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Senioren und Seniorinnen in schwarzen Gymnastikanzügen üben in einem Ballettsaal Hebefiguren.

© Bernd Thissen/picture alliance/dpa

Zehn Regeln gegen Vergesslichkeit und Demenz: Gesellig sein und in Erinnerungen schwelgen

Wie das Gehirn fit bleibt: Der Hirnforscher John Medina stellt „Brain Rules fürs Älterwerden“ vor – und rät den Senioren überraschend auch zu Videospielen.

Bewegung, frische Luft, soziale Kontakte pflegen, viel trinken, neugierig bleiben – jede und jeder kennt Empfehlungen, wie man am besten altert beziehungsweise beim Altern möglichst lange jung bleibt. Die Wissenschaft sagt da im Wesentlichen dasselbe wie der gesunde Menschenverstand oder Herr Schmitz von nebenan. Oder hat sie mehr zu bieten als nur bessere Begründungen für das, was wir eh wissen?

Der amerikanische Hirnforscher und Entwicklungsbiologe John Medina hat eine Vielzahl von neurologischen und verhaltenspsychologischen Studien ausgewertet und entwickelt daraus, so der Titel seines Buches, „Brain Rules fürs Älterwerden“: Regeln, wie das Gehirn lange fit bleibt. Was ist gut und gesund für das wichtigste Organ des Menschen, in einer Lebensphase, in der es immer öfter im Rücken, in den Knien oder den Füßen zwickt?

Das Altern des Gehirns tut zwar nicht physisch weh. Aber auch die grauen Zellen wollen gepflegt, trainiert und sorgsam behandelt werden. Medina schreibt humorvoll und lebensnah und auch dann verständlich, wo es um Neuronen, Dendriten oder den Gyrus fusiformis geht. Zum Beispiel zu der nicht überraschenden These, dass soziale Kontakte wichtig sind.

Sie lässt sich durch Studien belegen: So ließen die kognitiven Fähigkeiten von Demenzkranken in Chicago, die viele soziale Kontakte hatten, deutlich langsamer nach als bei Demenzkranken ohne Beziehungen. Die positiven Auswirkungen von Geselligkeit sind physiologisch nachweisbar, schreibt Medina: „Je mehr soziale Beziehungen Sie pflegen und je unterschiedlicher diese Beziehungen sind, desto größer wird Ihre Amygdala.“ Die Amygdala, eine kleine mandelförmige Struktur im Bereich hinter den Ohren, ist an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt.

Soziale Fähigkeiten zu trainieren, schützt auch vor Betrügern

Mit dem Alter schwindet jedoch die Fähigkeit zu erkennen, was in anderen Menschen vorgeht. Es fällt schwerer, Gesichter wiederzuerkennen und in ihnen emotionale Informationen wahrzunehmen. Ältere Menschen werden daher – was man bei großer Lebenserfahrung eigentlich nicht erwarten sollte – leichtgläubiger. Sie werden schneller Opfer von Betrügern, ein Effekt von Veränderungen in der „Insula“, einem Teil der Großhirnrinde. Diese führen dazu, dass die Fähigkeit, Risiken zu bewerten und die Absichten des Gegenübers zu erkennen, nachlässt.

Auch soziale Fähigkeiten sollten also trainiert werden. Besonders der Austausch mit Menschen, die jünger sind und anders als man selbst, ist von Vorteil. Denn: „Allein der Versuch, den anderen zu verstehen, verwandelt Small Talk in Brain Food.“ Am besten hat man Freunde jeden Alters, Kinder eingeschlossen. Es gibt allerdings auch Kontakte mit negativer Wirkung: Medina rät ab von Beziehungen zu Menschen, die aggressiv sind oder versuchen, andere emotional zu kontrollieren oder zwanghaft zu übertreffen.

Das Buch enthält viele gute Nachrichten: etwa dass Menschen – sofern sie nicht durch Schmerzen oder langdauernde Einsamkeit depressiv werden – mit zunehmendem Alter kulturübergreifend zufriedener werden, emotional stabiler, freundlicher und gewissenhafter. Es gibt einen „Positivitätseffekt“, ältere Menschen wenden sich verstärkt zu positiven Informationen hin und blenden negative aus. Möglicherweise ist das evolutionär bedingt: Wer positiv eingestellt ist, verbessert seine Chancen, länger Teil der Gruppe zu sein, also zu überleben.

Ein Dankbarkeitstagebuch fördert das Glücksempfinden

Optimismus übt eine messbare Wirkung auf das Gehirn aus: Der Hippocampus, eine Schaltstelle, die bei der Einspeicherung neuer Gedächtnisinhalte eine entscheidende Rolle spielt, schrumpft bei Optimisten langsamer. „Senioren, die gut mit dem Altern klarkommen und für die das Glas immer noch halb voll ist, leben gesunde 7,5 Jahre länger als ihre negativen Altersgenossen“, schreibt Medina. Und gibt auch gleich Tipps, wie man die Fähigkeit zum Optimismus – physiologisch ausgedrückt: eine höhere Dopamin-Konzentration – stärken kann: Ein „Dankbarkeitstagebuch“ etwa, in das man einträgt, was man an Schönem erlebt hat, kann schon nach einer Woche positive Effekte auf das Glücksempfinden zeigen.

