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Der metergroße Spalt auf dem Gipfel des Hochvogels im Allgäu lässt in absehbarer Zukunft ein riesigen Felssturz befürchten.

© TU München, GFZ.

Zerfallende Alpengipfel: Die Melodie vom nahen Ende

Geoforscher haben den  Sound des Hochvogels im Allgäu hörbar gemacht, um vor einem nahenden Bergsturz warnen zu können.

Wie klingt ein Berg? Er brummt wohl am ehesten, und das meist in einem rhythmischen Auf und Ab. Vielleicht wie der Gesang eines Schamanen. Das tiefe Brummen liegt gerade unter der Hörschwelle, man könnte es eigentlich nur fühlen. Eher wie die Gleise, die vibrieren, bevor ein Zug durchrast, erklärt der Geoforscher Michael Dietze vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). Doch wirklich spüren kann man das auch nicht, weil es nicht intensiv genug ist. "Aber man kann es messen", sagte Dietze dem Tagesspiegel.

[Die Schwingungen des Hochvogel-Gipfels,  in den für Menschen wahrnehmbaren Bereich übertragen, sind hier anzuhören.]

Sägezahnartige Schwingungen

Um mehr über die Stabilität von Berggipfeln zu erfahren, hat Dietze mit seinem Team den Gipfel des Hochvogels im Allgäu belauscht. Und kam dabei zu dem Ergebnis, dass der 2592 Meter hohe Berg an der Grenze zu Österreich im Sommer 2018 mit einer wiederkehrenden sägezahnartigen Frequenz schwingt. "Wie eine Stimmgabel wird auch massiver Fels durch äußere Anregungen in Schwingung versetzt", erklärt Dietze.

Dafür sind vielerlei Quellen ursächlich, etwa Temperaturunterschiede, Wind und Erschütterungen der Erdkruste durch weit entfernte Erdbeben oder das Vorbeifahren eines Güterzuges, aber auch das überall auf der Erde gegenwärtige Signal der Ozeanwellen.

Dabei ist die Frequenz der Berge nicht immer gleich, sie hängt von Faktoren wie Temperatur, Materialbeanspruchung und dem Grad der Zerrüttung des Gesteins ab. "Ähnlich wie bei einer mehr oder weniger straff gespannten Geigensaite ändert sich auch die Tonlage des Berges je nach Spannung im Gestein", so Dietze.

Durch diese Veränderungen in der Resonanz der Berge würden "einzigartige Rückschlüsse" auf die Entwicklung eines bevorstehenden Bergsturzes möglich, so Dietze. Das ist auch eines der Ziele des Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse in einer Studie im Fachmagazin "Earth Surface Processes and Landforms" erschienen sind. Durch die Beobachtung der Tonlage soll eine rechtzeitige Warnung vor einem Bergsturz möglich werden. 

Wegen akuter Steinschlaggefahr gesperrt

Am Hochvogel sind zwar keine Siedlungen von abstürzenden Felsmassen direkt bedroht, doch der Aufstieg zum Gipfel ist bereits seit längerem wegen akuter Steinschlaggefahr gesperrt. Nichts ist ewig und so zerfallen auch Berggipfel langsam unter der Einwirkung von Umwelteinflüssen. Quer über den Gipfel klafft ein gefährlicher Riss, der stetig wächst.

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Gegenwärtig ist die Spalte fünf Meter breit und 30 Meter lang, jeden Monat öffnet sie sich um einen weiteren halben Zentimeter. Die südliche Seite des Kolosses ist instabil, in den vergangenen Jahren ist sie bereits um mehrere Meter abgerutscht. Irgendwann werden rund 260.000 Kubikmeter Stein und Geröll in das oberösterreichische Hornbachtal rauschen - was etwa dem Volumen von 260 Einfamilienhäusern entspricht.

Um zu einer Vorwarnung für ein solches Ereignis zu kommen, haben die Forschenden im Jahr 2018 ein Netzwerk von sechs Seismometern am Berg installiert. Ziel war es herauszufinden, wann und warum sich die instabile Felsmasse auf dem Gipfel des Hochvogels bewegt, um daraus zu schließen, wann es zu einem Felsrutsch kommen könnte. 


