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Noch sind die Schulen geschlossen - hier ein Bild aus Thüringen.

© Bodo Schackow/ZB/dpa

Update

Wie geht es weiter in den Schulen?: Skepsis bei frühem Öffnen der Grundschulen, Länder wollen Prüflinge vorziehen

Sollten als erstes Grundschulen wieder geöffnet werden, wie die Leopoldina vorschlägt? Bildungsexperten sind skeptisch, Länder wollen eher Prüflinge vorziehen.

Bei einer Öffnung der Schulen sollten als erstes die jüngeren Kinder und Jugendliche bis 14 Jahren wieder in den Präsenzunterricht zurückkehren: Diese Empfehlung der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, stößt bei Bildungsexperten und in den Ländern auf ein geteiltes Echo.

So wird ein frühes Öffnen der Grundschulen eher skeptisch gesehen, während Länder vor allem Prüflingen als erstes wieder in die Schulen lassen wollen.

„Ich finde die Vorschläge der Leopoldina – ohne eine bessere Lösung zu wissen! – besonders schwierig, weil bei der Arbeit mit kleinen Kindern Nähe – auch körperliche Nähe! – zwischen der Pädagogin und den Kindern üblich ist“, sagte FU-Pädagogikprofessor und Grundschulexperte Jörg Ramseger dem Tagesspiegel.

"Man kann die Kinder ja nicht an den Schulbänken festbinden"

Die Kinder seien diese Nähe auch gewohnt.

Pädagogik in der frühen Kindheit sei „das glatte Gegenteil von ‚social distancing‘“, erklärte Ramseger. Untereinander würden sich die Kinder ohnedies sehr nahe kommen – im Spiel, beim Laufen durch die Flure, beim Einstieg in den Schulbus.

Das könne niemand verhindern, sagte Ramseger. „Man kann die Kinder in diesem Alter ja nicht stundenlang an ihren Schulbänken festbinden. Und man kann sie jetzt auch nicht monatelang permanent disziplinieren.“

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Von daher sei das Wiedereröffnen von  Grundschulen und auch Kitas „sicher das größte von allen Problemen der Rückkehr unserer Gesellschaft in einen Normalzustand“, meint Ramseger – und besonders sorgfältig abzuwägen. „Wer da zu schnell vorprescht, kann die Versagungen, die die Bevölkerung in den letzten Wochen weitgehend klaglos auf sich genommen hat, schnell völlig entwerten und die nächste Infektionswelle auslösen.“

Zeitversetzter Unterricht und Pausen

Die Leopoldina hatte in ihrer Empfehlung dafür plädiert, Bildungseinrichtungen schrittweise und nach Jahrgangsstufen differenziert „sobald wie irgendmöglich“ wieder zu öffnen, ohne jedoch dabei ein konkretes Datum zu nennen. Als erstes seien dabei Grundschulen und die Sekundarstufe I zu öffnen, da die Jüngeren auf mehr persönliche Betreuung und Anleitung angewiesen seien (die ganze Empfehlung findet sich hier).

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In den höheren Klassenstufen soll die Rückkehr in den Präsenzbetrieb erst später erfolgen, weil ältere Schülerinnen und Schüler besser mit Fernunterricht klar kämen.

Schichtbetrieb in der Schule wird in den Ministerien bereits diskutiert

Gleichzeitig fordert die Leopoldina umfassende Hygiene- und „Social Distancing“-Maßnahmen ein. Kleine Gruppengrößen (maximal 15 Kinder) etwa, zeitversetzter Unterricht und Pausen, Konzentration auf wichtige Fächer wie Deutsch und Mathematik. Kitas dagegen sollten bis zum Sommer geschlossen bleiben.

[Lesen Sie hier auch: Abitur, Heimunterricht, Sommerschulen: Was Berliner Eltern in der Coronakrise fordern.]

Susanne Eisenmann (CDU), Kultusministerin in Baden-Württemberg, sieht sich in ihren Planungen durch das Leopoldina-Papier bestärkt. „Es war für uns immer klar, dass ein Wiedereinstieg in den Schulbetrieb nur schrittweise, sukzessive und eingeschränkt möglich sein wird. Die Vorschläge der Leopoldina bestätigen noch einmal unsere Einschätzungen“, erklärte Eisenmann auf Anfrage.

"Behutsame Sonderregelungen" für Risikogruppen unter den Lehrkräften

Über allem stehe dabei der Infektionsschutz und die Gesundheit aller am Schulleben Beteiligten. Daher werde es "behutsame Sonderregelungen und Ausnahmen vom Schulbetrieb" für Risikogruppen unter Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern geben. .Baden-Württemberg halte auch daran fest, den Schulen mit den Entscheidungen zum schrittweisen Wiedereinstieg mindestens eine Woche Vorlauf zu geben.

Anders als die Leopoldina hat Eisenmann allerdings als erstes die Prüflinge in den weiterführenden Schularten im Blick. „Es macht Sinn, dass wir beim Wiedereinstieg mit den Schülerinnen und Schülern beginnen, die in diesem Jahr ihre Abschlussprüfungen schreiben, weil es natürlich wichtig ist, dass diese vorher noch ausreichend Präsenzunterricht zur Vorbereitung haben“, sagte Eisenmann.