Ebenso zu empfehlen seien „Achtsamkeitsmeditationen“, die das alternde Gehirn vor stressbedingten Abbauerscheinungen schützen. „Bei achtsamen Senioren ist die weiße Substanz, die die Nervenzellen in den betreffenden Hirnarealen umgibt, dicker.“ Die Konzentration aufs Hier und Jetzt in den Achtsamkeitsübungen trägt zur Beruhigung bei und hilft dabei, fokussiert zu denken.

Tanzen Sie die Nacht durch!, lautet eine weitere von Medinas Empfehlungen. Dass insbesondere der Paartanz mit seiner Zuwendung zum Partner und seinen Anforderungen an die Körperkoordination verjüngend wirkt, ist bekannt – und wissenschaftlich nachweisbar. Überraschender dürfte auf manchen Senior die Empfehlung wirken, Videospiele zu spielen. Diese Spiele trainieren gleich drei Bereiche, die vom kognitiven Abbau im Alter betroffen sind: Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeitsfähigkeit und Entscheidungsfindung.

Musizieren, lesen - und anderen vorlesen

„Nicht nur mein Kurzzeitgedächtnis ist ausgesprochen schlecht, sondern auch mein Kurzzeitgedächtnis“: Mit diesem schönen anonymen Zitat gibt Medina das weitverbreitete Gefühl wieder, dass im Alter Informationen schwerer zu speichern sind und im Extremfall schon während der Dauer eines Satzes entfallen können. In der Tat lassen verschiedene Gedächtnisarten bereits ab dem 30. Lebensjahr nach. Nicht alle: Der Zugang zum Wortschatz etwa verbessert sich mit den Jahren.

Vom Abbau besonders betroffen ist allerdings das Arbeitsgedächtnis (Kurzzeitgedächtnis). Um die Gedächtnisleistung zu verbessern, empfiehlt Medina, Bücher zu lesen und zu musizieren. Musik sei „das effektivste kognitive Lifting“, im Vergleich mit anderen Aktivitäten wie Malen oder Computerkursen. Eine der wirksamsten Methoden, um das Gedächtnis fit zu halten, bestehe außerdem darin, das angesammelte Wissen anderen zu vermitteln. Wer also ehrenamtlich Grundschulkinder beim Lernen unterstützt, tut genau das Richtige – für sich und für sie.

[John Medina: Brain Rules fürs Älterwerden. Lebensfroh, vital und geistig fit bleiben. Hogrefe Verlag 2019. 301 Seiten, 29,95 Euro.]

Nicht jede Vergesslichkeit ist gleich ein Anzeichen von Demenz. Oft handelt es sich eher um „kognitiven Schluckauf“: Bei alten Menschen lässt die Fähigkeit nach, Ablenkungen zu ignorieren. Es kommt also häufiger vor, dass man auf dem Weg in den Keller vergisst, was man da eigentlich wollte – weil man durch irgendetwas abgelenkt wurde. Das ist nicht weiter schlimm. Sorgen muss sich allerdings machen, wer nicht mehr weiß, wie er in den Keller findet. Medina bringt allerhand weitere Beispiele, um die Unterschiede zwischen „normaler“ Altersabgelenktheit und Alzheimer zu illustrieren. „Dass ältere Menschen Dinge verlegen, ist nichts Ungewöhnliches. Wenn sie aber die Fernbedienung in die Mikrowelle stecken, ist das bedenklich.“

Eine interessante Erkenntnis der Wissenschaft lautet: Nostalgie ist gesund. Wer in Erinnerungen schwelgt, erhält sich seine geistige Leistungsfähigkeit eher. Musik, Lektüre, Fotos aus der Jugend, insbesondere aus der intensiven Zeit zwischen 20 und 30 Jahren, wirken belebend. „Das Zimmer der Erinnerungen ist ihr persönlicher Jungbrunnen.“

Und ja, Medina empfiehlt auch, was wir schon ahnten: Sport, frische Luft, gute Ernährung – „Olivenöl ist ein wahrer Gehirn-Booster“ –, genügend Schlaf. Sein vergnüglich zu lesendes Buch macht Mut. „Wenn Sie es richtig anstellen“, schreibt Medina, „kann das Alter zu den besten Jahren Ihres Lebens gehören.“

Bloß nicht zur Ruhe setzen - und neun weitere Regeln

Zusammengefasst hat Medina seine Erkenntnisse in seinen "Brain Rules", zehn Regeln für geistige Fitness im Alter.

1. Seien Sie anderen ein Freund und lassen Sie andere Ihre Freunde sein.

2. Pflegen Sie eine Haltung der Dankbarkeit.

3. Achtsamkeit beruhigt nicht nur, sondern verbessert auch Ihre Gehirnleistung.

4. Denken Sie daran: Es ist nie zu spät, um zu lernen – und anderen etwas beizubringen.

5. Trainieren Sie Ihr Gehirn mit Videospielen.

6. Prüfen Sie zehn Warnzeichen, bevor Sie sich fragen: Habe ich Alzheimer?

7. Achten Sie auf gesunde Ernährung und viel Bewegung.

8. Bewahren Sie einen klaren Kopf, indem Sie ausreichend (aber nicht zu viel) schlafen.

9. Sie können nicht ewig leben – zumindest noch nicht.

10. Setzen Sie sich bloß nicht zur Ruhe und schwelgen Sie unbedingt in Erinnerungen.

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