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Guiseppe Caire (links) und Steffen Mau (rechts).

© University of Southern California/Jürgen Bauer

Wichtigste deutsche Wissenschaftsauszeichnung: Zwei Berliner Forscher erhalten Leibniz-Preis

Der eine erforscht die Seelenlandschaft des Ostens, der andere verbessert Mobilfunk: Mit Steffen Mau und Guiseppe Caire erhalten zwei Berliner den Leibniz-Preis.

Dass Sozialwissenschaftler einen Pageturner schreiben, den man auch abends im Bett lesen möchte, stellt wohl eher eine Ausnahme dar. Wenn jemand in der Lage ist, tiefenstrukturelle Gesellschaftsanalyse in luzide Prosa zu übersetzen, dann der Soziologe Steffen Mau.

Der Name des Professors für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin ist für immer mit der Rostocker-Platte verbunden. Hier wächst der später enorm produktive Wissenschaftler in den 70er-Jahren auf. Im gleichnamigen Buch hat er dem Neubauviertel "Lütten Klein" ein soziologisch-biographisches Denkmal gesetzt.

Die wichtigste Auszeichnung der deutschen Wissenschaft

Für seine Forschung erhält Mau jetzt den Leibniz-Preis, die wichtigste Auszeichnung der deutschen Wissenschaft. Die neuen Preisträger*innen gab die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) am Donnerstagnachmittag bekannt. Neben Mau wird aus Berlin auch der Kommunikationstechniker Guiseppe Caire von der TU/Heinrich-Hertz-Institut ausgezeichnet. Caire erforscht drahtlose Mobilfunknetze.

Den Preis erhalten insgesamt zehn Forschende. Ausgezeichnet werden auch die Epigenetikerin Asifa Akhtar (Freiburg), der Biodiversitätsforscher Nico Eisenhauer (Leipzig), Veronika Eyring (Erdsystemmodellierung/Oberpfaffenhofen), Katerina Harvati-Papatheodorou (Paläoanthropologie/Tübingen), Rolf Müller (Pharmazeutische Biologie/Saarbrücken) sowie die beiden Münchner Forscher Jürgen Ruland (Immunologie) und Volker Springel (Astrophysik).

Der Leibniz-Preis ist mit jeweils 2,5 Millionen Euro dotiert und wird seit 1996 vergeben, die jetzt Ausgewählten erhalten ihren Preis dann offiziell im kommenden Jahr. Der Regierende Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD) gratulierte den Preisträgern aus Berlin: "Beide gehören weltweit zu den Besten ihres Fachs und leisten einen großen Beitrag für die Weiterentwicklung ihrer Forschungsgebiete", erklärte Müller.

Selten wurde Ostdeutschland so präzise analysiert

HU-Soziologe Steffen Mau ist der einzige Geistes- und Sozialwissenschaftler unter den Prämierten. Selten wurde die Seelenlandschaft Ostdeutschlands so empathisch und präzise zugleich kartiert, wie in seinem viel gelobten Bestseller "Lütten Klein". Im Modus distanzierter Nähe werden das Leben in der DDR und die nach der Wende einsetzenden Transformationsprozesse in der ostdeutschen Sozialstruktur beschrieben. Die Spannungen und "gesellschaftlichen Frakturen" der Gegenwart, so Mau, haben ihren Ursprung in der Zeit des „ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden“.

Als der Eiserne Vorhang fällt, ist Steffen Mau noch bei der Nationalen Volksarmee (NVA). Anschließend studiert er Soziologie und Politikwissenschaft an der FU und der University of Bristol und promoviert – als erster ostdeutscher Doktorand – am Europäischen Hochschulinstitut Florenz. 2005 erhält er eine Professur für Politische Soziologie an der Universität Bremen und kommt 2015 nach Berlin.

[Lesen Sie hier ein Interview mit Steffen Mau über sein Buch "Lütten Klein": "Über Wessis zu lästern, ist entlastend".]

