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Alltäglich. Ein aufgeschürftes Knie heilt normalerweise von allein. Dabei wandern neue Zellen einige Millimeter wie auf einem Fließband unter der Haut zur Wunde. Foto: imago

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Wissen: Wie sich Wunden in der Haut schließen

Heidelberger Wissenschaftler haben die Wundheilung in einer Zellkultur nachgestellt – und dabei die bisherige Sicht widerlegt.

Wenn eine moderne Stahl- oder Spannbetonbrücke entsteht, um ein Flusstal zu queren, rückt sie von einer Talschulter aus zur gegenüberliegenden Seite. Stück für Stück wird sie über die bereits fertiggestellten Pfeiler geschoben. So ähnlich schließt sich auch eine Wunde in der Haut. Wie auf einem Förderband schieben sich von allen Seiten neu gebildete Zellen unter der intakten Haut hindurch auf die Wunde zu. Dort werden sie von nachrückenden Zellen nach oben gedrückt und reifen zu schildförmigen Zellen aus. Gemessen an ihrer Größe legen die neuen Zellen dabei erstaunliche Entfernungen von einigen Millimetern zurück, schreiben Heidelberger Forscher in der Fachzeitschrift „Journal of Cell Biology“. Diese Erkenntnis widerlegt bisherige Theorien zum Wundverschluss.

Die Forscher verwendeten mehrschichtige Gewebekulturen aus zwei Typen menschlicher Hautzellen, den Keratinozyten und Fibroblasten, jeweils in verschiedenen Entwicklungsstufen. Zwar sind die gezüchteten Gewebestücke nur eine vereinfachte Version der natürlichen Haut, weil beispielsweise Immunzellen, Nerven und Schweißdrüsen fehlen. Doch sie organisieren sich selbst und reparieren Verletzungen. Die Beschränkung auf die beiden Zelltypen sei sowohl „ausreichend komplex, um den natürlichen Heilungsmechanismen nahe zu kommen“, als auch „gut zu untersuchen“, meint Studienautor Niels Grabe von der Heidelberger Uniklinik.

Die bisherigen Theorien zur Wundheilung besagten, dass sich die Zellen der Wundränder oder unmittelbar dahinter liegender Bereiche teilen und die Haut so in die Wunde hineinwächst. Das ist nun widerlegt. „Mit dem neuen Modell haben wir einen Grundstein gelegt, um Probleme der Wundheilung besser zu verstehen“, sagt Grabe. Jetzt könne man bei chronischen Wunden gezielt nach Fehlern in diesem Prozess suchen. Auch für die Krebsforschung könnte das Modell nützlich sein. Denn der Mechanismus der Wundheilung sei vergleichbar damit, wie Tumorzellen in gesundes Gewebe einwandern. „Eventuell sind die Steuerungsmechanismen ähnlich“, hofft Grabe. „Daraus könnte sich ein neuer Ansatz der Tumorkontrolle ergeben.“

Die Heidelberger Wissenschaftler stanzten in acht Millimeter durchmessende Gewebekulturen jeweils zwei kleine Löcher von zwei Millimetern und verfolgten den Heilungsprozess bis zu zehn Tage lang. Die Art und Weise, wie neue Hautzellen in den Wundbereich einwandern, sei eine „komplexe Leistung des umliegenden Gewebes“, sagt Grabe. „Den größten Beitrag leisten die Hautregionen, die verhältnismäßig weit von der Wunde entfernt sind.“ Im Experiment setzte die Bewegung der neuen Hautzellen in den äußersten Bereichen der Gewebekulturen ein, bis zu drei Millimeter von der Verletzung entfernt. Im lebenden Organismus könnte diese Strecke sogar noch länger sein, vermuten die Forscher.

Die Wundheilung ist ohnehin komplex. Unser Immunsystem antwortet auf Verletzungen, indem sich die Wunde zunächst entzündet. Der betroffene Bereich schwillt an, schmerzt, wird warm und funktioniert kaum noch. Außerdem rötet sich die Haut rings um die Verletzung sichtbar, weil sie gut durchblutet wird.

