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Ergebnis einer Strukturvorhersage per KI.

© Abb.: DeepMind/EMBL-EBI

Wissenschaftlicher "Durchbruch" mit Künstlicher Intelligenz: Die virtuellen Propheten der Proteine

Das Magazin „Science“ kürt eine KI-Methode zum "Durchbruch des Jahres" 2021- mit Hinweis auf einen Konflikt zwischen Big Tech und öffentlicher Forschung.

Zum Jahresende krönt das US-amerikanische Wissenschaftsmagazin „Science“ stets die „Wissenschafts-Durchbrüche“ des Jahres. Im vergangenen Jahr waren es die Corona-Impfstoffe. 2021 landet auf Platz eins ein Verfahren, das weniger Schlagzeilen bekam, aber langfristig großen Einfluss auf die Forschung haben könnte: die Vorhersage der Struktur von Proteinen durch Künstliche Intelligenz (KI).

Einen „Durchbruch an zwei Fronten“, nennt es Chefredakteur Holden Thorp im Leitartikel der aktuellen Ausgabe des Magazins. Erstens löse es ein 50 Jahre altes Problem. „Zweitens ist es eine bahnbrechende Technik, die wissenschaftliche Entdeckungen erheblich beschleunigen wird.“

Ketten zu Knäueln

In der Zelle werden Proteine als Ketten von Aminosäuren hergestellt. Dabei und danach falten sie sich aus dieser zweidimensionalen - gleichsam knäuelartig - in eine 3D-Struktur. Doch die molekularen Kräfte und möglichen Interaktionen dieser Kette und ihrer Teile sind extrem komplex. Sie vorherzusagen wird mit jeder zusätzlichen Aminosäure komplizierter. Über Jahrzehnte waren die Erfolge mäßig.

Proteine sind an fast allen Prozessen im Körper beteiligt: Insulin reguliert den Zuckerspiegel, Proteine bekämpfen Krankheitserreger und sorgen dafür, dass Muskeln sich bewegen. Bei Krebs spielt eine abnorme Protein-Produktion eine entscheidende Rolle. „Falsch“ gefaltete Proteine können Krankheiten auslösen.

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Um die Funktionen von Proteinen zu verstehen, muss man ihre Strukturen kennen. Um, etwa für Therapien, gezielt eingreifen zu können, ebenfalls. Lange waren aufwendige und teure Experimente notwendig, um Proteinstrukturen aufzuklären. Mithilfe von KI können diese Strukturen nun laut „Science“ vergleichsweise einfach berechnet werden.

Lernen, Lernen, Lernen

Seit den 1970er Jahren versuchen Wissenschaftler:innen, mit computerbasierten Methoden Proteinfaltung zu modellieren. Seit 1994 wird alle zwei Jahre das internationale Gemeinschaftsexperiment „Critical Assessment of Protein Structure Prediction“ organisiert. Forscher:innen kommen dort zusammen, um ihre Algorithmen für die Vorhersage von Proteinfaltungen zu testen. Den Durchbruch brachte die Software AlphaFold2 von DeepMind, einer Google-Tochter. Sie berechnet mit bisher unbekannten Präzision 3D-Strukturen.

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Dabei macht sie sich bekanntes Basiswissen aus der Evolution zunutze: Man weiß, dass Proteine mit ähnlicher Aminosäureabfolge sich oft ähnlich falten. Das Programm greift auf alle verfügbaren Informationen über schon bekannte Strukturen von Proteinen zurück und gleicht neue Protein-Baupläne mit den bekannten ab. Die Funktion der Proteine liefert weitere Hinweise: Wenn sich eine Aminosäure in der Abfolge ändert, die Funktion des Proteins aber weitgehend gleich bleibt, müssen sich auch die Aminosäuren in der Nähe verändern, damit Struktur und Funktion erhalten bleiben.

