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Verkohlte Schätze. Ein Brand vernichtete in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar bedeutende Bestände. Als Reaktion schuf die Bundesregierung eine zentrale Stelle, die Maßnahmen zur Konservierung bedrohter Bücher entwickeln und koordinieren soll.

© picture-alliance / dpa/dpaweb

Zerstörte Kulturgüter: Bücher in der Rettungsstelle

Brände, Überschwemmungen und alltägliche Katastrophen: Wie Archive um wertvolles Kulturgut ringen - etwa nach dem Brand in der Anna-Amalia Bibliothek oder nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs.

Beim Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar vor neun Jahren sind 50 000 Bücher verloren gegangen. Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs vor vier Jahren war so zerstörerisch, dass geschätzt 200 ausgebildete Restauratoren 30 bis 50 Jahre mit der Schadenbeseitigung beschäftigt sein werden. Und doch sagt Ursula Hartwieg: „Die Katastrophen haben uns schon geholfen.“ Hartwieg leitet die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK), die 2011, als Konsequenz aus den Unglücksfällen auf Initiative von Kulturstaatsminister Bernd Neumann gegründet wurde. Angesiedelt wurde sie bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, genauer bei der Berliner Staatsbibliothek. Die KEK soll klären, wie schriftliches Kulturgut auf Papier in Zukunft besser geschützt werden kann. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung und Verbreitung neuartiger Konservierungsmaßnahmen.

Vorbeugen will man nicht nur für große Unglücksfälle wie Brände und Überschwemmungen. Denn die Katastrophe ist Alltag in Bibliotheken und Archiven. 80 Millionen Druckschriften in deutschen Bibliotheken weisen Schäden auf. „Uns läuft die Zeit davon“, sagt Hartwieg. Organische Materialien wie Papier altern ganz natürlich. Es gibt aber auch chemische Reaktionen. So zersetzt Eisen-Gallus-Tinte, die bis ins 19. Jahrhundert verwendet wurde, das Papier. Unsachgemäße Lagerung in feuchten Räumen lässt Schimmel sprießen. Die größte Herausforderung sind jedoch nicht die ältesten Objekte, sondern all die, die seit den 1850er Jahren produziert wurden: In der Industrialisierung musste Papier billiger und in Massen hergestellt werden. Man mischte säurehaltige Substanzen bei, die heute bei Licht und Wärme den Holzstoff zersetzen. Hartwieg hat eine bittere Prognose: „Man kann den Zerfall durch Entsäuerung bremsen, ausschalten aber nie.“ Die KEK vermittelt Kontakte zwischen Archivaren, Bibliothekaren und Konservatoren, vernetzt Museen und unterstützt Restaurierungsmaßnahmen.

Seit ihrer Gründung hat die Koordinierungsstelle bundesweit mehr als hundert Projekte zur Bestanderhaltung in Gang gesetzt, darunter auch im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin. Dort lagern im Depot 46 Sektionsprotokollbände des Berliner Pathologen Rudolf Virchow aus der Zeit von 1856 bis 1902. Der Arzt ließ alle in der Charité verstorbenen Kranken obduzieren, 700 bis 1400 Patienten im Jahr. Die Sektionen prägten Virchows heute noch gültiges Menschenbild mit der Körperzelle als kleinster Einheit. Fein säuberlich hatten der Mediziner und seine Assistenten die Eingriffe auf einzelnen Bögen dokumentiert, später wurden sie dann zusammengebunden. Sieben Regalfächer füllen die gewichtigen Bände, ein wertvoller Fundus für die Medizinhistoriker. Doch Trockenheit und Tintenfraß setzen den Protokollen zu, viele Seiten sind zusammengeklebt, die Buchrücken aus Leder sind stark zerfallen.

