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Eine Gruppe von Männern mit Bauhelmen steht vor einer Teilruine eines Hauses aus dem frühen 20. Jahrhundert.

© Henning Burwitz/DAI

Wiederaufbau nach Explosionen in Beirut: „Wir investieren in die Hoffnung“

Nach den Explosionen in Beirut: Das Deutsche Archäologische Institut hilft engagierten Architekten beim Wiederaufbau historischer Gebäude im Hafenviertel.

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Der Regen kann heftig sein in Beirut und die Regensaison jeden Moment beginnen. Nach den beiden verheerenden Explosionen am 4. August im Hafen von Beirut mit ihren kaum vorstellbaren Zerstörungen im ganzen Stadtgebiet geht es nun darum, zu retten, was zu retten ist. Zu jenen, die sich in der geschundenen Stadt darum bemühen, gehört auch das Deutsche Archäologische Institut (DAI).

Schon am Tag nach den Explosionen reiste Christoph Rogalla von Biberstein vom DAI-Projekt KulturGutRetter mit dem Technischen Hilfswerk (THW) nach Beirut, um zu prüfen, wo das DAI mit seiner Expertise bei der Sicherung historischer Bausubstanz helfen kann. Eine Woche später kam Axel Seemann, Baustatiker am DAI, für zehn Tage nach Beirut, um libanesische Architekten zu beraten.

Die Kollegen seien erschüttert gewesen über das, was sie gesehen haben, berichtet Margarete van Ess, wissenschaftliche Direktorin der Orient-Abteilung des DAI. Sie ist am Sonntag von ihrer zweiten Mission nach Beirut zurückgekehrt. „Die Straßen sind jetzt aufgeräumt und alle Menschen arbeiten an ihren Häusern“, erzählt van Ess. Vor vier Wochen habe sich die Lage noch ganz anders dargestellt, überall hätten Einwohner noch ihre Häuser ausgeräumt, zersplittertes Glas und Holz entfernt.

Die Kulturerbe-Retter gingen sofort an die Arbeit

In Beirut hatte niemand auf externe Hilfe gewartet – weder vom eigenen Staat noch aus Deutschland. Gleich nach der Explosion machte sich eine Gruppe libanesischer Architekten, Mitglieder der Initiative BBHR2020 (Beirut Built Heritage Rescue), an die Arbeit, die Schäden aufzunehmen und die Häuser zu untersuchen – ohne Auftrag, ohne Honorare.

Hier konnte die DAI-Direktorin helfen. Van Ess erteilte sechs Beiruter Architekturbüros offizielle Aufträge, für die sie bis ins Frühjahr 2021 bezahlt werden.

Die Bedingung: Die Büros berichten jede Woche der libanesischen Antikenverwaltung über ihre Arbeiten und erhalten dort auch Genehmigungen für weitere Projekte. „So ist die Antikenverwaltung einbezogen und alles läuft gut“, sagt van Ess.

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Rund 1000 historisch bedeutsame Häuser hat die Gruppe in Kooperation mit DAI-Statiker Axel Seemann identifiziert, davon sind 91 von besonderem historischem Wert. Die Häuser liegen alle nördlich des Hafens, in einem Gebiet, das in jüngerer Zeit für sein Nachtleben von den Beirutis selbst erst entdeckt wurde.

Wichtig für die Identität Beiruts

Die ältesten Häuser wurden Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut, die jüngsten in den 1960er- Jahren. Für die Identität Beiruts seien diese Viertel besonders wichtig, habe die Stadt doch seit den 70er-Jahren im Bürgerkrieg und den folgenden Kriegen viel an historischer Bausubstanz verloren, sagt van Ess.

Ein Porträtbild von Margarete van Ess.
Margarete van Ess ist wissenschaftliche Direktorin der Orient-Abteilung des DAI.

© Promo/DAI

Würden alle 1000 Häuser wieder hergerichtet, würde dies nach Berechnungen der Antikenverwaltung und der Architekten-Initiative etwa 300 Millionen US-Dollar kosten. Daher konzentriert man sich auf die 91 Häuser, von denen die meisten im Privatbesitz sind.

Margarete van Ess ist ganz begeistert von der Energie der Beiruter Architekten. Es war sei ein Glücksfall, dass vor 20 Jahren die Tripolis School of Architecture gegründet wurde, an der diese jungen Architekten ein Aufbaustudium absolvierten. Im Rahmen dieses Studiums machten viele ein Praxissemester beim DAI-Projekt in Baalbek.

Geleitet wird es seit 1997 von Margarete van Ess. „Die meisten der Architekten kannte ich daher und so war innerhalb eines halben Tages geklärt, wie wir die Hilfe für Beirut angehen“, sagt die Archäologin. Das Geld des DAI geht direkt an die Architekturbüros – zu groß ist das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber staatlichen Institutionen.

Sicherungsarbeiten im historischen Hafenviertel

Derzeit laufen in dem Hafenviertel grundlegende Sicherungsarbeiten. Fenster und Türen müssen so abgestützt werden, dass die Häuser zunächst vor dem völligen Zusammenbruch bewahrt werden. Auf den Dächern errichtet das Expertenteam Gerüste, um die Teilruinen mithilfe von Planen gegen den Winterregen zu schützen.

Auch Margarete van Ess ist mit praktischen Arbeiten befasst, sie bemüht sich etwa darum, Hölzer, Kalk und Folien über einen Importeur zu kaufen. Denn der libanesische Markt sei leergefegt. Geklärt werden muss zudem, wie man Hilfsgelder für private Wohnhäuser verwenden kann – auch das eine schwierige bürokratische Frage.

„Wenn man sich im Land auskennt und verlässliche Partner hat, klappt das“, sagt van Ess. „Wir investieren in die Hoffnung.“

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