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Schätzungsweise jeder hundertste Mann soll pädophile Neigungen haben.

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Wie entsteht die sexuelle Neigung zu Kindern?: Im Gehirn des Pädophilen

Forscher wollen besser verstehen, was im Gehirn von Männern vorgeht, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und wie die Pädophilie entsteht. Auch, um Straftaten zu verhindern.

Kaum ein anderes Verbrechen erregt soviel Ekel und Abscheu wie der sexuelle Missbrauch von Kindern. Nach einer Umfrage der Technischen Universität Dresden sind 40 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Pädophile – also Personen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen – selbst dann hinter Gitter gehören, wenn sie keine Straftaten begangen haben. Etwa jeder hundertste Mann soll durch das kindliche Körperschema sexuell erregt werden.

Aber was steckt hinter der Neigung zu Kindern, wie entsteht sie? Was spielt sich im Gehirn von Pädophilen ab? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der seit 2012 bestehende Nemup-Forschungsverbund von fünf deutschen Hochschulen. Nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, die Störung besser zu behandeln und Übergriffe auf Kinder zu verhüten. „Nemup“ steht für „Neural Mechanisms Underlying Pedophilia“ und wurde bis Ende April vom Bundsforschungsministerium gefördert. Am Donnerstag präsentierten die Wissenschaftler bei einer Fachtagung in der Berliner Uniklinik Charité erste Ergebnisse.

Die Pädophilie lässt sich auch mit Mitteln der Hirnforschung erkennen. Wer eine entsprechende Neigung hat, dessen Gehirn wird beim Betrachten von Fotos nackter Kinder weitgehend in genau jenen Regionen aktiviert, die bei Nicht-Pädophilen durch die Fotos nackter Erwachsener angeregt werden.

Pädophilie als solche ist keine Krankheit

Der Sexualwissenschaftler Klaus Beier von der Charité bietet seit zehn Jahren mit dem Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ Pädophilen anonyme Beratung an. „Kein Täter werden“ gibt es inzwischen an zehn weiteren Standorten in Deutschland und hat internationales Aufsehen erregt. Beier legt Wert darauf, die Pädophilie als solche nicht als Krankheit einzustufen. „Die Neigung muss nicht zu Übergriffen führen“, sagte er. Erst wenn die Betroffenen unter ihrem Hang leiden oder anderen Schaden zufügen und zum Täter werden, werde die Veranlagung krankhaft.

„Es gibt kein klassisches Täterprofil“, berichtete Tillmann Krüger von der Medizinischen Hochschule Hannover, Sprecher des Nemup-Forschungsverbunds. Allerdings gebe es „Gruppenunterschiede“. Die Wissenschaftler verglichen pädophile Männer mit oder ohne einer Vorgeschichte sexuellen Kindesmissbrauchs mit nicht pädophilen Männern, die sexuellen Kindesmissbrauch begangen hatten und mit Normalpersonen. Pädophile Täter waren mit etwa 40 Jahren im Schnitt sechs Jahre älter als Pädophile, die keine Straftaten begangen hatten.

Bildung und Intelligenz der Pädophilen sei leicht verringert, aber noch im normalen Bereich, sagte Krüger. Das deckt sich weitgehend mit früheren Befunden, in denen Pädophile einen um durchschnittlich zehn Punkte niedrigeren Intelligenzquotienten hatten.

Sie haben Einfühlungsvermögen, aber zu wenig Impulskontrolle

Häufig litten Pädophile unter Depressionen (bis zu 40 Prozent) und unter Angststörungen (bis zu 25 Prozent). Hinweise auf ein verringertes Einfühlungsvermögen habe man nicht gefunden, berichtete Krüger, wohl aber auf impulsiveres Verhalten und damit auf größere Probleme, sich selbst im Griff zu behalten.

Bei der Frage, ob ein Pädophiler zum Täter werde, spiele vermutlich die Größe des Mandelkerns eine Rolle, sagte Henrik Walter, Leiter des Forschungsbereichs „Mind and Brain“ an der Charité. Der Mandelkern ist eine Hirnregion im Bereich des Schläfenlappens, die mit dem Treffen von Entscheidungen und dem Verarbeiten von Gefühlen befasst ist. Nicht ausgeschlossen, dass Pädophilie bald „objektiv“ nachweisbar ist – mit einer Aufnahme im Kernspintomographen, dem „Hirnscanner“.

Über die Frage, warum ein Mensch eine pädophile Neigung entwickelt, gibt es viele Annahmen, bewiesen ist jedoch keine, sagte der Nemup-Sprecher Tillmann Krüger. Die Weichen in Richtung Pädophilie werden früh im Leben eines Menschen gestellt, möglicherweise schon im Mutterleib, sagte Krüger. Manche Forscher glauben, dass es eine Art Entwicklungsstörung des Gehirns ist, die die Veranlagung sich ausprägen lässt.

Von der Idee, die Pädophilie zu kurieren, ist man weitgehend abgekommen. Viele Therapeuten sehen ihre Aufgabe eher darin, Pädophilen zu helfen, ihre Impulse unter Kontrolle zu halten und damit auch schwerwiegenden Straftaten vorzubeugen. Eine Möglichkeit, sexuelles Verlangen zu dämpfen, besteht in der Einnahme triebdämpfender Medikamente. Allerdings sei die Pharmaindustrie bei der Entwicklung neuer Mittel sehr zögerlich, meint der Sexualforscher Beier. Vielleicht, weil sie Imageprobleme befürchtet.

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