang an einem Tablet mit der dort aufgespielten App zu spielen. Bei einer Gruppe enthielt die App Elemente, die gezielt die Aufmerksamkeit, die Fähigkeit zum Bewältigen mehrerer Anforderungen gleichzeitig und zur Impulskontrolle trainieren soll.

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Zusätzlich zu einer Aufgabe, in der es um Wahrnehmen und Entscheiden geht, muss dabei eine Navigationsaufgabe bewältigt werden, die motorisches Geschick erfordert. Wenn die Spieler diese doppelte Anforderung gut bewältigen, winken Belohnungen und eine individuelle Anpassung des Schwierigkeitsgrades des Spiels.

In der Kontrollgruppe spielten die Kinder mit einer App, die nicht derart raffiniert entworfen war. Die Familien lebten jedoch in dem Glauben, dass alle Kinder aus therapeutischen Gründen spielten.

Vor und nach der vierwöchigen Behandlungsphase wurden die Kinder nach dem digitalen Assessment-Programm TOVA („Tests Of Variables of Attention“) beurteilt, der verschiedene Elemente der Aufmerksamkeit berücksichtigt. Tatsächlich schnitten die Studienteilnehmer, die vier Wochen lang mit der gezielt designten App trainiert hatten, hinterher bei den Tests deutlich besser ab.

Trainingsplan allein sorgt wohl schon für positiven Effekt

Allerdings ergaben Befragungen, dass auch die Eltern und die Kinder der Kontrollgruppe, die vier Wochen lang mit der „falschen“ App trainiert hatte, hinterher das Gefühl hatten, die Aufmerksamkeit habe sich dadurch verbessert. Die Kinder-und Jugendpsychiater, die die Studie leiteten, halten es für sehr wahrscheinlich, dass allein das disziplinierte Einhalten des täglichen Trainingsplans den Kindern schon zu mehr Struktur verholfen hat – unabhängig vom intelligenten Design der therapeutischen App.

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Sie gestehen zudem zu, dass eigentlich auch Untersuchungen der Hirnfunktion wichtig wären, etwa per EEG. Ein Monat sei zudem ein zu kurzer Zeitraum für eine solche Therapie, weitere Beobachtungen über längere Zeiträume seien deshalb wichtig.

Noch ist das Spiel nicht erhältlich, schon gar nicht in Europa, wo es bislang nicht zugelassen ist als Therapie.
Noch ist das Spiel nicht erhältlich, schon gar nicht in Europa, wo es bislang nicht zugelassen ist als Therapie.

© Akili

Die zwei wichtigen Pfeiler der Therapie von ADHS, Verhaltenstherapie und Medikamente, sind sicher auf absehbare Zeit nicht durch ein Training auf dem Tablet zu ersetzen. Immerhin klagten die jungen Patienten, die das digitale Heilmittel testeten, kaum über unangenehme Begleiterscheinungen der Behandlung, wie sie bei Arzneimitteln vorkommen.

Nicht das erste digitale ADHS-Training

Zwar gibt es schon eine ganze Reihe von Studien zum digitalen Training für Kinder mit ADHS. Doch in den wenigsten wurde das zu testende Programm gegen ein „Schein-Programm“ getestet, und in kaum einer wurden die Gruppen nach dem Zufallsprinzip zusammengewürfelt. Dass AKL-T01 sich nun in einer randomisierten Untersuchung bewährt hat, kann also als Fortschritt gelten.

Grundsätzlich wird man nicht umhin kommen, digitale Therapieangebote zu machen“, urteilt Hans Willner, Chefarzt der Klinik für seelische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter des St. Joseph-Krankenhauses in Berlin-Tempelhof.

Die Lebenswelt junger Menschen sei so selbstverständlich davon unterlegt, dass die darin liegenden Chancen auch in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Arbeit wahrgenommen und aufgegriffen werden müssten. „Apps könnten insbesondere die Selbstwirksamkeit fördern, sie sind jederzeit aufrufbar, Belohnungsfeatures können eingearbeitet werden.“ Die größte Herausforderung sieht Willner darin, das Erlernte und Geübte in den Alltag zu übertragen.

Diese Schwierigkeit bestehe allerdings auch bei den Psychotherapien, für die sich Behandler und Patienten persönlich treffen. „Und es könnte sogar sein, dass die Übungseffekte besser sein werden, wegen der häufigeren Übungsmöglichkeit und weil das digitale Medium für die Kinder einen höheren Reiz hat“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater. Allerdings müsse sichergestellt sein, dass die Familien dazu kontinuierlich angeleitet und die Ergebnisse anschließend ausgewertet werden.

Das digitale Therapeutikum hat eine klare Zielsetzung, es soll für mehr Aufmerksamkeit und Fokussierung der Kinder sorgen, die das nach Einschätzung ihrer Behandler besonders brauchen. Es stellt aber kein Mittel gegen die andere Komponente der Krankheit dar, die starke körperliche Unruhe und motorische Aktivität.

Empfehlungen zur Begrenzung der Bildschirmzeit geraten durch die neue Therapieoption nicht ins Wanken: Nach 25 Minuten Stillsitzen am iPad muss der Bewegungsdrang zu seinem Recht kommen.

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