Gesellschaftliche Wandlungsprozesse, europäische Integration und Migration sowie sozioökonomische Ungleichheit werden seine einschlägigen Forschungsthemen. Auch wenn er häufig als Erklärer ostdeutscher Befindlichkeiten apostrophiert wird: Steffen Mau, der im Zuge mehrerer Gastprofessuren und Fellowships auch in Schweden, Frankreich und England gelehrt hat, ist mitnichten auf den Osten abonniert. So hat er unter anderem die Sozialstruktur verschiedener europäischer Länder erforscht, transnationale Vergesellschaftungsprozesse und "Lebenschancen" schrumpfender Mittelschichten.

Auf der Suche nach dem besten Drahtlos-Netz

Transnational: So arbeitet auch der Kommunikationstechniker Guiseppe Caire. Für Deutsche, die noch immer von einem Funkloch ins nächste fallen und weit häufiger als etwa in Italien handyringend nach kabellosem Internetzugang suchen müssen, mag es widersinnig klingen, wenn mit dem gebürtigen Italiener Caire der Experte für drahtlose Kommunikation freiwillig nach Berlin, in die Hauptstadt des Digitalisierungsrückstands umzieht.

Doch vielleicht war gerade das die Herausforderung für den Forscher, der zuvor an der University of Southern California in Los Angeles, am Institut Eurécom in Frankreich, der Princeton Universität und der Europäischen Raumfahrtagentur ESTEC in den Niederlanden tätig war.

Jetzt hat auch Caire den Leibniz-Preis bekommen und kann Forschung fortsetzen, die "die Praxis und Standards in der modernen drahtlosen Kommunikation nachhaltig beeinflusst" haben. So beschrieb die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, mit deren Unterstützung Caire 2014 ans Heinrich-Hertz-Institut der Fraunhofer-Gemeinschaft und die TU Berlin gelockt wurde, seine Forschungsarbeiten.

Jenseits des WLAN - ein Forschungsthema von Guiseppe Caire.
Jenseits des WLAN - ein Forschungsthema von Guiseppe Caire.

© Catherine Waibel/dpa-tmn

Dabei gehe es vor allem um “codierte Modulation”, die Grundlage für “viele aus dem Alltag nicht mehr wegzudenkende Techniken der digitalen Kommunikation, wie WLAN-Verbindungen oder Mobilfunkübertragungen”.

Die Verbesserung der technischen Grundlagen für die Drahtloskommunikation ist auch Thema des Europäischen Forschungsförderungsprojekts "Carenet", ein 2,5 Millionen Euro umfassendes ERC-Projekt, das Caire seit Beginn im Jahr 2018 leitet und das bis 2023 grundlegende Probleme des WLAN lösen soll. So wird etwa angenommen, dass der WLAN-Verkehr in den kommenden Jahren um drei Größenordnungen zunehmen wird.

Neue Ansätze fürs Wlan

Das Problem sei nicht mit "mehr vom Gleichen" zu lösen, sondern brauche neue technische Ansätze, um von "Gigabytes für Wenige zu Terabytes pro Monat für Alle" zu kommen, so Caires Vision mit "Carenet". Die Netzwerke müssen "inhaltsbewusst" agieren, dafür seien etwa neue Strategien für "Cache"-Speicher nötig, in denen Inhalte über die Knoten des Netzwerks verteilt gespeichert werden. Ziel sei, jedem Nutzer ein Terabyte pro Monat zu bezahlbaren Kosten und guter Qualität zur Verfügung zu stellen.

Ob davon dann auch der verzweifelt durch Brandenburger Dörfer Stolpernde, nach Handyempfang Suchende profitieren wird, wird sich zeigen. An zu wenig Geld für Caires Forschung, die er über das Fraunhofer Institut eng verzahnt mit der Industrie für die Anwendung entwickelt, wird es nicht liegen.

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