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Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.

© Privat

Wiarda will's wissen: Lehrer, hört mehr auf eure Schüler

Bayern hat in einem Pilotversuch Lehrkräfte von Schülern bewerten lassen. Das sollte Schule machen, meint unser Kolumnist.

Es klang wie eine Schnapsidee: Die Landesregierung verpflichtet ihre Nachwuchslehrer, sich von den Schülern bewerten zu lassen. Und die müssen nicht einmal ihre Identität preisgeben.

Kommt Ihnen bekannt vor? Richtig, da war doch diese Website, um die es ein paar Jahre lang richtig Ärger gab. 2007 gestartet, waren bald eine Million Jugendliche als User von Spickmich.de angemeldet. Und gaben dort ihren Lehrer anonym Noten, von der Eins bis zur Sechs, für ihre fachliche Kompetenz zum Beispiel, ihre Beliebtheit oder auch ihre Coolness. Sogar vor den Bundesgerichtshof ging eine der Klagen betroffener Lehrer, allerdings erfolglos.

Es war wohl auch den Kontroversen von damals geschuldet, dass der Philologenverband anfangs strikt gegen das von bayerischen Kultusministerium initiierte Projekt „Schüler-Feedback in der 2. Phase der Lehrerausbildung“ trommelte. Die Lehrkräfte würden anfangen, sich das Wohlwollen ihrer Schüler mit lauter Einsen zu erkaufen, warnte die Lehrervertretung. Doch das Kultusministerium blieb hart.

Keine Kuschelnoten, keine Beschimpfungen

Zwei Jahre lang haben die Schüler seitdem in Bayern an 79 Schulen den Unterricht ihrer Referendare und Lehramtsanwärter bewertet, mithilfe von Fragebögen oder über eine digitale Lernplattform. Und siehe da: Plötzlich ist sogar der Philologenverband zufrieden. Keine Kuschelnoten, keine unflätigen Beschimpfungen. Kultusminister Sibler will den Versuch um ein Jahr verlängern. Mit der Option, eventuell im Falle einer positiven Evaluation bayernweit eingeführt zu werden.

Kontraintutiv? Nicht wirklich. Dass Schüler eine konstruktive Rolle bei der Unterrichtsentwicklung spielen können, sagen Bildungswissenschaftler seit langem, für viele Lehrer und Schulen ist das Einholen von Feedback längst selbstverständlich. Insgesamt jedoch tut sich das hierarchische System Schule schwer mit derlei Formen der Basis-Beteiligung.

Doch die Bayern haben es geschickt angestellt. Keine Referendarin und kein Lehramtsanwärter muss Angst haben, an den Pranger gestellt zu werden. Die Schüler erteilen eben keine plakativen Noten, sondern antworten auf von Wissenschaftlern erstellte Fragevorlagen, die die Nachwuchslehrer selbst an ihre Bedürfnisse anpassen können. Die Ergebnisse sehen nur die Nachwuchslehrer selbst, um sie dann mit einer erfahrenen Lehrkraft zu besprechen.

Gemeinsames Nachdenken über Verbesserungen

Und danach die Besprechung der Ergebnisse mit der Klasse, das gemeinsame Nachdenken über Verbesserungen.

Wenn Kultusminister Sibler laut dpa von einer gestärkten „Feedback-Kultur“ spricht, stapelt er sogar noch tief. Es geht um neue Formen der Partizipation jenseits der eingespielten Strukturen von Schülersprechern und Schülerräten. Wer Schüler in die Mitverantwortung nimmt, erzeugt Verantwortungsbewusstsein. Es ist gut, wenn solche Erfahrungen nun ausgerechnet auch in einem Bundesland gemacht werden, das nicht dafür bekannt ist, jeder pädagogischen Mode hinterherzulaufen.

Wie wäre es, wenn ein solches System irgendwann an allen Schulen existierten würde, und wenn alle Lehrkräfte es nutzten, nicht nur die Berufsanfänger? Ein neues Miteinander von Schülern und Lehrern und auch der Lehrer untereinander: ein verwegener Gedanke womöglich. Aber auch ein schöner.

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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