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Tanz der Giganten. Diese Grafik zeigt, wie Gravitationswellen in einer Doppelsonne aus zwei Neutronensternen entstehen. Einstein hatte die „Kräuselungen der Raumzeit“ 1916 prophezeit. 100 Jahre später wurde er bestätigt.

© picture alliance / dpa

Wissenschaftliche Durchbrüche 2016: Gravitationswellen sind die Entdeckung des Jahres

Rasche Erbgut-Entzifferung, hauchdünne Linsen, künstliche Intelligenz: Die Höhepunkte des Wissenschaftsjahres

Gravitationswellen sind der Durchbruch des Jahres. So lautet die Einschätzung des US-Fachblatts „Science“, das alljährlich die zehn wichtigsten wissenschaftlichen Errungenschaften benennt. Am 11. Februar gaben Forscher des amerikanischen Gravitationswellen-Observatoriums „Ligo“ bekannt, dass sie die 1916 von Albert Einstein vorhergesagten Wellen gefunden hatten. Ihr Ursprung waren zwei sich umkreisende Schwarze Löcher in 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung.

Laut Einstein verzerren massereiche Körper Raum und Zeit. Unter bestimmten Bedingungen, etwa beim Zusammenstoß zweier Schwarzer Löcher, können beschleunigte massereiche Körper die Raumzeit in Schwingungen versetzen. Dabei entstehen Gravitationswellen, Kräuselungen der Raumzeit, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen. Die Entdeckung bedeutet auch die Geburtsstunde der Gravitationswellen-Astronomie, mit deren Hilfe man etwa die Frühzeit des Universums ergründen will. Die weiteren Durchbrüche 2016:

Die Eizell-Ingenieure

Eine unfruchtbare Frau muss den Wunsch nach einem eigenen Baby aufgeben. Das muss aber nicht so bleiben, deutet eine Studie japanischer Forscher an. Japanischen Forschern gelang es, Stammzellen von Mäusen in der Petrischale in reife Eizellen zu verwandeln. Die Experimente klappten sowohl mit embryonalen Stammzellen als auch mit Hautzellen aus der Schwanzspitze der Mäuse, die zu Alleskönnerzellen umprogrammiert worden waren (iPS-Zellen). Als sie die Eizellen künstlich befruchteten und in Mäuse-Leihmütter einsetzten, entwickelten sich elf von 316 Embryonen normal und wurden geboren. Die jungen Mäuse waren gesund und fruchtbar. Sie sind as Ergebnis von mehr als einem Jahrzehnt Fleißarbeit. Die Forscher haben den Zyklus der Mäuse-Keimzellen Schritt für Schritt im Labor rekapituliert. Sie wollen verstehen, wie sich Keimzellen entwickeln. Diesen Vorgang in der Petrischale zu beobachten, kann zu neuen Einsichten führen und in der Klinik helfen, heißt es in „Science“. Lange bevor ein Baby mit einer so geschaffenen Eizelle gezeugt wird.

Erbgutanalyse für alle

Das Gerät ist kaum größer als ein Mobiltelefon, wiegt knapp 90 Gramm und kann etwas, das bisher riesigen, sehr teuren Maschinen vorbehalten war: Es entziffert Erbgut. Die Methode hat die britische Firma Oxford Nanopore Technologies seit Jahren perfektioniert. Der Erbgutfaden aus DNS muss nicht mehr zerstückelt, vervielfältigt und dann neu geordnet werden. Stattdessen läuft er Base für Base durch eine Pore und verändert damit einen Ionenstrom. Das macht die Sequenz lesbar. Das erste Gerät ist nun offiziell auf dem Markt. Forscher haben damit in wenigen Stunden einen Mix von Darmmikroben analysiert, Ebola oder Hepatitis C diagnostiziert und das 53 Millionen Basenpaare langeGenom eines Maisschädlings entziffert. Mit der Technik kann „Genomlesen“ allgegenwärtig werden, schreibt „Science“. Auch in jenen Bereichen, die bisher noch nicht viel damit zu tun hatten.

Ich weiß, was du denkst

Menschen lesen ständig Gedanken. Selbst kleine Kinder realisieren ab einem bestimmten Entwicklungsstand, dass nicht jeder so fühlt und denkt wie sie. Psychologen testen das mit einem Puppenspiel: Ein Kasper legt einen Schokoladenriegel in eine Schublade und geht dann aus dem Raum. Eine andere Puppe kommt herein, findet den Riegel, versteckt ihn an einer anderen Stelle und geht. Wo wird der Kasper die Schokolade suchen, wenn er zurück ist? Seine falsche Annahme zu erkennen, galt lange Zeit als typisch menschlich. Ganz so einzigartig ist dieses Können nicht, hat nun ein amerikanisch-japanisches Team gezeigt. Die von den Wissenschaftlern entwickelte Variante des Tests funktioniert auch bei Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans. Sie schauen einen Film: Ein Forscher im Affenkostüm stiehlt einem Menschen einen Stein und legt ihn in eine Box. Der Mensch kann das beobachten, hat aber Angst vor dem Affen und rennt weg. Als der Affe allein ist, nimmt er den Stein aus der Schachtel und verschwindet. Zwar konnten die tierischen Kinogänger nicht sagen, wo der Mensch den Stein suchen wird, wenn er sich wieder an den Ort des Überfalls traut. Stattdessen nahmen die Forscher die Blicke der Menschenaffen mit Infrarotkameras auf. Fast alle schauten im entscheidenden Moment lange auf die Box. Sie wussten also sehr wohl, was der Mensch dachte.

