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Jedes Mittel ist recht: Im Kampf gegen Corona wird in den USA nun auch in Universitäten geimpft.

© Patrick Fallon/AFP

„Wir können mit der Wahrheit umgehen“: Wie viele US-Impfdurchbrüche gibt es denn nun?

Rein statistisch infizieren sich Ungeimpfte in den USA zehnmal öfter mit Corona. Und doch könnten Impfdurchbrüche etwas häufiger vorkommen als angenommen.

Das relative Risiko von geimpften Personen, sich zu infizieren, ins Krankenhaus eingewiesen zu werden und zu sterben, geht gegen null: Lediglich ein Prozent der Infizierten in den USA war vollständig geimpft. Das zumindest geht aus Daten zu Impfdurchbrüchen aus 24 US-Bundesstaaten hervor, die die Kaiser Family Foundation vor wenigen Wochen veröffentlichte.

Diese Daten sind deshalb so relevant, weil sie zu Aussagen von Anthony Fauci passen. Dem Corona-Berater der US-Regierung und führenden Epidemiologen zufolge waren nur 0,8 Prozent der an oder in Verbindung mit dem Coronavirus verstorbenen Personen im Juni bereits vollständig geimpft gewesen. Auch deshalb nannte die Direktorin der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC, Rochelle Walensky, die Corona-Pandemie bereits eine „Pandemie der Ungeimpften“.

In dieser Absolutheit will Michael Mina, Epidemiologe an der renommierten Havard University, das allerdings nicht stehen lassen. „Die Nachricht, dass Durchbrüche außerordentlich selten vorkommen und dass Geimpfte sie nicht fürchten sollten, ist zu sehr vereinfacht“, sagte Mina dem „Intelligencer“. „Wenn es nur um die Alpha-Variante ginge, dann stimmt die Nachricht. Doch viele Menschen erkranken an der Delta-Variante. Meine persönliche Meinung ist, dass sich der Gedanke an eine Herdenimmunität mit zwei Impfstoff-Dosen durch diese Variante sehr schnell in Luft auflöst.“

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Kardiologe Eric Topol, der Professor am Scripps Research Institute ist, glaubt sogar, dass die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen eine symptomatische Corona-Infektion extrem nachgelassen hat. Habe sie bei der Alpha-Variante noch bei 90 Prozent gelegen, liege sie bei der Delta-Variante möglicherweise schon bei nur 50 Prozent, so Topol zum „Intelligencer“. Eine noch nicht in einem Fachblatt veröffentlichte Studie der Non-Profit-Organisation Mayo Clinic schätzt die Wirksamkeit gegen eine symptomatische Infektion sogar auf nur 42 Prozent.

„Das Problem mit den Impfdurchbrüchen ist deutlich besorgniserregender als uns die Verantwortlichen weißmachen wollen“, sagt Kardiologe Topol. „Wir haben keine gute Nachverfolgung. Jeder Indikator, den ich habe, lässt die Vermutung zu, dass deutlich mehr außerhalb des Radars ist als bislang durchgedrungen ist. Das ist unglücklich.“

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Dem „Intelligencer“ zufolge liegen den offiziellen, beruhigenden Daten über Impfdurchbrüche alte Zahlen zugrunde. Sie stammen aus dem ersten Quartal 2021, als in den USA gerade einmal etwas mehr als 15 Prozent der Menschen vollständig geimpft waren. Mittlerweile sind es mehr als 50 Prozent, wobei die Impfquote seit Monaten nachlässt.

Seit die Delta-Variante grassiert veröffentlichte die CDC keine regelmäßigen Daten über Impfdurchbrüche mehr. Allerdings publizieren die Bundesstaaten ihre Daten teilweise selbst. Und so zeigt sich ein beunruhigendes Bild: In Utah beispielsweise war jede fünfte infizierte Person Ende Juli bereits vollständig geimpft. Der Anteil hatte Anfang Juni, als die Delta-Variante noch nicht so weit verbreitet war, noch bei acht Prozent gelegen.

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Rechnet man alle verfügbaren Daten aus den Bundesstaaten zusammen, waren im Juli rund zehn Prozent der symptomatisch Infizierten bereits vollständig geimpft. Da asymptomatische Fälle oft nicht wahrgenommen werden, könnte die Dunkelziffer noch höher liegen.

Gleichzeitig sind diese Zahlen in einem anderen Kontext aber beruhigend: nämlich im Vergleich zu der Gesamtzahl an Geimpften. Die rund 125.000 bekannten Fälle bis Juli, in denen es zu Impfdurchbrüchen kam, entsprechen nur 0,08 Prozent unter allen vollständigen Impfungen in den USA. Der Anteil der ungeimpften Menschen, die sich infizierten, lag laut NBC News mit etwas unter einem Prozent deutlich höher. Rein statistisch betrachtet liegt die Wahrscheinlichkeit, sich symptomatisch mit Corona zu infizieren, also zehnmal höher, wenn man nicht vollständig geimpft ist.

Zahl der Impfdurchbrüche in den USA steigt an

Wenn sich allerdings durch weniger Beschränkungen wieder mehr Menschen treffen und dann auch mehr Menschen infizieren, steigt entsprechend auch die Zahl der schwer Erkrankten. Am kommenden Wochenende wird New York nahezu alle Corona-Beschränkungen aufheben. Und das, obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz in den USA aktuell etwa bei 280 liegt – so hoch war sie zuletzt Anfang Februar.

Die Zahl der Todesfälle liegt im Sieben-Tage-Mittel wieder bei rund 700. Allein zwischen Ende Juni und Ende Juli starben rund 7000 Menschen an oder in Verbindung mit einer Corona-Infektion, das geht aus Daten der US-Gesundheitsbehörde CDC hervor. Die Daten zeigen ebenfalls, dass in diesem Zeitraum 364 Personen starben, obwohl sie vollständig geimpft waren. Das sind mehr als fünf Prozent. Und damit mehr als sechsmal so viele, wie Fauci noch für Juni bis Ende des Monats berichtet hatte.

„Ich denke, wir haben ein Problem mit Offiziellen, denen es Sorge bereitet, dass sich nicht mehr Leute impfen lassen. Deshalb wollen sie nicht, dass ihre Geschichte über die Impfstoffe keinen noch so kleinen Kratzer bekommt“, sagt Kardiologe Topol. „Doch wir können mit der Wahrheit umgehen – und das sollten wir nun auch tun.“

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