Big Tech und ein paar Uni-Forscher

Der Algorithmus nutzt die Methode „Deep Learning“. Vereinfacht gesagt wird ein grundlegender Lernprozess des Menschen imitiert: Wenn ein Kind etwa lernt, Autos als solche zu erkennen, wird es bestätigt: „Das ist ein Auto.“ Oder eben nicht: „Das ist kein Auto.“ Es lernt, indem es sich die Merkmale der Objekte, die in diese Kategorie passen, immer mehr einprägt, ohne jedes Mal alles explizit erklärt zu bekommen.

AlphaFold2 nutzt Informationen über bekannte Proteinstrukturen als Training und erstellt basierend darauf ein Modell, um Vorhersagen für unbekannte Strukturen zu treffen. Die berechneten Modelle sind nur so gut wie das Training. Ohne umfangreiche Experimente gelängen der KI nicht so akkurate Vorhersagen. Entscheidend ist, dass das Programm selbst „erkennt“, nach welchen Prinzipien die Proteine sich falten.

Alpha gegen Rose

Parallel zu AlphaFold2 wurde auch RoseTTAFold von einem Team um David Baker, Biochemiker an der University of Washington in Seattle, vorgestellt. Diese KI-Methode basiert auf den gleichen Prinzipien. Grund, sie zu entwickeln, war vor allem die Unsicherheit, wie transparent DeepMind als privatwirtschaftliches Unternehmen mit AlphaFold2 sein würde.

Aktuell sind AlphaFold2 und RoseTTAFold öffentlich zugänglich, sodass mehr Wissenschaftler:innen in die Strukturforschung einsteigen können. Und trotz Durchbruchseuphorie sind die neuen Möglichkeiten der KI nur ein Schritt hin zu mehr Verständnis von Proteinstrukturen und -funktionen.

Entwirrt. Künstliche Intelligenz ist gut, wenn es um Komplexität geht. Das gilt auch für die Aufklärung der Struktur von Proteinen. Im Bild das – noch mit klassischen Methoden erforschte - Protein GFAT-1 des Fadenwurms Caenorhabditis elegans.
Entwirrt. Künstliche Intelligenz ist gut, wenn es um Komplexität geht. Das gilt auch für die Aufklärung der Struktur von Proteinen. Im Bild das – noch mit klassischen Methoden erforschte - Protein GFAT-1 des Fadenwurms Caenorhabditis elegans.

© MPI f. biol. d. Alterns

So können die Moleküle dynamisch ihre Form ändern – auch, wenn sie etwa mit anderen Proteinen interagieren. Zudem gibt es aus mehreren Aminosäureketten zusammengesetzte Moleküle, die dann wieder eine eigene Struktur und Funktionen haben. Solche Proteinkomplexe sind etwa bei der Reparatur des Erbmoleküls DNA im Einsatz.

Nichts für den Hausgebrauch

Sie bestehen aus verbundenen Proteinen, die hier gemeinsam arbeiten, aber unabhängig voneinander funktionieren. AlphaFold2 könnte hier die einzelnen Domänen vorhersagen, ihre Ausrichtung zueinander aber bisher nicht. Aber auch daran arbeiten DeepMind und Bakers Team.

Bis alle existierenden Proteinstrukturen bekannt sein werden, wird es aber noch lange dauern. Der jetzt als „Durchbruch“ titulierte Schritt mit Künstlicher Intelligenz in diesem Jahr ist aber, wenn man den Fachleuten glaubt, Anlass zu einem optimistischen Blick in die Zukunft vieler Bereiche von Medizin und Biologie. Dazu gehören neue Möglichkeiten für die Entwicklung von Medikamenten.

Was sicher auch wichtig ist: Laut dem Magazin „Nature“, das kürzlich ebenfalls über das Thema berichtete, ist die Anwendung der Programme für Forschende nicht besonders kompliziert. Für das Homeoffice sind sie allerdings eher ungeeignet, denn sie benötigen mehrere Terabyte an Speicherplatz, zudem jede Menge Rechenkapazität.

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