Das ist sinnvoll, denn mit dem Blut werden Stoffe herangeführt, die einerseits die Entzündung befeuern – etwa der Botenstoff Zytokin Interleukin-6 –, als auch solche, die zum Stoppen der Blutung, zum Verschluss der Wunde und schließlich zur Heilung beitragen. Gelingt dieser Übergang nicht, verstetigt sich die Entzündung und wird selbst zum Problem – bisweilen sogar lebensbedrohlich.

„Jeder Mensch kennt es: Die meisten Wunden heilen von selbst“, sagt der Hautmedziner Cord Sunderkötter von der Uniklinik Münster. „Aber Wundinfektionen durch bestimmte Bakterien führen zu chronischen Wundinfektionen, die behandelt werden müssen.“ Dazu gehörten Hautinfektionen durch schnell wachsende Mykobakterien, zum Beispiel den Erreger der Hauttuberkulose (Mycobacterium tuberculosis) oder die in Mitteleuropa seltene Infektion der Haut mit dem Diphterie-Erreger (Corynebacterium diphtheriae), außerdem Pilzinfektionen.

Was die Wunde heilt, ist nicht die sprichwörtliche Zeit, sondern wie die genetisch festgelegten Reparaturvorgänge während einer typischen Entzündungsreaktion ablaufen. „Ohne diese Prozesse hätten Tiere und Menschen in der Evolution nicht überlebt“, sagt Sunderkötter. Zieht sich die Wundheilung hin, dann sind die Selbstheilungskräfte offensichtlich überfordert. Beispielsweise gelangen hilfreiche Stoffe mit dem Blut nicht oder nicht in ausreichender Menge an die Wunde, weil der Blutfluss gehemmt ist, so etwa durch Arteriosklerose. Auch die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) erschwert die Durchblutung. Zudem kann die Wunde mit aggressiven Bakterien besiedelt sein, die das Immunsystem überfordern, und schließlich kann eine schlecht heilende Wunde die Folge insuffizienter Venen sein. Darunter versteht man solche Gefäße, in denen das Blut streckenweise wieder zurückläuft, weil die als Rücklaufventile funktionierenden Venenklappen defekt sind – beispielsweise im Bein. Fließt aber das vergleichsweise sauer- und nährstoffarme Venenblut zurück statt zum Herzen, kann dies das Beingewebe schädigen und zu venösen Unterschenkel-Geschwüren (Ulcus cruris venosum) führen, besser bekannt als „offenes Bein“.

Dass krank machende Keime in eine Wunde gelangen, ist normal und an sich noch nichts Schlimmes. „Jede Wunde ist oberflächlich mit Bakterien kolonisiert“, sagt Sunderkötter. Die Wundheilung umfasse aber antimikrobielle, also gegen gefährliche Keime wirkende Mechanismen. Diese sorgen dafür, dass sich Bakterien in der Wunde nicht ungehemmt vermehren können und so verhindern, dass die Wunde heilt. Beispielsweise werden aus den Hautzellen und den eingewanderten weißen Blutkörperchen keimtötende Stoffe in die Wundflüssigkeit freigesetzt.

„Ein Ziel der Wundbehandlung ist es folglich, die Zahl der Bakterien auf chronischen Wunden möglichst gering zu halten“, sagt Sunderkötter. „Dies erreicht man oft durch regelmäßige Wundspülungen mit steriler physiologischer Kochsalzlösung.“ So ließen sich zunächst mehr Bakterien entfernen als durch lokal eingesetzte desinfizierende Antiseptika.

Pflaster und vor allem fachgerecht angebrachte, keimfreie Wundauflagen unterstützen die Wundheilung entscheidend. Durch sie reichern sich in der Wundflüssigkeit neben Wachstumsfaktoren, die den Aufbau von neuem Gewebe fördern, auch körpereigene antibakterielle Substanzen an. Ein erst vor wenigen Jahren entwickelter Wundverband sowie ein gleichartiges Pflaster verfärben sich sogar violett, wenn sich eine bisher unproblematische Wunde neuerlich entzündet. Walter Schmidt

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