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Ein Schild «Ruhezone Abitur» hängt während der Abiturprüfung in der Integrierten Gesamtschule (IGS) in Hannover.

© Julian Stratenschulte/dpa

Wiarda will's wissen: Was die Sommerloch-Debatte zum Zentralabi bewirken muss

Über die Debatte ums Zentralabitur sind die Länder zu Recht genervt, meint unser Kolumnist. Die Krise des Bildungsföderalismus müssten sie trotzdem lösen.

Es ist ja schön, dass während des Sommerlochs zur Abwechslung ein bildungspolitisches Thema Karriere macht. Aber langsam ist es dann auch mal gut. Anfang Juli hat Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann über das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) verkündet: „Wir brauchen in fünf bis zehn Jahren ein zentrales Abitur.“

Zentral? Abitur? Solche Begrifflichkeiten lösen in Deutschland mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit heftige Reflexe aus, denn sie öffnen gleich zwei emotionale Schubladen: die mit dem Föderalismus und die, wo das Gymnasium drinsteckt.  

Das hatte Eisenmann, die 2021 für die CDU Ministerpräsidentin werden will und ein wenig Aufmerksamkeit für ihren noch relativ neuen Spitzenkandidaten-Status braucht, sicherlich einkalkuliert. Aber wahrscheinlich ist sie selbst erstaunt, wie gründlich das mit dem Debattenanstoß geklappt hat.

Flammende Plädoyers

Alle, die der Meinung sind, sich irgendwie mit dem Thema profilieren zu können, tun das auch, manche mehrfach. Der Lehrerverband. Der Philologenverband. Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder („Zentralismus führt immer nur zu einer Schwächung“). OECD-Pisa-Papst Andreas Schleicher („Eine Frage der Fairness“). FDP-Chef Christian Lindner (Der aktuelle Bildungswettbewerb sei „aus der Zeit gefallen“). Zu verschiedenen Gelegenheiten: Bundesbildungsministerin Anja Karliczek („Eine Frage der Gerechtigkeit“, kein Thema „für das Sommerloch“). Zuletzt Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig („Das Zentralabitur wäre sicherlich eine Lösung“).

Mal schauen, wer als nächstes ein Mikrofon hingehalten bekommt. Und wir Journalisten greifen das Thema ebenfalls gierig auf: in staatstragenden Leitartikeln, in flammenden Plädoyers.

Bringt uns all das irgendwie voran? Bislang nicht wirklich. Denn während die Mehrzahl der Wortmeldungen teils emphatische Zustimmung ausdrückte, waren diejenigen, die wirklich etwas tun könnten, auffällig still. Eisenmanns Ministerkollegen. Am Anfang schien es so, als wollten sie dem Thema ganz ausweichen. Dann kamen doch ein paar abwehrende Statements. Am klarsten äußerte sich erst neulich Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Sie sagte laut Spiegel Online, eine „zentrale Gleichschaltung“ in einem föderalen System wäre „töricht“.

Eisenmann will ihre Kollegen nicht entmachten

Die Kultusminister fürchten um ihren Einfluss, gehören doch schulische Prüfungen zum Kern der ländereigenen Kultushoheit. Dass mit Eisenmann ausgerechnet eine Kollegin dies in Frage zu stellen scheint, erstaunt – allerdings nur solange man ihren Vorstoß missverstehen will. Denn wenn man genau hinhört, will Eisenmann sich und ihre Kollegen gar nicht entmachten. Sie will aber, dass die Kultusminister Schluss machen mit ihren halbherzigen, teils nur symbolischen Aktionen für mehr Vergleichbarkeit schulischer Abschlüsse.

Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.
Unser Kolumnist Jan-Martin Wiarda. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

© Privat

Denn in der Öffentlichkeit hat sich längst eine für den Bildungsföderalismus fatale Wahrnehmung festgesetzt: dass sich die Abi-Anforderungen von Bundesland zu Bundesland massiv unterscheiden. Dass Schulabgänger mit identischen Leistungen in Thüringen ganz andere Zensuren bekommen als in Bremen. Und dass die Länder es nicht schaffen, etwas daran zu ändern.

Letzte Chance für den Bildungsföderalismus

Eisenmanns Kollegen können sich also weiter über den unbestreitbaren Hang ihrer Kollegin zur Selbstprofilierung ärgern. Sie können weiter – und zu Recht! – bei jeder neuen nervigen und überflüssigen Wortmeldung teilweise selbsternannter Bildungsexperten die Augen verdrehen.

Oder sie begreifen den Kern dieser Sommerloch-Debatte: Sie können, sie müssen die Wende beim Abi jetzt selbst hinbekommen. Sie müssen sie ergreifen, diese vermutlich letzte Chance für den in der Krise befindlichen Bildungsföderalismus – bevor der echte, nicht mehr von den Ländern gesteuerte Zentralismus kommt. 

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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