Künstliche Intuition

„Go“ ist mehr als Spiel. In Asien ist der Kampf zwischen schwarzen und weißen Linsen auf einem simplen Feld aus kleinen Quadraten Teil der Kultur. Das Spiel ist leicht zu lernen und schwer zu meistern. „AlphaGo“ schaffte es. Der Computer des Londoner Google-Ablegers „DeepMind" schlug den zweitbesten Go-Spieler der Welt in fünf Sätzen. „AlphaGos“ künstliche Intelligenz und Lernvermögen sind beachtlich, denn das Spiel ermöglicht mehr Züge, als es Atome im Weltall gibt. Es war also nicht nur brutale Rechenpower, der die Maschine zum Sieg trug, sondern auch so etwas wie menschliche Intuition. Man darf gespannt auf den nächsten Zug sein.

Der Jungbrunnen

Auch Zellen gehen in Rente. Wenn sie sich im Laufe des Lebens unzählige Male geteilt haben und ihr Erbgut Schäden angehäuft hat, haben sie drei Optionen: Nochmals reparieren, ganz aufgeben oder sich zur Ruhe setzen (Seneszenz). Letzteres verhindert Krebs, lässt das Lebewesen aber altern. Denn ganz untätig sind die Rentnerzellen nicht. Sie geben Moleküle ab, die Entzündungen verursachen. Wenn man sie entfernt, könnte man altersbedingte Krankheiten wie Arteriosklerose und Arthritis verhindern, vermuten Forscher. Sie gaben Mäusen einen Wirkstoff, der ausrangierte Zellen zerstörte. Den Mäusehirnen und –muskeln nützte das nichts, aber ihre Herzen und Nieren waren gesünder, sie wirkten aktiver. Die Tiere lebten bis zu 20 Prozent länger als ihre unbehandelten Artgenossen. In einem zweiten Versuch bildeten die Mäuse bei einer fettreichen Ernährung 60 Prozent weniger Ablagerungen in ihren Blutgefäßen. Ob es beim Menschen funktioniert? Ein erster Versuch ist geplant.

Nächste Ausfahrt Proxima Centauri

Astronomen fanden den erdnächsten Planeten jenseits unseres Sternensystems. Er kreist um den Stern Proxima Centauri (Entfernung gut vier Lichtjahre) und heißt Proxima b. Proxima b ist nur etwas massereicher als die Erde, aber heftiger Sonnenwind, Röntgenstrahlung und ultraviolettes Licht machen ihn zu einem eher ungemütlichen Ort. Das hält die private Initiative „Breakthrough Starshot“ nicht davon ab, an einer ehrgeizigen Mission zu arbeiten. „Breakthrough Starshot“ will eine Flotte winziger Raumsonden zum Sternsystem Alpha Centauri schicken, zu dem auch Proxima Centauri gehört. Reisedauer: 20 Jahre.

Proteine aus dem PC

Proteine (Eiweiße) sind die Bausteine und Handwerker des Lebens. Sie bestehen aus langen Aminosäureketten, die sich zu räumlichen Gebilden zusammenlagern. Zwar war es bereits möglich, jede Aminosäuresequenz zu erzeugen. Woran es mangelte, war die akkurate Vorhersage, wie sich die Kette „falten“ und welche räumliche Gestalt sie annehmen würde. Das ist dank neuer Computerprogramme nun möglich und es stößt die Tür weit auf in Richtung Designer-Proteine. So konstruierten Forscher ein Eiweiß, das als Grippeimpfstoff taugt.

Ein Zug in die Welt

Der moderne Mensch, Homo sapiens, eroberte von Afrika aus die Welt. Aber geschah das in einem oder mehreren Anläufen? Untersuchungen aus diesem Jahr deuten darauf hin, dass die Besiedlung im Wesentlichen in einer einzigen Welle erfolgte. Sie begrub mögliche Spuren früherer Wanderungen unter sich. Wann genau der Auszug aus Afrika begann, ist unklar. Er geschah in den vergangenen 100 000 Jahren, vielleicht vor 50 000, oder auch schon vor 70 000 Jahren.

Die Zukunft der Linse

Linsen holen per Fernrohr das Weltall heran, machen unter dem Mikroskop Bakterien sichtbar und verschaffen Millionen von Menschen klare Sicht. Sie sind aus Glas oder anderen durchsichtigen Materialien. Aber nun kommt die Meta-Linse, gefertigt mithilfe der Chiptechnik und aus Titandioxid. Sie ist dünner als Papier, billig zu herzustellen, viel leichter als eine Glaslinse und vergrößert ebenso gut wie diese. Möglich wird die Technik durch Meta-Materialien, bei denen die Oberfläche mit 600 Nanometer hohen Säulen oder Noppen versehen ist. Die Optik steht vor einer Revolution.

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