Bald wird es unmöglich sein, mit den Bänden zu arbeiten, weil jede Berührung, jedes Aufblättern schädlich ist. „Wenn unser schriftliches Kulturgut der Nutzung entzogen wird, bringt uns das auch wissenschaftlich in den Rückstand“, sagt Hartwieg. Das Charité-Museum hatte schon einmal einen Rettungsversuch unternommen und in Fachpublikationen für Pathologen um Patenschaften geworben. „Da ist kaum Geld zusammengekommen“, sagt Petra Lennig, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung. Mit der Förderung durch die KEK wurde zunächst ein stark angegriffener Band von 1876 restauriert. Im aufwendigen Papierspaltverfahren wird jeweils eine Seite zwischen zwei mit Gelatine beschichtete Trägerpapiere gelegt und gepresst. Zieht man sie wieder auseinander, spaltet sich das Originalblatt in zwei Hälften. Dazwischen wird nun ein hauchdünnes Japanpapier eingeklebt und das Ganze wieder zusammengefügt. Der Charakter des Originals bleibt erhalten – und gleichzeitig ist das Papier entsäuert. 8000 Euro hat die Restaurierung allein dieses einen Sektionsprotokollbands gekostet. Mit diesem Vorzeigeobjekt will das Museum nun um Sponsoren für umfassendere Maßnahmen werben.

An der Berlinischen Galerie soll das Adressbuch der Dadaistin Hannah Höch gerettet werden. Die Künstlerin hatte es 60 Jahre lang eher wie einen Zettelkasten geführt. Wegen des Netzwerks, das daraus rekonstruiert werden kann, und wegen der teils künstlerisch gestalteten Einträge ist das Adressbuch ein Schatz. Ein überaus fragiler allerdings, der nun für die Kunstgeschichte geborgen werden kann. Die KEK-Förderung ermöglicht auch andere solcher Projekte: Kürzlich hat die Hamburger Kunsthalle mithilfe des Programms und privater Stifter die kunst- und kulturgeschichtlich interessante Korrespondenz ihres 1886 angetretenen ersten Direktors Alfred Lichtwark mit seinem Nachfolger Gustav Pauli aufarbeiten können.

Für diese Rettungsaktionen verfügt die Koordinierungsstelle über nicht gerade üppige 600 000 Euro im Jahr, die Bund und die Kulturstiftung der Länder zur Verfügung stellen. Deshalb müsse genau abgeschätzt werden, welcher Fall akut ist, und aus welchem sich modellhaft Erfahrungen ziehen lassen, von denen bundesweit Archivare, Bibliothekare und Konservatoren profitieren können, sagt KEK-Chefin Hartwieg.

Eines der Hauptziele sei es, am Ende der Projektlaufzeit bis 2014 einen nationalen Leitfaden zu erstellen. Darin soll es auch um ganz Praktisches gehen: Wie etwa fasst man einen Band an, wenn man ihn aus dem Schrank ziehen möchte? Nicht alle Sammlungen sind Flaggschiffe deutschen Kulturguts und nicht alle Mitarbeiter haben ausreichend Ahnung vom fachgerechten Umgang und Lagerung. „In manch kleinem Heimatarchiv arbeiten vielleicht zwei ehrenamtliche Halbtagskräfte“, berichtet Hartwieg. Die müssten geschult werden, auch das würde kleinen Katastrophen vorbeugen.

Viele Bibliotheken und Archive verfügen über keinen eigenen Etat für den Bestandserhalt. Wer jedoch von der KEK Unterstützung anfordert, muss garantieren, dass er sich in irgendeiner Weise ebenfalls an der Konservierung beteiligt oder weitere Fördergelder einwirbt. „Eigenleistung ist Bedingung“, sagt Hartwieg.

Das Medizinhistorische Museum hat sich entschlossen, die Digitalisierung der restaurierten Virchow’schen Sektionsprotokolle zu finanzieren. Auch das trägt dazu bei, die Bände für die Nachwelt zu erhalten. Digitalisierung sei aber kein Allheilmittel, sagt Hartwieg. Viele Bücher sind einfach schon zu kaputt, als dass man sie unbeschadet auseinanderklappen und auf den Scanner legen könnte. Und oft braucht man für die Forschung zwingend das Original, zum Beispiel wenn es um ein Wasserzeichen im Papier geht.

Erst das Zusammenspiel aus Papier, Handschrift, Typografie und Einband einer Notenhandschrift, einer Stadtgründungsurkunde oder eines Tagebuchs machen aus dem Schriftstück eine wirklich wertvolle Quelle.

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