Auch Hessen würde laut Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) eher mit Abschlussjahrgängen beginnen. „Nicht nur weil die vorm Abschluss stehen, sondern weil wir auch glauben, dass bei älteren Schülerinnen und Schülern der notwendige Appell, Abstand zu halten und Hygienevorschriften einzuhalten, wesentlich besser gelingen kann als bei Kindern in der Grundschule“, sagte er am Dienstag in Wiesbaden.

In den Grundschulen macht es für Eisenmann Sinn, mit dem letzten Jahrgang, also mit Klassenstufe 4 zu beginnen, um den Übergang auf die weiterführenden Schulen gut vorbereiten zu können. Letztlich müsse man aber die weiteren Entscheidungen in dieser Woche, welche auf den Konferenzen der Ministerpräsidenten und der Kultusminister getroffen werden, abwarten, sagte Eisenmann.

"Social Distancing ist in den ersten Klassen nicht seriös durchführbar"

Mit dem Verweis auf diese Treffen gaben andere Kultusministerien am Dienstag zunächst keine offiziellen Stellungnahme ab. Aber auch anderswo gehen die Überlegungen in ähnliche Richtungen, ist zu hören. Abschlussklassen müssten prioritär behandeln werden: Man könne nicht an den Abiturprüfungen festhalten und gleichzeitig die Prüflinge von Zuhause lernen lassen, wird argumentiert.

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Ebenso plädiere man dafür, die Übergangsklassen zu den weiterführenden Schulen als erstes kommen zu lassen. Das hatte auch die Leopoldina so vorgeschlagen: „Danach folgen stufenweisen die vorangehenden Jahrgangsstufen“, heißt es in dem Gutachten.

Dass allerdings Kitas geschlossen bleiben und gleichzeitig Kinder der ersten Klassen vor Ort beschult werden, halte man für einen Widerspruch, heißt es aus einem Ministerium: „Social Distancing ist in den ersten Klassenstufen nicht seriös durchzuführen.“

"Die Übergangsfrage ist sekundär"

Für Jörg Ramseger ist indes auch die Übergangsfrage „sekundär“, für Viertklässler würden beim Social Distancing schließlich die gleichen Probleme gelten wie bei Erstklässlern. Hier müssten sich eher die weiterführenden Schulen flexibel halten.

Priorität muss für Ramseger stattdessen haben, den Kontakt zu Kindern wiederherzustellen, die jetzt völlig aus dem Betreuungsnetz der Schulen herausgefallen sind.

Und was ist mit vielen Hinweisen der Leopoldina zum Social Distancing - wie kleine Gruppengrößen und Schichtbetrieb - und Hygiene? Das dürfte in den Ministerin ohnehin schon intensiv diskutiert werden. Zu hören ist, dass man das durchaus auch für machbar halte. Vorstellbar sei etwa, dass in der einen Woche die Klasse 8a in die Schule komme, in der anderen die Parallelklasse 8b. Die Klassen, die zu Hause bleiben, würden dann digital Aufgaben bearbeiten.

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Laut des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) würde das einen "immensen logistischen Aufwand" für Schulleitungen und Lehrkräfte bedeuten. Bereits die vergangenen Wochen seien enorm belastend gewesen. "Sich nun zwischen Präsenzunterricht für die eine Klasse und dem Bereitstellen von Aufgaben für die andere Klasse aufzureiben plus sich zu überlegen, was die Präsenzklasse in ‚Heimarbeit‘ erledigen kann, wie es die Leopoldina vorschlägt, erhöht den Druck noch weiter", kritisierte der VBE am Dienstag.

Es müsse nun geprüft werden, welche Inhalte verschoben oder gar weggelassen werden können.

Was ist mit der Hygiene in Schulen?

Herausfordernd dürften für Schulen Hygienemaßnahmen werden. „Nicht in allen Kommunen dieser Republik sind die Schultoiletten die saubersten Räume des Landes und nicht in jeder Einrichtung gibt es überhaupt genügend Waschbecken, damit sich alle Kinder mehrfach am Tag die Hände waschen können“, kritisierte Jörg Ramseger. Manche Schultoiletten in manchen Kommunen „sind regelhaft abenteuerlich dreckig“. Die Kommunen müssten für den zusätzlichen Reinigungsaufwand deutlich mehr Mittel und Personal bereitstellen.

Eine Frage, die die Länder zu klären haben, wird sein, wie sie mit Atemschutzmasken in Schulen umgehen. Deren Einsatz fordert die Leopoldina ebenfalls. Der VBE sieht jedenfalls nicht, wie diese Voraussetzung bei 8,3 Millionen Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen und 2,4 Millionen Schülerinnen und Schüler an berufsbildenden Schulen erfüllt werden soll. "Wo sollen für diese Mund-Nasen-Schutzmasken herkommen?", fragt der VBE in seiner Stellungnahme.

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