Bisher waren Beobachtung durch Fernerkundungsbilder oder punktuell eingesetzte Seismometer nicht ausreichend, um detailliert und kontinuierlich die Zerrüttungsprozesse von Bergen in einem größeren räumlichen Zusammenhang aufzuzeichnen. Die Geofone genannten Sensoren der Potsdamer Forscher hatten im Jahr 2018 in drei übers Jahr verteilten Monaten aufgezeichnet, mit welcher Frequenz der Hochvogel schwingt.

Im Sommer 2018 konnten sie dabei eine Grundfrequenz von rund 26 Hertz messen, die immer wieder in fünf bis sieben Tagen auf 29 Hertz anstieg, um dann in weniger als zwei Tagen auf den Ursprungswert wieder abzufallen. Der Anstieg der Frequenz ist mit einer steigenden Spannung im Gestein verbunden. Beim Absacken der Frequenz konnten die Geologen vermehrt die seismischen Signale von versagenden Felskontakten messen - was auf das Aufbrechen von Gesteinsrissen schließen lässt.

[Die seismischen Signale der versagenden Felskontakte haben die Forschenden ebenfalls in den hörbaren Bereich übertragen - hier sind sie nachzuhören]

"Dieser zyklische Auf- und Abbau von Spannung durch ruckartige Bewegung - auch ,stick slip motion' genannt - ist ein typischer Vorbote drohender Massenabbrüche", erklärt Dietze. "Entscheidend dabei: Je näher dieses Ereignis kommt, desto kürzer werden die beobachteten Zyklen, sie sind also ein wichtiger Gefahren-Indikator." Wenn die Intervalle zwischen der Bewegung des Berges und dem Verhakeln - also zwischen minimalem Rutschen und dem erneuten Festhalten- kürzer werden, wird es gefährlich. 

Einen drohenden Felssturz früh erkennen

"Wenn das Ereignis bevorsteht, beschleunigt sich das Sägezahnmuster immer rasanter", sagt Dietze. Die Intervalle zwischen den Frequenzbewegungen verkürzen sich von Tagen auf Stunden und schließlich von Minuten auf Sekunden, bis der finale Abriss einsetzt.  Mithilfe ihres seismischen Ansatzes konnten die Forschenden dieses zyklische Phänomen nun erstmals kontinuierlich und fast in Echtzeit erfassen und verarbeiten. „Mit einem fest installierten Messnetz kann so die Entwicklung hin zu einem Felssturz frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden“, erklärt Dietze.

Der Potsdamer Geologe arbeitet mit Kolleg*innen von der TU München zusammen, die in dem Projekt "AlpSenseBench" neben dem Hochvogel auch noch andere Alpengipfel mit diversen Sensoren versehen haben, um Veränderungen in der Felsstabilität zu erfassen. 

Bis zu einer belastbaren Serienanwendung des Verfahrens dürfte es noch dauern. "Aktuell haben wir sozusagen den ,Proof-of-Concept' erbracht, jetzt müssen die Ergebnisse an anderer Stelle wiederholt werden", so Dietze. Technisch sieht der Forscher hier aber keine großen Probleme. Und da sich die Steinschlagaktivität an den vielen Dreitausendern in den Alpen durch den zurückgehenden Permafrost verstärkt, sieht Dietze auch reichlich Einsatzgebiete.

Durch ihre Messkampagne kamen die Forschenden noch zu einer weiteren wichtigen Erkenntnis. Während das Auf und Ab in der Frequenz der Schwingungen in den ersten Monaten des Jahres 2018 nach der Schneeschmelze deutlich messbar war, kam es im Spätsommer des Dürrejahres ganz zum Erliegen.

Die Erklärung der Geologen: Offenbar ist Wasser ein wichtiges Schmiermittel für das Auf und Ab der Schwingungen von Alpengipfeln.

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