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Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.

© Privat

Wiarda will’s wissen: G9 wird Folgen für die Unis haben

Die Schülerzahlen sollen steigen - doch das muss nicht unbedingt bedeuten, dass auch noch mehr Studierende an die Unis kommen. Wegen des Wechsels zu G9 könnte der Studierendenstrom sogar abschwächen, sagt unser Kolumnist.

Die erstaunlichste Reaktion auf die Rekordprognose stammte von Udo Michallik. 8,3 Millionen Schüler sollen im Jahr 2025 Deutschlands Schulen bevölkern, sagte die Bertelsmann-Stiftung vergangene Woche voraus – 1,1 Millionen mehr, als die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrer zuletzt 2013 aktualisierten Projektion stehen hat. Und was machte KMK-Generalsekretär Michallik im Deutschlandfunk? Winkte ab und sagte: Wissen wir doch längst. Die Länder hätten selbst aktuelle Zahlen, die Vorhersagen der KMK seien „keine Planungsgrundlage für das, was in den Ländern passiert.“ Die KMK hält also ihre eigene, offiziell noch gültige Modellrechnung für irrelevant.

Vielleicht wissen die Kultusminister ja noch mehr, was sie nicht sagen. Etwa, welche Auswirkungen der Rückfall zu G9 für die Hochschulen haben wird. Hessen, Niedersachsen, Bayern, zuletzt Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein: Die meisten westdeutschen Flächenländer wollen ganz oder teilweise das neunjährige Gymnasium wiederbeleben. Ein Einschnitt fürs Schulsystem zeichnet sich ab, der ähnlich tief sein dürfte wie in den 2000ern, als dieselben Länder (und ein paar mehr) beschlossen, die Schulzeit bis zum Abi auf 12 Jahre zu verkürzen.

In der Folge strömten die mit den studierwilligen Kindern der Babyboomer ohnehin prall gefüllten Abiturjahrgänge im Doppelpack in die Hörsäle. Die Politik reagierte mit einer Initiative, die in die Annalen der Wissenschaftspolitik einging: dem Hochschulpakt. Allein zwischen 2011 und 2015 hat der Bund für 720 000 zusätzliche Erstsemester sieben Milliarden Euro an die Länder überwiesen.

Hochschulen sollten sich für Kinder von Nicht-Akademikern öffnen

Jetzt droht die umgekehrte Entwicklung. Die geburtenschwachen Jahrgänge kommen ins Gymnasium, selbst der seit 2012 zu beobachtende Anstieg der Geburtenrate, verbunden mit der stärkeren Zuwanderung, wird zwar die Grundschulen und Mittelstufen anschwellen lassen, ein paar Jahre später aber nur abgeschwächt auf die Oberstufe durchschlagen. So steht es auch in der Bertelsmann-Studie. Dazu statt doppelter auf zwei Jahre gestreckte Abijahrgänge, das lässt den Studentenstrom zumindest für ein paar Jahre schwächer ausfallen.

Dass Hochschulrektoren und Bildungspolitiker wenig Lust auf das Thema haben, liegt auf der Hand. Nach der Bundestagswahl soll die Fortsetzung des nach 2020 auslaufenden Hochschulpakts beschlossen werden, und da will man der Finanzpolitik keine Argumente für eine Schrumpfkur liefern – erst recht, wenn parallel die Schulen absehbar mehr Geld als gedacht brauchen werden.

„Die Studentenzahlen verharren auf Rekordhöhe?“ Schlagende Argumente für weitere Bundesmilliarden müssen künftig anders lauten. Es gibt sie längst. Das zum Beispiel: Wir, die Hochschulen, wollen wirklich offen werden für Kinder von Nicht-Akademikern. Das fordert ein Umsteuern in der Lehre, und das kostet Geld. Wären die Hochschulen damit erfolgreich, hätte das Ganze einen ironischen Nebeneffekt: steigende Studentenzahlen.

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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